Kindheit und Jugend Siddhatthos.

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Nach der Geburt ihres Sohnes kehrte Maya sofort zur Residenzstadt Kapilavatthu zurück und voller Freude empfing der König seinen erstgeborenen Sohn.

Danach kam der Seher Asito, einer jener Asketen, die in der Einsamkeit zu besonderen Fähigkeiten durchgedrungen waren, an den Königshof und er bemerkte jene zweiunddreißig Körpermerkmale, die von den Brahmanen seit uralten Zeiten als Zeichen eines Erwachten angegeben wurden. Er erklärte dem König, sein Sohn würde ein Weltenherrscher oder ein Erwachter werden.

Am siebten Tag aber starb plötzlich seine Mutter. Königin Maya starb so sanft und schmerzlos, wie sie geboren hatte. Während des Schlafes löste sich ihre Seele vom Leibe. Abends war sie in der Menschenwelt eingeschlafen, aber als sie aufwachte, da lebte sie in einer Götterwelt. Sie war dahin entrückt worden, woher ihr großer Sohn gekommen war, in den Himmel der Seligen, der Stillzufriedenen, in den Tusita-Himmel.

Für Maya selber war der Tod kein Unglück, sie lebte danach ungleich glücklicher, als es in der menschlichen Welt möglich war.

Der Verlust an mütterlicher Fürsorge für den jungen Prinzen wurde sofort danach dadurch wettgemacht, dass die Schwester seiner Mutter, die zweite Gemahlin des Königs, sich seiner an Mutter Statt annahm, so dass das Kind den Wechsel überhaupt nicht zu bemerken brauchte.

Mit der Erwähnung, dass am siebenten Tage Maya gestorben sei. bricht der Kindheitsbericht im Palikanon ab, so dass über die Kindheit des Buddha ebenso wenig überliefert ist wie über die Kindheit Jesu. Erst später wurden bei beiden Religionsgründern diese Lücken durch apokryphe Berichte ausgefüllt. Von den erbaulichen Geschichten. die in der buddhistischen Tradition erzählt wurden, braucht daher kaum etwas erwähnt zu werden. Dass der Prinz die beste Ausbildung erhielt, ist kaum nötig zu erwähnen, ebenso, dass er gut lernte und seine Lehrer übertraf. Zu bemerken ist ein Charakterzug seltener Art: Er ließ nämlich manchmal seine Spielgefährten absichtlich gewinnen, um nicht immer Sieger zu sein, wie es seine Fähigkeiten ergaben. Ein weiteres Zeichen für seinen guten Charakter zeigt sich in der Geschichte vom Schwan. Der Vetter des Buddha, Devadatto, der zu seinen Spielgefährten gehörte, hatte einst mit dem Pfeil einen Schwan getroffen, der aus der Luft herabstürzte. Beide Knaben liefen herzu. Der künftige Buddha kam eher an, zog dem Schwan den Pfeil aus der Wunde und versuchte, sein Leben zu retten. Devadatto war ärgerlich und beanspruchte das Tier als seine Beute. Der Streit wurde von ihm so hartnäckig verfolgt, dass die Sache vor den Kronrat kam. Dieser entschied, dass dem Lebensretter der Vorzug vor dem Lebensberauber gebühre, und so konnte Siddhattho den Schwan, den er am Leben erhalten hatte, gesund pflegen.

Im Kanon ist aus der Jugendzeit Siddhatthos nur ein einziges, aber dafür sehr bemerkenswertes Ereignis berichtet, welches sich etwa im siebenten Lebensjahr des Prinzen abgespielt haben dürfte. Sein Vater hatte ihn damals im Frühjahr mit aufs Land genommen, wo der König die Pflugzeremonie vollführte. Währenddessen hatte man das Kind in den Schatten eines Rosenapfelbaumes (Jambu) gesetzt, jenes Baumes, von dem der indische Subkontinent damals seinen Namen (Jambu-dipa = Halbinsel des Rosenapfels) erhielt, weil seine Form der des Rosenapfels entspricht. Siddhattho sah die Bauern schwitzend auf den Feldern arbeiten, sah die Ochsen unter dem Joch ächzen. Er sah eine schöne Eidechse über den Boden huschen, aber sie verschlang Insekten. Er sah, wie eine Schlange kam und die muntere Eidechse verschlang. Und er sah, wie ein Raubvogel herabstieß und die Schlange zur Beute nahm. Während er so bewusst das Leben ansah, begann er tiefer nachzudenken. Von einer tiefen Barmherzigkeit erfüllt, hatte er die Schranken zwischen Ich und Welt aufgehoben, hatte ein Bewusstsein der Einheit errungen, eine Einigung, die die christlichen Heiligen "unio mystica" nennen. Die Vielfaltswahrnehmung war ihm geschwunden, das Theater des Lebens mit seiner Tragik war still geworden, und dafür war ihm ein hohes und helles, ein seliges Bewusstsein der Freiheit vom Leiden aufgegangen, das in der indischen Tradition "die sinnend gedenkende, selige Heiterkeit, die Weihe der ersten Entrückung" heißt. Er war damit der Sinnenwelt entrückt , innerlich von brahmischer Art. Nach einiger Zeit sank er wieder in das gröbere sinnliche Bewusstsein der Weltvielfalt zurück. Auch die Ammen und Wächter, die auf ihn aufpassen sollten, die aber über dem Zuschauen bei der Pflugzeremonie das Kind vergessen hatten, kehrten zu ihm zurück. Da heißt es nun, dass der Schatten des Rosenapfelbaumes inzwischen nicht weiter gewandert sei wie bei den anderen Bäumen, sondern dem Knaben weiter Schatten gespendet habe. Flugs berichteten sie dies neue Wunder dem König. Er eilte herbei, und als er sich davon überzeugt hatte und seinen Sohn im Nachglanz einer überweltlichen Heiterkeit strahlen sah, da beugte er ein zweites Mal die Knie vor ihm und bezeigte ihm seine Verehrung. "Ein Baum gehorcht ihm" sagte er sich, und das konnte nur Macht über die Natur bedeuten.

Nachdem der Knabe schon durch die Erziehung und das Hofleben tief in die Tradition der vedisch-brahmischen Religion und Kultur eingedrungen war, ging ihm durch sein Erlebnis noch ungleich stärker ein Verständnis für die Existenz auf. Er begann jetzt öfter tiefsinnige Fragen zu stellen, die sein Vater nicht zu beantworten vermochte. Daher fürchtete der Vater, dass der Knabe sich mehr und mehr dem religiösen Leben zuwenden würde. Die Askese war damals oft düstere Selbstqual und sehr heroisch, aber, wie Suddhodano meinte, am falschen Ort. "Mein Sohn braucht kein Buddha zu werden", sagte er sich öfter. "Was sollte denn die Askese? Um der Erde Schätze einzubüßen und wer weiß welche geistigen Güter zu erlangen?" Er berief daher seinen Kronrat ein und fragte ihn um Rat, wie man den Prinzen von der Neigung zur Betrachtung abbringen könne. Die Kronräte meinten, das sei nicht schwer. Das von altersher erprobte Mittel sei, den Sinn auf irdische Bindung zu lenken, d.h. den Prinzen zu verheiraten. Suddhodano stimmte dem Rat zu und beschloss ferner, seinem Sohn einen Pflichtenkreis zu schaffen, der ihn vorbereiten würde auf seine eigentliche Aufgabe, ein Weltherrscher zu werden.

Darüber, wie es dann zur Vermählung des Prinzen Siddhattho kam, entwerfen die indischen Quellen ein buntes Bild, doch bleibt - wenn man durch manche Ausschmückung hindurchsieht - ein Bericht von Vorgängen, wie sie sich auch in abendländischen Fürstenhäusern abgespielt haben könnten.

Schließlich lebte Siddhattho nach seiner Vermählung gemeinsam mit seiner Ehefrau Yashodara wie auf einem Schloss "sans souci" (ohne Sorge). Und doch war dieses Leben im Vergleich zu dem Leben, das er im Tusita-Himmel geführt hatte, nur ein kläglicher Ersatz. Weil uns der Vergleich mit dem Lebensgefühl der verschiedenen himmlischen Daseinsformen fehlt, deshalb reicht unsere Fantasie auch nicht weiter. Aber die Unbeschwertheit der höheren Himmel mit ihrer viel längeren Lebensdauer, mit ihrer Freiheit von Erdenschwere und überhaupt der größeren Vergeistigung der Materie war dem Erdenleben Siddhatthos weit, weit überlegen. Schon von daher konnte er damit nicht voll zufrieden sein. Dreizehn Jahre lebte er so zusammen mit Yasodhara, ausgestattet mit aller Herrlichkeit auf Erden, in seinem Elysium. Als Kronprinz nahm er auch an den Staatsgeschäften teil, am Leben der verzweigten Familie der Gotamiden und am Leben seines Volkes. Aber der Mittelpunkt seines Lebens waren seine drei Paläste und in ihnen das Frauenjuwel Yasodhara.

Hatte der Bodhisattva die Klarheit über sein Lebensziel, die er bei seiner Geburt verkündete, und die Klarheit seines Entrückungserlebnisses vergessen, nachdem er im Luxus lebte? Ja und nein. lm Oberbewusstsein waren diese höheren Einsichten und Erlebnisse verdrängt, verdrängt durch den Andrang der täglichen angenehmen Erlebnisse. Unser normales Weltleben besteht überhaupt in einer ständigen Verdrängung desjenigen Zusammenhangwissens, das unser tieferer Geist noch von unserer Wanderung durch den Daseinskreislauf besitzt. Der Rausch des Lebens, der Jugend und der Gesundheit hatte bei ihm zunächst die anderen Einsichten verdrängt. Aber was verdrängt ist, ist nicht aufgelöst, sondern wirkt aus dem Unbewussten und Unterbewussten weiter. Immer wieder, wenn der Bodhisattva wie damals unter dem Rosenapfelbaum das Leid des Lebens merkte, rührte er auch an seine tieferen Schichten. Da hörte er bei den Sakyern von einer Hungersnot in Indien, hörte von Naturkatastrophen, erlebte die Strafgerichtsbarkeit des Königs, erfuhr von den mancherlei Unglücksfällen des Lebens. Vor allem aber und als Quintessenz aller einzelnen Leiden schälten sich ihm nach und nach drei Ereignisse heraus, auf die es ankam, wann man glücklich leben Wollte. Diese drei Ereignisse des Lebens hießen: Alter, Krankheit und Tod. Wo sie herrschten, da war kein Glück. Glücklich leben konnte man dann, wenn sie fern waren. Der dreifache Rausch, in dem er lebte, bestand eben darin, dass derzeit noch Jugend statt Alter, Gesundheit statt Krankheit, Leben statt Tod ihn umgaben und so den Anschein ungetrübter Dauer erweckten. Die buddhistische Tradition hat diese existentielle Erfahrung in drei reale Begebenheiten einer Begegnung mit einem alten Mann, mit einem Kranken und einem Leichnam umgemünzt, oder genauer gesagt, sie hat die Schilderung einer solchen realen Begegnung, wie sie in Digha Nikaya 14 von dem früheren Buddha Vipassí gegeben wird, auf unseren Buddha übertragen. Dabei vergaß man aber, dass das, was bei Vipassí und der viel längeren Lebenszeit der damaligen Menschen möglich war, nämlich einem Prinzen die Phänomene Alter, Krankheit und Tod lange Zeit völlig vorzuenthalten, bei uns kurzlebigen Menschen völlig unmöglich ist. Der Bodhisattva von Kapilavatthu wäre kein Bodhisattva gewesen, wenn er nicht selber jene drei Phänomene gemerkt hätte, indem immer wieder Menschen seiner Umgebung starben, seine Verwandten alterten und Krankheiten auftauchten. Nur eine ungewöhnliche Oberflächlichkeit hätte das übersehen können. Seine Gedanken kreisten immer wieder um jene drei Phänomene:

A 1 t e r : Das ist der Feind, der uns stündlich näher kommt, sich unser bemächtigt und uns verwandelt, während wir glauben, immer noch dieselben zu sein. Merklich-unmerklich geschieht das Altern. Alle Schönheit und aller Glanz erschien dann dem Prinzen wie ein Schein von Täuschungen, der mühsam das Elend der Wirklichkeit verhüllte. Und er sagte sich: ”Wahrlich, der unkundige Weltling, selber dem Alter unterworfen, ohne ihm entrinnen zu können, ist bedruckt, abgestoßen und ekelt sich, wenn er Gealterte sieht - sich selber aber lässt er dabei außer Acht. Doch auch ich bin ja dem Alter unter  worfen, kann ihm nicht entgehen. Würde ich also beim Anblick Gealterter bedruckt, abgestoßen und mich ekeln, so wiirde ich mich selber übergehen. Indem ich also sann, schwand mir jeglicher Jugendrausch. ” (Anguttara Nikaya Ill, 38).

K r a n k h e i t : Und die Gesundheit, merkte Siddhattho, ist auch nur ein schöner Traum, aus dem das Erwachen furchtbar ist. Noch grausamer als der erste Feind, das Alter, ist dieser zweite Feind, der plötzlich aus dem Hinterhalt hereinbricht und uns überfällt, dem Alter zuvorkommend und später mit ihm gepaart und in eins übergehend. Und wiederum sagte er sich, wenn er einen Kranken sah, dass er selber genauso der Krankheit unterworfen sei und dass er sich selber übergehen würde, wenn er davon abgestoßen wäre. Und so begann ihm auch der zweite Rausch, der Gesundheitsrausch, zu schwinden.

S t e r b e n : Und er merkte, dass Alter und Krankheit nur die Vorstufen und Vorboten des Todes sind, dem jedes Lebewesen unterworfen ist. Und was dann? Ging es nicht ebenso weiter, auf neues Altern, neue Krankheit, neuen Tod zu? Was brachte die Zukunft nach dem Tode? Er wusste nichts Sicheres, er wusste nur eines, die Vergänglichkeit, und so sagte er sich:

"Also bricht der Tod uns unerbittlich

Lebenskraft und Schönheit und Gedächtnis,

und das weiß die Welt und ist doch fröhlich."

(Buddhacarita)

Oder er dachte in folgendem Sinne:

"Der Tod, er ist für jeden hier,

er kennt weder Freund noch Feind;

wie Jahreszeit, so kommt er an,

besiegbar nicht, vermeidbar nicht.

Wer Alte, Kranke, Tote sah

und vor dem Dasein schaudert nicht,

der ist ein Tor wohl nur, der ist

ein Blinder, der den Weg verfehlt."  (Mahavastu)

 

Quelle: Hellmuth Hecker: Das Leben des Buddha.

 

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