Die sieben Erwachungsglieder, auch "7 Faktoren der Erleuchtung" genannt,  sind Stadien allmählichen Erwachens aus dem Wahntraum und lassen in das Nirvana einmünden.

Die sieben Erwachungsglieder gehören zu den grundlegenden Lehren. Jeder Buddha und jeder Heilige kam zur Erlösung über die Entfaltung dieser Glieder der Erwachung. Wie hoch diese sieben Stufen der Erwachung auf dem gesamten Heilsweg stehen, zeigt sich daran, dass schon die erste von ihnen jene stille Beobachtung ist, die zur Durchführung der Satipatthana-Übungen erforderlich ist.

Als allgemeine Voraussetzungen werden genannt: Sich mit der Lehre befreunden und den Achtpfad betreten, womit die ernsthafte Nachfolge beginnt, was sich in Geben, Tugend, Weisheit, Meditation ausdrückt.

Bei der traditionellen Form des Übens verschafft man sich von Zeit zu Zeit einen Überblick darüber, wie die Faktoren der Erwachung entwickelt sind. Vom Erwachten wird auf die gründliche Aufmerksamkeit hingewiesen, die tief in die Vorgänge der Existenz eindringt. Die ersten fünf Erfahrungsschritte liegen vor der Vertiefung, d.h. vor den Schauungen. Diese sind also auch für denjenigen, der noch nicht den Stromeintritt erlangt hat, offen.

Je gründlicher jemand die Lehren, wenn er sie gehört und aufgefasst hat, im Gemüte erwägt und über sie nachsinnt bzw. im Geiste sie anblickt, um so mehr gewinnt er ein rechtes Verständnis auch von diesen Erweckungsfaktoren.

Erstes Erwachungsglied: Achtsamkeit, Selbstbeobachtung

Die Achtsamkeit hat die Funktion, die Entwicklung aller anderen Elemente der Erwachung zu fördern. Der Weg geht zunächst über das Hören, Lesen, Bedenken der Lehre des Erwachten. Man vernimmt etwas, d.h. verschiedene Lehrelemente und irgendwann erfährt man im eigenen Leben, dass es "wahr" ist, die eigene Erfahrung es bestätigt. Das ist ein sehr glücklicher Moment, ein intuitives Aha-Erlebnis. Die Achtsamkeit blickt in die Tiefe und erfährt einen Moment der Wachheit. Das ist überhaupt der Anfang im Beschreiten des Weges. Je nach Psyche und Charakter wird sich der Zugang zur Erwachung subjektiv anders gestalten. Und wer etwas davon formuliert und mitteilt, der kann in Stichworten bestenfalls den Aspekt andeuten, der ihm aufleuchtete.

Sich Aspekte der Lehre in Erinnerung rufen, kann täglich geschehen. Oder wir können im täglichen Leben achtsam auf Körper und Geist und unseren Reaktionen auf äußere Umstände sein. Dies kann geschehen durch Achtsamkeit beim Autofahren, im Familienleben wie auch bei der Arbeit. Wenn wir hinschauen, werden wir immer klarer die Muster der Gewohnheiten und Ängste entdecken, die oft schon seit langem unser Leben beherrschen.

Der Buddha sagte aber auch: "Zu einer Zeit aber, wo im Mönche die Achtsamkeit gewärtig ist und ungestört, da ist er mit dem Erwachungsglied der Achtsamkeit (sati-sambojjhanga) ausgestattet, da pflegt er dieses Erwachungsglied, da bringt er es zur vollen Entfaltung." D.h. der so weit Fortgeschrittene ist zum unabgelenkten, kontinuierlichen, lückenlosen, unmittelbaren Beobachten des Entstehens und Vergehens der sich gegenseitig bedingenden fünf Aneignungen, Zusammenhäufungen, der sechs auf Berührung von Sinnendingen gespannten Sinnensüchte fähig. Nur ein mit diesem Maßstab geleitetes Beobachten und Üben führt auf die Erwachung hin. Nur solche Beobachtung ist das erste Erwachungsglied, und nur aus der so beschaffenen Beobachtung können die sechs anderen hervorgehen.

Für den Laien aber wird besonders auf die sechs unübertrefflichen Andachten (siehe dort) hingewiesen, die das Herz auf das Heil ausrichten.

Zweites Erwachungsglied: Lehrergründung

Das bedeutet, in den Formulierungen der Lehre das wiederzufinden, was man in intuitiver Schau direkt erfahren hat. Der Kenner erfährt immer mehr durch gründliche Satipatthana-Übung die existentiellen Zusammenhänge, erkennt um so mehr die Wirklichkeit und von daher versteht er auch im ganzen die Aussagen des Erwachten in den Lehrreden besser.

Entscheidend ist, dass man immer genauer und feiner die Aussagen der Lehre unterscheiden kann, d.h. die Trennschärfe zunimmt. Ist die Eigenschaft der Untersuchung zu schwach ausgebildet, könnte man in blinden Glauben verfallen.

Der Mensch, der an die Lehre herankommt, hat noch ganz andere Denk-, Empfindungs- und Wissensmuster, an die er so gewöhnt ist, dass ihm nach seinen Trieben die neuen Maßstäbe und Strukturen der Lehre befremdlich erscheinen müssen. Oft wird ihm die Lehre mit ihrer Wissensfülle wie ein Wust vorkommen. Aber was zunächst unklar und verschwommen war, nämlich Heilsames und Unheilsames, das wird immer klarer unterschieden. Dazu aber musste der Buddha mit dem lauten Löwenruf und der Trommel der Unsterblichkeit die tief schlafenden und träumenden Menschen aus ihrer Gewohnheit erwecken. Der allmählich Aufwachende erkennt in der Existenz die Gültigkeit der Lehrreden und in den Lehrreden erkennt er die Existenz wieder. So erwächst in ihm eine Sicherheit, dass er auf dem Felsgrund der Wirklichkeit steht, und diese Sicherheit erfüllt ihn immer mehr.

Drittes Erwachungsglied: Tatkraft, Energie

Aus der so erwachsenen Sicherheit das das dritte Erwachungsglied hervor, das wir mit Tatkraft oder auch "Tapferkeit" übersetzen können. Es bedeutet jedoch nicht, dass wir uns bei der Meditation oder im Leben krampfhaft bemühen sollten oder dass wir kämpfen müssten. Anstrengung hat die Eigenart, uns zu unterstützen und zu nähren. Es ist eben so, dass wir in dem gleichen Maße Tatkraft und Energie für ein Unternehmen entwickeln, als wir über den lohnenden, nützlichen, guten Charakter der Sache volle Sicherheit und Zuversicht haben. Alle Willenlosigkeit kommt aus Unklarheit. Je klarer aber einer sieht, dass er sich auf den besten Wegen zu den besten Zielen befindet, um so mehr wachsen ihm Flügel, wächst Tapferkeit und Tatkraft, und um so machtvoller und unwiderstehlicher schreitet er vorwärts.

Die erste Anstrengung zielt darauf, heilsame Zustände zu verstärken oder zu pflegen, die uns ohnehin schon eigen sind. So bemerken wir beispielsweise das Auftauchen großzügiger Gedanken in unserem Geist. Wir bemühen uns, diese zu bewahren und zu entwickeln. Die zweite Anstrengung richtet sich darauf, sich nicht in unzuträgliche oder schädliche Zustände verstricken zu lassen, wenn sie auftauchen, z.B. durch Gier. Die dritte Anstrengung, besteht darin, zuträgliche und schöne Zustände, die sich noch nicht entwickelt haben, in uns zu entfalten, so die Entwicklung von Freundschaft, Vergeben und Gewahrsein zu fördern. Die vierte Anstrengung bezieht sich darauf, unzuträgliche Zustände, die sich noch nicht manifestiert haben, zu vermeiden. Wenn wir wissen, dass bestimmte Situationen oder Umstände in uns solche unerträglichen Zustände erzeugen, können wir entschieden darauf hinwirken, dass wir nicht in solche Situationen hineingeraten.

Also gibt es diese tatkräftige Freude nicht nur für den Mönch, sondern auch für die Hausleute. Der Buddha versicherte dem Pilger Potthapado: "Die trübenden Dinge können da verloren, die läuternden erworben, die Weisheit in ihrer Fülle und Weite kann noch zu Lebzeiten offenbar gemacht, verwirklicht und errungen werden: Freude aber geht zugleich auf, Jubel und Besänftigung, Achtsamkeit und Klarbewusstsein und ein glückliches Verweilen."

Viertes Erwachungsglied: Geistige Beglückung, Jubel

Ebenso wie es bei der Freude eine weltliche und eine überweltliche Weise gibt, so auch beim Jubel. Erwachungsglieder aber sind nur die überweltlichen Weisen. Allerdings sind die weltlichen Formen eine Vorschule, eine Vorfreude auf die spirituellen Erfahrungen. Der weltliche Jubel ist bei den alten Indern nicht das, was wir "Jubel, Trubel, Heiterkeit" nennen, sondern er hat in der Pali-Sprache eine emporziehende, herzerweiternde Bedeutung, einen Zug nach oben, eine göttliche Komponente. Weil die mystische Tradition bei uns im Abendland schon lange versandet ist, sind auch die Erfahrungen dieser Frohsinnsformen nicht bekannt, und wir sind, dem Gesetz der Schwerfälligkeit folgend, dann leicht geneigt, das, was hier noch Freude ist, schon als "Jubel" zu benennen.

Was nun ist dieser überweltliche Jubel als Erwachungsglied? Es ist geistige Beglückung und Entzückung, daher auch eine völlige Beruhigung des Körpers und die daraus folgende Einung des Herzens. Ein Hochgefühl oder Höchstgefühl. Zunehmende Heiterkeit, abnehmende Umwölkung, ausgeglichene Stimmung, innere Autarkie entstehen, weil man immer weniger von den Sinnesobjekten abhängig wurde. Man merkt mit einer nicht beschreibbaren inneren Klarheit, was Gefangenschaft ist, Fesselung ist, Abhängigkeit ist und was Freiheit ist.

Dieses geistige Entzücken kann durch meditative Lehrbetrachtungen, die von der Welt abziehen, erweckt werden. Aber diese Beglückung, dieser Jubel kann auch völlig ohne Anlass plötzlich aus heiterem Himmel hereinbrechen, aus vollem Herzen hervorbrechen. Der von der Weisheit Geprägte wird eher bei Lehrgedanken jubeln, der Gemütstyp empfindet ihn eher aus der Tiefe des Gemütes.

Fünftes Erwachungsglied: Stillwerden, Besänftigung

Der geistige Frohsinn der bisherigen Erweckungen wirkt jetzt stark in den Körper hinein. Diese fünfte Erweckung wird mit zwei Begriffen genannt: Körperbesänftigt fühlt man Wohl, sich wohlfühlend wird das Herz gereinigt. Es stellt den Übergang von geistigem Entzücken zur vollen Herzenseinigung dar. Das Bewusstsein ist immer auf das unter den jeweiligen Bedingungen erreichbare größtmögliche Wohl aus, das unter den jetzigen Umständen durch die Verzückung des Geistes entsteht. Dieses Wohl ist so überwältigend, dass die "programmierte Wohlerfahrungssuche" sich nun ganz dorthin wendet.

Es bedeutet, dass zu dieser Zeit durch keinen der fünf Sinne nach außen gelugt wird, um äußere Dinge zu erfassen, so dass der sonst dauernd wildbewegte Körper von seiner Arbeit als Sinnenwohlbeschaffer befreit ist und still wird. Dadurch wird das Entzücken noch größer, so dass auch der Geist still wird.

...unser Körper wird leicht und transparent wie ein klarer Frühlingshimmel, eine große Zufriedenheit erfüllt uns. So lernen wir, dass Glück einem ruhigen Herzen entströmt und nicht durch Veränderung äußerer Umstände entsteht...

Dieser Zustand wird dadurch zum Erleuchtungsglied, dass der Erfahrer sich jetzt nicht daran bindet, dieses Stillwerden zu genießen, sondern dass er nun eingedenk der Bedingtheit auch dieses Geschehens ihm still zuschaut, ohne seinen Gleichmut zu verlieren.

Sechstes Erwachungsglied: Herzenseinung

Geeint-Sein bedeutet, dass der Mensch nicht zerstreut, zerfahren, gespalten ist. Ein Mensch, der sich in die Welt hinein ausbreitet, der das Begegnende als "Mein" und als Interessengebiet festhält, der ist zerstreut; erst mit dem Begehrten vereint, fühlt er sich für kurze Zeit befriedigt.

Einigung (samadhi-sambojjhanga) dagegen ist das Erlebnis seligen Friedens im vollständigen Zur-Ruhe-Kommen alles nach außen gerichteten Dichtens und Trachtens und Suchens und Drängens. Es ist die Erfahrung von Wohl und Seligkeit und Frieden und Freiheit in sich selbst ohne irgendwelche Mittel im unmittelbaren Sosein, in der Beschaffenheit des reinen und beruhigten Herzens, unabhängig von Dingen und Ereignissen, abseits von aller Vielfalt. Die Einheit von Innenwelt und Außenwelt.

Siebtes Erwachungsglied: Erhabener Gleichmut

Von einem Mönch, der dieses siebte Erwachungsglied vollendet hat, sagt der Buddha: "Der blickt mit erhabenem Gleichmut auf das geeinte Herz:"

Viele Menschen glauben fälschlicherweise, spirituelle Übung mache den Menschen kraftlos und passiv. In Wahrheit haben Eigenschaften wie Gleichmut ungeheure Kraft. Hier geht es also nicht um stumpfe Gleichgültigkeit.

Wer in der Welt gleichmütig ist, der kann durch überweltliche Dinge aus dem Gleichmut herausgerissen werden, wer über Diesseits und Jenseits gleichmütig ist, der mag durch den Ausbruch der Weltlosigkeit aus diesem Gleichmut herausgerissen werden. Wer aber seinen Gleichmut aus über Weltlichkeit und Weltlosigkeit ausgebreitet hat, der ist nicht mehr treffbar, der ist nicht mehr verstörbar, nicht mehr verwundbar, der ist wahrhaft sicher, der ist wahrhaft befreit.

Anmerkung

Das Bojjhanga-Samyutta (Nr. 46 Samyutta-Nikaya) ist in über hundert Reden des Erwachten zu finden. In allen buddhistischen Traditionen sind die sieben Faktoren, die sieben Erweckungen zu finden. Sie gehören zu den Dingen, über die auch nicht zwei Mönche verschiedener Meinung waren.