Zum Erhabenen sprach der ehrwürdige Ananda, der Jünger, der stets um ihn war:

„Außerordentlich ist es, Herr, wunderbar, wie tief da diese Entstehung aus Ursachen ist, wie tief sie hinunterleuchtet. Und doch erscheint sie mir jetzt selbstverständlich.“  -

„Sprich nicht so, Ananda, sprich nicht so! Tief, Ananda, ist diese Entstehung aus Ursachen, tief leuchtet sie hinunter. Infolge der Unkenntnis dieser wirklichen Sachlage, ihrer Nichtentdeckung, kommt dieses Geschlecht nicht über den Samsara hinweg.“

(Samyutta-Nikaya XII, 60)

Die Lehre von der ‚Bedingten Entstehung‘ (paticcasamuppada) ist die Lehre von der Bedingtheit aller sog. individuelles Dasein ausmachenden körperlichen und geistigen Phänomene. Sie bildet, zusammen mit der Lehre von anatta, von der Unpersönlichkeit oder Ichlosigkeit allen Daseins, die unumgängliche Voraussetzung und Vorbedingung zum eigentlichen Verständnis und zur Verwirklichung der ganzen Buddhalehre.

Wenn die folgenden Ausführungen zu weiterem Studium und zu weiterer Vertiefung anregen, so haben sie an dieser Stelle ihren Zweck erfüllt.

Die Formel von der Bedingten Entstehung (oder besser ausgedrückt, des Bedingungsringes, da es ein Kreislauf ist), lautet:

In Abhängigkeit von

Wahn, Nichtwissen, Unwissenheit (avijja)

Wahn, das erste Glied des Bedingungszusammenhanges, ist nicht ein Anfang aus dem Nichts, aus dem leeren Raum, sondern geht hervor aus der lebenslänglichen Kette unserer Erlebnisse von der Geburt an, also aus dem Wahrnehmen von Formen und Gefühlen. Diese Wahrnehmung aber, von welcher wir leben, durch welche wir an Welt und Dasein glauben, vergleicht der Erwachte mit einer täuschenden Fata Morgana, mit einer Luftspiegelung. Das muss man in seiner ganzen Tiefe verstehen. Unser ganzes Denken und Für- wahr - halten und Anstreben von der Geburt an ist Wahn, denn es geht immer nur aus der Wahrnehmung von Formen und Gefühlen (in höheren Daseinsstufen entfällt die Form) hervor.

Der deutsche Physiker Werner Heisenberg stellte fest: Die kleinsten Einheiten der Materie sind tatsächlich nicht physikalische Objekte im gewohnten Sinne des Wortes: sie sind Formen, Strukturen oder  - im Sinne Platons - Ideen.“

Mit anderen Worten: Was wir als Umwelt erleben und als Materie deuten, ist unsere eigene Vorstellung. Die Idee, dass wir mit einem materiellen Körper als Grundlage des Lebens in einer materiellen Welt Leben, ist ein großer Trug unseres Geistes. Der amerikanische Physiker John Wheeler sagt: „Der Kosmos ist nichts unabhängig von uns Existierendes.“

Der unbelehrte Mensch hat die Vorstellung, er lese die Sinneserlebnisse von einer an sich vorhandenen Außenwelt ab, die sinnliche Wahrnehmung sein ein Hereinholen von Formen, Tönen, Düften, Schmeck- und Tastbarem aus einer unabhängig von ihm bestehenden Außenwelt. Dabei ist das, was der Mensch und jedes Lebewesen für "Wissen" von "sich selbst" und "von der Welt" hält, in Wirklichkeit nichts anderes als seine Deutung der Wahrnehmung "Ich" und der Wahrnehmung "Welt". Von keiner Erscheinung in dem, was er für das gesamte All hält, "weiß" der Mensch anders als nur durch die Wahrnehmung.

Hier ist noch anzumerken, dass es mehrere Anfänge des Bedingungsringes gibt, es gibt hier die gegenseitige Bedingtheit von avijja - asava - avijja, also eine Endlos-Schleife zu "Beginn" des Bedingungsringes. Asava bedeutet "drängendes Fließen". Diesen Begriff gebraucht der Erwachte für das drängende Wollen in allen Lebewesen einerseits und für die den Lebewesen wiederum andrängenden Wahrnehmungen (Einfließen).

entstehen die

Betätigungen, Aktivitäten, Karmaformationen (sankhara),

All unser Anstreben und Meiden im Leben (Betätigungen, Aktivitäten, Karmaformationen, s.o.) ist bedingt durch unsere Bewertung der Erscheinungen. So wie einer eine Szene erlebt, so handelt er darauf entsprechend seinem Glauben und Vermeinen über das, was ihn zum Wohl führen könne und wie er Wehe vermeiden könne. Nicht merken, dass das Gesehene Wahn ist und auf diesen Wahn reagieren, das ist Aktivität. Es wird unterschieden zwischen körperlicher Aktivität, denkerischer Aktivität und der Herzensaktivität (Gefühl und Wahrnehmung).

dadurch

Erfassungsgewohnheit, Bewusstsein, programmierte Wohlerfahrungssuche (vinnana),

Die „Bewusstseinserfassung“ folgt der Aktivität, geht aus dieser hervor. Sobald dem Wesen nach der Geburt irgendwelche neuen angenehmen oder unangenehmen Dinge begegnen (Wahrnehmung), entsteht in ihm die Absicht, der Wille, das Angenehme nach Möglichkeit zu erlangen, das Unangenehme nach Möglichkeit zu vermeiden. Aus dieser Absicht geschehen nun - zunächst noch bewusst gelenkt - die einzelnen Erfassungs-Akte, um zu dem Angenehmen zu kommen, von dem Unangenehmen befreit zu werden. Diese Erfassungsakte geschehen irgendwann als Erfassungsströmung. Je häufiger sich eine Szene wiederholt, um so mehr spielt sich diese Tätigkeit ein. So ist die Erfassungsgewohnheit das Weiterschwingen des „Willensschwungrades“, das blitzhafte Herumspringen in den sechsfachen Möglichkeiten (sechs Sinne) zum Hereinnehmen von möglichst angenehmen Formen, Tönen, Düften und zum möglichen Vermeiden der Hereinnahmen von unangenehmen Formen, Tönen, Düften usw.

dadurch

Der körperlich-geistige Organismus, das Psychische und das Physische (nama-rupa),

Nama-Rupa ist jene geistig-seelische und physische Struktur, die wir als "Persönlichkeit“ zu bezeichnen gewohnt sind, wie sie in Erscheinung tritt und vom Bewusstseinsstrom (vinnana) gelenkt und bewegt wird, also das ganze System aus psychischer Struktur (Empfindungsleib) und physischer Struktur (Erscheinungsleib). Das Psycho-Physische ist mit dem alten deutschen Doppelbegriff "Leib-Seele" zu vergleichen, aber ohne den Aspekt von "ewiger Seele". Und rupa bezeichnet nicht nur den grobstofflichen, sondern auch den feinstofflichen Leib und die gesamte äußere Welt, aus welcher der Leib ja durch Ernährung hervorgegangen ist. Der Geist übt dabei ein wertendes Benennen aus.

dadurch

Die sechs Sinnesorgane, sechs Sinnensüchte (das Denkorgan als sechstes betrachtet) (salayatana),

Das sechsfache Gebiet bedeutet, dass das Psycho-Physikum (nama-rupa), eine sechsfache Struktur hat, nämlich Auge (durch welches Formen gesehen werden), Ohr (durch welches Töne gehört werden), Nase (durch welche Düfte gerochen werden), Zunge (durch welche Säfte geschmeckt werden), Tastsinn (der Körper) und Geist mit seinen Denkinhalten. Es gibt einen Ausgangs- und Zielpunkt, Ausgangspunkt ist das, was wir zu "uns" zählen: Luger (Sehtrieb), Lauscher, Riecher, Schmecker, Taster, Denker. Außen wahrgenommene Zielpunkte sind Formen, Töne, Düfte, Säfte, Tastbares, Gedanken.

Für den Sehvorgang zum Beispiel sind zweifelsohne sichtbare äußere Objekte notwendig und das Auge als intaktes Instrument ebenso. Aber hinzu kommen muss auch das Anliegen, der Wunsch, der Drang, sehen zu wollen (oder wenigstens, wie bei einem Heiligen, eine entsprechende Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit). Nur das seh-süchtige und seh-gewohnte Auge wird Farben und Formen ausmachen, und desgleichen werden die anderen fünf Sinnesorgane nur dann tätig, wenn ihnen eine entsprechende Dynamik oder Absicht innewohnt.

dadurch

Bewusstseinseindruck, Berührung (phassa),

Nur soweit die sechs inneren Bereiche als das Erfassende und Empfindende erlebt werden und die sechs äußeren Bereiche als das Erfasste, das bei dem Empfindenden zur Berührung kommt, nur soweit ist Berührung. Was wird wovon berührt? Das Innengebiet vom Außengebiet. Darum kommt durch die Berührung Gefühl und Gewahrung zustande, also Erleben. Wenn z.B. eine äußere Form an das körperliche Auge kommt, dann wird die im Auge wohnende "Sucht" nach Sehen ernährt/berührt.

dadurch

Gefühl, Empfindung (vedana),

Die Anliegen des den Fleischleib durchtränkenden Spannungsleibes schmecken bei der Berührung die erfassten Formen, Töne ab. Die den Spannungen entsprechenden Formen, Töne usw. lösen eine Entspannung und damit Wohlgefühl aus; die entgegen gesetzten dagegen lösen eine Verstärkung der Spannung und damit Wehgefühl aus. Das Gefühl verleiht den einzelnen Erlebnissen und darum unserem ganzen Leben Stimmung und Klang, wodurch unsere Erlebnisse packend werden, uns ansprechen, uns engagieren.

Was bis zu diesem Punkt ein mehr oder weniger passiver Vorgang war, schlägt nun Schritt für Schritt um in Aktivität. Aus bloßem Erleben und Beeinflusstwerden durch die Dinge um mich herum wird Beeinflussung der Umwelt, angestoßen eben durch die Gefühle bzw. unsere Reaktion auf sie.

dadurch

Begehren, Durst (tanha),

Gefühl ist unmittelbare Resonanz der inneren Neigungen auf das vorhandene Erlebnis, das den inneren Neigungen wohl – oder wehtut. Dagegen ist Durst Umsetzung der Resonanz in Intention, Wollensrichtung.

Im Durst werden die begehrten Dinge und Erlebnisse bewusst. Wir möchten etwas Bestimmtes sehen, hören usw. und anderes ganz entschieden nicht erleben. Verlangen setzt sich in Bewegung. Erst ist es der Geist, der um die gewünschten Dinge kreist, sie sich ausmalt, sie herbeisehnt und bald alle möglichen Überlegungen anstellt, wie sie denn zu bekommen sind. Dem Denken folgt das Reden, ihm das Handeln unter Einsatz des Körpers und mancherlei Hilfsmittel.

Der Erwachte nennt verschiedene Arten von Durst: Durst nach Sinnendingen (es ist der Durst nach Genuss durch alle fünf Sinne, an dem sich der sechste Sinn, das Denken, noch durch entsprechende Vorstellungen beteiligt). Zweitens: Daseinsdurst. Es ist der der Drang dessen, welcher da lebt und auch leben will, da sein will, welcher nicht sich auflösen will, sondern so wie er ist, auch weiter da sein will, überhaupt in der Welt, von Welt umgeben sein will. Drittens: Der Durst nach Auflösung (von Anziehung, Abstoßung, Blendung).

dadurch

Aneignen, Anhaften, Anhangen (upadana),

„Aneignen“ geschieht überall da, wo man durch Wirken ( in Gedanken, Worten, Werken) der fühlbar gewordenen Neigung (Durst) nach Genießen oder Abweisen ganz folgt, sich das Ziel, das der Durst anstrebt „zu eigen macht“. Damit ist das im Durst zum Ausdruck gekommene Verhältnis des erlebten Ich zu der betreffenden erlebten Begegnung im Dasein erhalten geblieben.

dadurch

Schaffsal, Werdeprozess, Erscheinungspotential (bhava),

Was auch immer ein Wesen mit Absicht und zur Befriedigung des Gefühls wirkt, das bestimmt seine Ernte. Das absichtliche Wirken zur Befriedigung des Gefühls erzeugt ununterbrochene Wirkungen, die unmittelbar oder irgendwann später an den Menschen herantreten, "empfunden" werden.

Dasein (Geriesel aller je angeeigneten Erscheinungen) besteht nicht statisch, sondern als „Werden“ als Strom, als „Flucht“ der Erscheinungen in drei Bereichen: Werden im Sinnensuchtbereich, Werdesein im reinen Formbereich, Werdesein im (rein geistigen) Nichtformbereich.

dadurch

Geborenwerden, Wiedergeburt (jati),

In der Naturwissenschaft glaubt man, dass Dasein durch Geburt bestehe. Erst wenn man geboren sei, sein man "da" oder frühestens nach der Zeugung durch die Eltern. Aber in der Lehre des Buddha heißt es, dass Dasein die Bedingung sei für Geburt. Dasein bedeutet, dass das wollende Wesen immer besteht, dass es jetzt nur wieder einen irdischen Körper anlegt.

Dasein ist die Voraussetzung für Geburt. Die Wesen müssen schon da sein, um geboren werden zu können: ein für unseren beschränkten Blick jenseitiges Wesen tritt im Augenblick der Zeugung (bei Werdesein im Sinnensuchtbereich) in den Mutterleib ein und umkleidet sich von da an mit sinnlich wahrnehmbarer Form, dies ist „Wiedergeburt“.

dadurch

Altern und Sterben, gehen Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweifelung hervor (jara-marana).

Solange Wahn (avijja) da ist, solange ist auch Wirksamkeit, Anstrengung, und solange wird immer wieder ein Körper geboren, altert und stirbt - solange verläuft „Leben“ immer nur von der Geburt auf den Tod zu. Das nennt der Erwachte Altern. Im weiteren Sinne muss alles, was bedingt entstanden ist und also wieder vergehen muss - also alles außer dem höchsten, absoluten Wohl und Heil (nibbana) - der "Geburt“, dem Altern und Sterben unterworfen sein.


In verschiedenen Lehrreden erläutert der Erwachte den Kreiszusammenhang des Bedingungsringes näher. Dadurch wird ersichtlich, dass es noch mal innere Achsen des Daseinskreislaufes gibt.

In der Mittleren Sammlung Nr. 9 - Die rechte Erkenntnis wird die innere Achse avijja (Wahn, Unwissen) und asava (Einflüsse) beschrieben.

In der Längeren Sammlung Nr. 15 - Abkunft wird die innere Achse vinnana (Bewusstseinsablauf, programmierte Wohlerfahrungssuche) und nama-rupa (Psychisch-Physisches, bzw. wertendes Benennen des Gestalteten) beschrieben.

Diese beiden Lehrreden empfehlen sich zum weiteren Selbststudium.