"Ob Vollendete auftreten oder nicht auftreten,

fest steht diese Grundtatsache,

diese Ordnung der Dinge:

alle Erscheinungen sind unbeständig,

alle Erscheinungen sind leidvoll,

alle Erscheinungen sind ohne ein Selbst."

 

Wegen ihrer Wandelbarkeit, vor der es keine Sicherheit, keine Geborgenheit gibt, sind die Dinge leidvoll. Und was sich verändert, nicht meiner Verfügungsmacht untersteht, kann nicht als "mein Eigen", geschweige denn als "ich selbst" bezeichnet werden.

Wir wissen, dass der Erwachte diese drei Eigenschaften (vergänglich, leidvoll, ohne ein Ich) als grundlegend gültig für alles Seiende genannt und nachgewiesen hat, dass es sich so verhält und dass der Mensch, der dies einsieht, durch diese Einsicht zu einer anderen Verhaltensweise dem Leben und der Welt gegenüber kommt, zu einer Verhaltensweise, die ihn freier macht; und das ist ja das Ziel allen Strebens. Darum geht es für uns darum, dass wir nicht nur darüber reden, sondern dass unser Reden und Bedenken dahin führt, dass uns die vom Erwachten genannten Zusammenhänge aufleuchten, dass wir sie einsehen, dass wir aufatmen und dass wir daraus auch Richtung und Kraft gewinnen für entsprechendes Tun.

Der Erwachte sagt, und diese Aussage bedarf keiner näheren Erläuterung und wird von jedem Lebewesen sofort bestätigt: „Ein jedes Wesen scheuet Qual und jedem ist sein Leben lieb." (Dhammapada 129) und er sagt an anderer Stelle: „Alle Wesen sehnen sich nach Glückseligkeit." Wir mögen bestimmte Anliegen haben an das Leben, welche es auch sein mögen, aber immer ist es so, dass wir aus irgendeinem Mangel, einem physischen, seelischen oder geistigen, herauswollen, aus der Not heraus und in das Heile wollen, das Heil wollen, ob wir das nun Glückseligkeit nennen oder ob der Wahrheitssucher sagt: „Ich will Wahrheit" oder ob die meisten Menschen sagen: „Ich will Frieden, ich möchte Anerkennung, ich möchte Freundschaft" oder ob mancher sagt: „Ich möchte Geld, ich möchte Reichtum", es ist immer dasselbe. Wenn wir dieses Streben aller Wesenheit betrachten, dann sehen wir, dass drei Dinge angestrebt werden: einmal dass man die Fülle im Sinnenhaften, eben die Erfüllung von Wünschen in dieser Welt haben möchte, 2. dass man im Seelischen aus der Zwietracht, aus der Verachtung heraus möchte, anerkannt, geliebt sein möchte oder 3. im Geistigen aus Unwissen, aus Zweifel und Schwanken heraus möchte.

Wenn man auf dem Wege ist, zur Fülle zu kommen, oder gar, wenn man in der Fülle ist, dann kommt sofort die Frage: „Was kann man tun, dass die Fülle immer bleibt", die Frage nach der Dauer, der Sicherheit. Fülle ohne Sicherheit ist entsetzlich. Etwas haben und wissen „Morgen ist es nicht mehr", ist schlimmer als Nichthaben. Beides, die Fülle und die Dauer der Fülle, das ist das Hauptstreben aller Wesen: Wohlfahrt und Sicherheit im Körperlichen, Seelischen und Geistigen. Die Wohlfahrt im Körperlichen ist Gesundheit, ist Schmerzlosigkeit, dass man beweglich sei, dass man tun könne, was man tun muss oder tun möchte, und auch dass man angenehm wirke, also Schönheit und Anmut. Das wird bewusst oder unbewusst von jedermann angestrebt. Die es nicht anstreben, tun es darum nicht, weil sie zur Zeit gerade gesund und schön sind und darum den Mangel nicht spüren. Man merkt oft: In dem Augenblick, in dem man krank wird, da fangt man an zu verstehen, warum manche so viel davon sprechen, wie schön doch Gesundheit wäre. Vorher ist man darüber hinweg gegangen.

Seelisch strebt man an, dass man liebenswert sei, geliebt und anerkannt werde, Freundschaft, Verwandtschaft habe, nicht einsam sei. Oder mancher strebt an, ungestört allein mit sich zu sein, dann ist das seine Wohlfahrt.
Im Geistigen strebt man an, aus Unklarheit, aus Wirrnis, aus geistiger Gefangenschaft zwischen Tausenden von Ismen zur Klarheit, zur Wahrheit zu kommen.
Auf diesen drei Gebieten ist Mangel, Not, ist die Suche nach Erfüllung, nach dauerhafter Wohlfahrt. Wir wissen, dass der Unbelehrte mehr dem Augenblick lebt und vergisst, dass der Augenblick vergeht, obwohl die Religionen und Weisen immer wieder mahnen: „Vergiss nicht, dass alles vergänglich ist, vergiss nicht, dass alles sinnliche Wohl Darlehen sind, die wieder vergehen." Der Weiterblickende fragt nach Unvergänglichkeit für sich und die Dinge, weil durch die Vergänglichkeit Not aufbricht. Erst dann hat es eben Zweck, Dinge zu haben, erst dann kann von Beständigkeit gesprochen werden, wenn Dinge und Besitzer ewig sind. Was nützt es, wenn der Besitzer der Dinge, der Eigentümer, nicht ewig ist, selbst wenn die Dinge von Bestand sind.
Wo die Dauer der Fülle nicht ist, wo alles wieder zerrinnt, kommt und wieder geht, da ist nicht Heil, da ist Leiden. Die Sehnsucht der Wesen ist erst dann erfüllt, das Heil, die Wohlfahrt und Sicherheit sind erst dann erreicht, wenn die Dinge unvergänglich sind und das als Ich Aufgefasste unvergänglich ist. Darum wird, wer diesen Zusammenhang sieht, sowohl die Dinge wie sich selbst untersuchen und wird sagen: „Was vergänglich ist, was zwischen den Fingern zerrinnt, das bin ich nicht, und das will ich nicht halten. Was nicht vergänglich ist, was immer bleibt und Fülle ist, das ist das Heil." So betrachtet der Weitblickende die Dinge der Welt und das Ich.
Die Dinge der Welt - was ist das? Wir würden sagen: „Nun, diese ganze Welt, alles was man haben kann, die Freunde, die Verwandten, der Reichtum. Eine andere Antwort aber trifft den Kern genauer: Die Dinge, die wir nicht wahrnehmen, die wir nicht erleben, die treffen uns nicht. Uns trifft nur das, was wir wahrnehmen. Soweit wir wahrnehmen, in dem, was wir wahrnehmen, erleben, liegt unsere Problematik, nicht in dem, was wir nicht wahrnehmen. Also: die Dinge der Welt, wie erfahren wir sie? Durch Wahrnehmung. Gesehenes wird wahrgenommen, Gehörtes, Gerochenes, Geschmecktes, Getastetes und Gedachtes. Nur die Wahrnehmung dieser sechs Arten von Dingen ist es, die uns Glück oder Leid bringt. Sind die Dinge der Welt vergänglich oder unvergänglich? Wenn uns Dinge beglücken, die uns die Fülle bieten, und wir freuen uns der Fülle und sie zerrinnen wieder, sind nicht mehr da, dann lassen sie uns zurück in Angst, im Mangel, im Leid.

Das Gesehene ist vergänglich, das Gehörte ist vergänglich. Das Gerochene ist vergänglich. Das Geschmeckte ist vergänglich. Das Getastete ist vergänglich, das Gedachte ist vergänglich. Vergänglich ist alles, was wahrgenommen wird durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Denken. Die Wahrnehmungen entstehen und vergehen, kommen heran wie eine Brandung. Es schlägt an die Ufer, ist ein bisschen Schaum und ist fort. Eine neue Woge kommt. So läuft die Zukunft an die Gegenwart heran, eine Woge nach der anderen. Jede einzelne Wahrnehmung ist ein Blitz, ein Augenblick und ist fort. Nur weil dauernd etwas herankommt, entsteht der Eindruck einer Kontinuität, entsteht der Eindruck, dass etwas sei. Jedes entsteht für sich, vergeht für sich. Eine Wahrnehmung, ein Bild, ein Ton, ein Duft, ein Gefühl blitzt auf und ist verschwunden, seiner selbst unbewusst. Der Gewohnheit verfallen, von Gewohnheit genarrt, jagt der Mensch hinter den Dingen her in der Hoffnung: „Das ist es." Er ist ausgeliefert, weil er sich an dieses Vergängliche, nach seinem Gesetz Kommende und Gehende klammert, darum ist er m die Not geworfen, in die Verzweiflung geworfen, in die Qual geworfen. Darum trachtet, wer das einsieht und begreift, danach, von der Neigung nach den Dingen loszukommen. Die Dinge lohnen nicht die Mühe, die man sich macht, um zu erhaschen, was so schnell wieder vergangen ist. Das ist das Ergebnis, wenn wir die Welt untersuchen.

Das, was das Anliegen an diese Welt und jene Welt hat, was sich nach Frieden sehnt, das ist dieses Kraftfeld, sind diese Tendenzen, Seele genannt. Sie sind es, die den Körper bewegen, die wollen und tun. Durch sie bedingt ist die Sehnsucht nach Reinem und ist die Sehnsucht nach Gemeinem. Ist dieses Kraftfeld, diese Seele, vergänglich oder unvergänglich? Wir wissen, wie jede einzelne Sehnsucht, jede einzelne Kraft entsteht, wodurch sie entsteht und wodurch sie vergeht. Wenn irgendwann irgendwo diese Triebe, dieser Mensch, der sich im Dasein fühlt, der sich erlebt, ein Urteil, eine Devise aufgenommen hat: „Sei wahrhaft" oder „Hilf dir selbst" oder „Sieh zu, dass du reich wirst" und innerlich Ja dazu gesagt hat, sie anerkannt hat, dann ist durch diesen Akt, eine Sentenz, eine Devise gehört und anerkannt zu haben, dieser Wille in das Herz eingepflanzt worden. Dadurch hat sich das Herz, die Seele, verändert. Wer öfter gute, ethische Devisen hört und anerkennt, der wird um diese Wollensrichtungen verändert. Diese sind nun in ihm, und wenn er öfter dieselben Maximen hört und bedenkt, dann werden sie stärker in ihm. Wir wissen, dass aus diesem Grund die Religionen die Menschen auffordern, öfter und öfter zu beten oder zu meditieren, um gute Eigenschaften zu bitten. Indem der Übende die guten Eigenschaften als hilfreich betrachtet und indem er sich bemüht, sie zu erwerben, gewinnt er sie nach und nach. Wer etwas gehört und anerkannt hat, ist dadurch ein anderer geworden. Das, was er da gehört hat, ist jetzt hinzu gekommen, ist jetzt bei ihm, und wir merken es, denn der nächste Satz, den er spricht, ist um das Gehörte reicher. Er müsste anders sprechen, wenn er es nicht gehört hätte, als nun, da er es gehört hat. Wir wissen, dass die nach-goethische Zeit nicht nur in Deutschland, sondern im ganzen Abendland eine andere war als die vor-goethische. Wir sind um die Einsichten, um die Aussagen Goethes reicher geworden. Direkt indem wir sie selbst gelesen und aufgenommen haben oder indirekt, indem wir erzogen worden sind von solchen, die, bewusst oder unbewusst, Goethe aufgenommen haben. Ebenso sind wir alle mehr oder weniger auch Produkt der christlichen Religion, denn direkt oder indirekt ist sie uns eingeträufelt worden.
So schreibt der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung:
Das Christentum ist unsere Welt. Alles, was wir denken, ist die Frucht des Mittelalters, und zwar des christlichen Mittelalters. Unsere ganze Wissenschaft, alles, was durch unseren Kopf geht, ist unweigerlich durch dieses Historische hindurch gegangen. Das lebt in uns, es ist uns eingeprägt... Mit der Aufklärung ist nichts ausgewischt. Selbst die Art, wie man Aufklärung betreibt, ist christlich (Basler Seminar von 1934).

Wir fragen, vergessen wir das nicht, ob die Tendenzen, ob die Seele vergänglich ist oder ewig. Wir sehen, die Seele ist wie ein Kraftfeld, wie ein großer Billardtisch, auf dem die Kugeln rollen: Einfallwinkel = Ausfallwinkel. Sie stoßen gegen die Kante, prallen zurück und würden ewig weiter leicht rollen. Aber wenn mit dem Stock eine Kugel angestoßen wird, tritt eine Veränderung ein. Diese Kugel rollt von jetzt an in anderer Weise und verändert nun den Lauf der anderen Kugeln, die sie trifft. Diesem Anstoß der Kugel von außen ist zu vergleichen die Aufnahme einer neuen Einsicht, einer richtigen oder falschen, wodurch das Kraftfeld verändert wird. Dauernd wird wahrgenommen, und jede neue Wahrnehmung mit anschließender geistiger Stellungnahme verändert das Kraftfeld. Nach jedem Gedanken ist das, was wir Herz oder Psyche oder Seele nennen, anders. Immer ist zwar ein Kraftfeld da, immer ist ein tausendfältiges, millionenfaltiges Wollen da, aber jeden Augenblick ist es anders. Es ist wie ein Sandhaufen, von dem man eine Schaufel voll Sand fortnimmt und wieder eine Schaufel voll Sand hinzu tut. Es ist immer ein etwas veränderter Sandhaufen da. So ist das Herz mit den Trieben, die Seele, nicht ewig, sondern vergänglich. Theoretisch gesehen - von unserer Warte aus, die wir unmöglich alle Triebe aufheben können - praktisch haben es die Geheilten bewiesen - sind die Triebe in ihrer Gesamtheit völlig aufhebbar, wenn jede Neigung, jeder Trieb negativ bewertet wird. Das ist wie bei einer Billardebene, wenn man jeder vorwärts rollenden Kugel einen Gegenstoß geben würde, so dass sie stillsteht. Wenn alle Kugeln stillstehen, dann ist kein Wollen, kein Treiben mehr, dann ist Schweigen. Die Brandung, die den Körper bewegt, alles Wollen und alle Sehnsucht und damit alles Leiden sind zur Ruhe gekommen. 

Ist die Seele, sind die Triebe des Herzens ichhaft oder ichlos? Wir sehen, da ist kein Wissen um sich selbst, keine Lebendigkeit, sondern Automatismus, Programmiertheit: Kommt ein neuer Gedanke heran, dann muss - muss,  nicht „kann“,  das bisherige Gewollte um diesen neuen Impuls anders werden. Wie wenn man in eine Lösung eine neue chemische Substanz hinzu tut, dann ist im voraus berechenbar, was sich nun ereignen wird. So auch hier.

Wir sagen: „ich will", und wir untersuchen und merken: die Tendenz ist es, die da drängt. Aber wenn wir die Tendenz fragen: „Was willst du?", wird sie nicht antworten. Sie weiß nicht, dass sie da ist, so wie der Körper es nicht weiß. Es ist Wollen, aber nicht einer, der will. Wie das Wasser den Fluss hinab fließen muss und doch nichts von seinem Herabfließen weiß - da ist einfach Gefälle - so ist das, was wir Seele nennen, die Menge der Geneigtheiten, ein Gefälle, die Fortsetzung, der Impulse, der angenommenen Gedanken. Es hat angestoßen, es läuft weiter in einer sich ständig verändernden Kontinuität.

Und entsprechend den Tendenzen in den Sinnesorganen des Körpers (1. Zusammenhäufung) sind die Gefühle (2. Zusammenhäufung), die bei Berührung der Tendenzen aufkommen, jeden Augenblick ein anderes Gefühl: ein Wohl-, Weh- oder neutrales Gefühl. Es ist wie wenn ein Klöppel (Form) auf einen Gong (Tendenzen) schlägt. Es entsteht ein Ton (Gefühl). Weiß dieser Ton, weiß das Gefühl „Ich bin"? Je nach der Beschaffenheit des Gongs (Messing, Silber, Bronze) und je nach der Beschaffenheit des Klöppels (Stoff, Holz oder Metall) und je nach der Stärke oder Schwäche des Aufpralls entstehen die unterschiedlichsten Töne, aber kein Ton weiß etwas von sich selber. So entstehen je nach Art und Wucht der Tendenzen und der Beschaffenheit und Intensität der herantretenden einst gewirkten Formen die unterschiedlichsten Gefühle, die nichts von sich selber wissen. Wie die Triebe, die Tendenzen des Herzens ein programmiertes, automatisches Getriebe sind, das nichts von sich weiß, so entstehen durch die Triebe bedingt, die Gefühle, bedingt entstehend, bedingt vergehend und wissen nichts von sich.

„Was man fühlt, nimmt man - wahr" (Wahrnehmung - 3. Zusammenhäufung), sagt der Erwachte. Jede Wahrnehmung, die aufblitzt, enthält den Eindruck: „Ich bin, ich sehe, höre, rieche, schmecke, taste das." Aber wenn wir die Wahrnehmung fragen, so weiß die Wahrnehmung nichts von sich, sie ist sich ihrer selbst unbewusst. Wie ein Feuer, das aus Stroh, Holz oder Kohlen entzündet wird, brennt, ohne dass es weiß, dass es brennt, so weiß die Wahrnehmung nichts von sich, aber entwirft die Vorstellung: „Ich erlebe dies."

Auf das Wahrgenommene reagiert der Geist (4. Zusammenhäufung): „Das mag ich, das mag ich nicht, das soll bleiben, das soll verschwinden. Das muss ich so lassen, das muss ich anders machen." Je nach der fünffachen sinnlichen Wahrnehmung ist die denkerische Reaktion, die ihrerseits oft Reden und Handeln auslöst (4. Zusammenhäufung). Jeden Augenblick ist eine andere Wahrnehmung, und jeden Augenblick denkt „es" in Reaktion darauf, und meistens in bereits eingespielten Reaktionen, um das Gewünschte zu erlangen, das Unerwünschte zu meiden (programmierte Wohlerfahrungssuche - 5. Zusammenhäufung).

Die fünf Zusammenhäufungen oder westlich ausgedrückt - Körper (Form), Seele (Triebe in der zu sich gezählten Form, dem Körper), Geist (4. und 5. Zusammenhäufung) - sind vergänglich. Der Körper besteht, wenn es hoch kommt, 70-90 Jahre, die Seele, die Triebe des Herzens, verändern sich durch jeden neuen Gedanken. Jeden Augenblick ändern sich Gefühle und Wahrnehmungen und dadurch bedingt die Reaktion, die Denkinhalte, der Geist.

Wenn man dieses Getriebe, das sich „ich bin" nennt, genauer betrachtet, dann sieht man, dass man dem gleichen Irrtum verfallen ist, wie wenn man ein herumrasendes Rad, an dem fünf einzelne brennende Fackeln aufgesteckt sind, die den trügerischen Eindruck eines zusammenhängenden Scheines machen, für einen zusammenhängenden Feuerkreis hält. Der Gedanke „ich bin" ist bedingt durch ein ungenaues Untersuchen, durch ein ungenaues Nachdenken. Die genaue Untersuchung ergibt, dass da kein „Ich" ist und kein „die Welt" ist, dass alles vergänglich, ichlos, ohne Eigen ist, dass alles bedingt entsteht, vergeht.

Wenn die Menschen nicht nüchtern-ruhig untersuchen, dann verfallen sie dem Wahn und hängen sich an etwas, das ihnen nicht das ersehnte, dauerhafte Wohl bringt, und so werden sie genarrt und von Enttäuschung zu Enttäuschung geworfen. Wenn eine Wahrnehmung aufblitzt, die sie beglückt, dann wollen sie das Glücksgefühl auslösende Objekt halten, aber indem sie es halten wollen, zerrinnt es, und indem es zerrinnt, sind sie gequält. Die Menschen suchen Sicherheit, Frieden und Freiheit. Aber wir müssen wissen, dass Sicherheit, Frieden und Freiheit nicht in dem wohnen können, das vergänglich und darum leidvoll und ohne ein Ich ist. Dasein ist Genarrt sein und darum Kranksein, Wundsein, Wehsein.

Von daher erwächst die Frage: „Was muss ich tun, um aus diesem Leiden herauszukommen, um Frieden und Sicherheit zu erlangen?" Im Christentum haben wir das Lied:

Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh,

Wer deckt sie mit schützenden Fittichen zu?

Frieden und Ruhe ist erst dann, wenn die Triebe des Herzens, diese Summe von durch falsche Bewertung geschaffenen Unkräften aufgelöst sind, wenn alles Getrieben- und Gejagt sein aufhört.

Um das Kraftfeld der Tendenzen zu beruhigen, sind zwei Hauptübungen erforderlich:

Die Orientierung, wie im Vorangegangenen geschehen, und immer die Richtung zu wissen, in der wir fortschreiten wollen. Ebenso wichtig ist zu wissen, wo wir stehen und was unser nächster Schritt sein muss. Die zweite Hauptübung ist, die wahrhaft besudelnden, gemeinen, unwürdigen Dinge abzutun. Um sie abtun zu können, müssen wir gute Triebkräfte in uns, die zurzeit noch schwach sind, erst verstärken, um besser die unguten überwinden zu können. Der Erwachte gibt ein Gleichnis. Er sagt: Wenn ein erfahrener Schreiner oder Tischler, sei er Meister oder Geselle, einen groben Keil, den er vorher in ein zu bearbeitendes Holzstück hineingetrieben hat, wieder herausbekommen will, dann treibt er einen kleineren Keil daneben hinein. Auf diese Weise kommt der grobe Keil langsam heraus. So ist es notwendig, er­tragende, gewährende Gesinnung, Sanftmut, Milde, Rücksicht, Liebe und Erbarmen zu entwickeln (kleiner Keil), um dadurch verweigernde und entreißende Gesinnung, Ärger, Zorn, Groll, Rücksichtslosigkeit, Hass und Grausamkeit zu überwinden (grober Keil). Ist dieser feine Keil von positiven Gedanken und Neigungen im Tendenzenfeld, dann wandelt sich der Geschmack und das Urteilsver­mögen, dann wird der Weg klarer, eine große Anzahl von Hemmungen fallen fort, dann beherrscht man die Situation besser und geht von da ab sicherer, weniger strauchelnd und fallend vorwärts.

Aus diesen zwei Hauptübungen ergeben sich vier praktische Übungen oder Übungsschritte:

- Rechte Anschauung pflegen, die Dinge sehen, wie sie sind.

- Besinnungen pflegen, die die Sehnsucht und Kraft zum Guten wecken.

- Besinnungen, die Abscheu und Abstoßkraft vor dem Üblen mehren,
die die negativen Folgen des Üblen vor Augen führen. Die Verderb­lichkeit des Verderblichen muss aufscheinen.

- Sich einen Rahmen, einen Zaun um bestimmte ungute, absolut zu überwindende Untugenden setzen, der nicht überschritten werden darf, d.h. bestimmte Tugendregeln um keinen Preis, unter keinen Umständen mehr übertreten. Weil man diesen Vorsatz vor sich selber nicht übertreten darf, sollte man sich nicht zu viel vornehmen. Lieber wenig vornehmen und das auf keinen Fall übertreten.

Durch die drei ersten Übungsschritte wächst im Laufe der Zeit die Kraft zum Guten und das Abstoßen vom Schlechten von selber, und man mag nach Jahren noch denselben Vorsatz haben: „Das und das Untugendhafte will ich nie tun“, und man tut in Wirklichkeit schon zwanzig weniger schlimme Dinge auch nie mehr, ohne dass man sie schon aufgenommen hat in die absoluten Grenzen, die man nicht mehr übertreten darf und soll. So wird das Fortschreiten auf dem Heilsweg immer wirksamer und leichter.