"Der gute Mensch aber, ihr Mönche, ist dankbar und erkenntlich. Denn Dankbarkeit und Erkenntlichkeit sind bezeichnend für gute Charaktere. Dankbarkeit und Erkenntlichkeit bilden den Grundzug eines guten Menschen."

(Anguttara Nikaya II, 33)

 

Dankbarkeit (Pali: Katannuta) bedeutet, das Denkwürdige zu denken, es im Gedächtnis zu behalten, die Erinnerung daran zu pflegen. Wer dankbar ist, ist einer, der über dem Genuss des Vorteils und Gewinnes, der Erleichterung oder Freude, die der andere ihm bescherte, nicht vergisst, daran zu denken, dass da in dieser Welt jener es war, der, nicht nur an seinen eigenen Genuss und Vorteil dachte, sondern auch an den des anderen.

Dankbarkeit ist eine Eigenschaft, die eng zusammenhängt mit Achtsamkeit, Beobachtung, Sammlung (sati). Die Dankbarkeit ist aber auch eine Tugend des Herzens, der Seele. Fast jeder Mensch hat die Anlage und Herzensneigung zur Dankbarkeit mitgebracht.

Es gibt unendlich viele Anlässe, um dankbar zu sein: Wir erfahren Hilfe, wo die eigene Kraft oder die eigenen Mittel nicht ausreichen: als hilfloser Säugling, als unmündiges Kind, in Krankheit, in Unglück und Not und im Alter. Wir werden beschützt, wenn wir Angst haben oder uns gefährdet sehen. Andere bewahren uns vor Unfällen oder retten uns aus Lebensgefahr. Man verzeiht uns üble Worte oder Handlungen. Man macht uns mit Liebe auf unsere Fehler aufmerksam, oder aber unsere Umwelt sieht mit Verständnis darüber hinweg. Unsere Wünsche werden von anderen erfüllt, ausgesprochene, angedeutete oder sogar ganz geheim gehegte. Wir erleben besonders gute Lebensumstände. Die Umwelt erträgt uns so, wie wir sind; sie gewährt uns die Dinge, die Ruhe, die Sicherheit, die wir wünschen; sie verlangt nicht zu viel von uns; sie verweigert nicht, was wir ersehnen, und sie entreißt uns nicht, was wir schon besitzen. Ein wesentlicher Grund zur Dankbarkeit ist die Belehrung, der Rat in Unsicherheit und Zweifeln, die Erklärung und das Aufweisen von noch nicht Erkanntem, Beherrschtem und Verstandenem.

"Es müsste jedem Menschen klargemacht werden, wie er dauernd, von der ersten Minute seines Lebens an, von anderen abhängig ist; wie jeder Gegenstand, dessen er sich bedient, alle Errungenschaften der Technik, die ihm sein Dasein erleichtern, jede ärztliche Hilfe, die ihm zuteil wird, jeder Gedanke, den er sich aus einem guten Buch oder Aufsatz aneignet, geistiges Eigentum der anderen darstellt oder Ergebnis fremder Mühe ist. Auf diese Weise muss ihm zum Bewusstsein gebracht werden, dass er dauernd Nutznießer zahlreicher Menschen in der Vergangenheit und der Gegenwart ist und ihnen unendlich vieles verdankt. Dadurch wird er erkennen, dass er als der Nehmende Mitglied einer menschlichen Gemeinschaft und mit tausend Fäden mit anderen Menschen vereinigt ist. Er erhält so einen Begriff von der Schicksalsgemeinschaft, wie wir es in den Zeiten von Naturkatastrophen, Krieg, Feuer, Hunger usw. besonders deutlich sehen, die aber in Wirklichkeit auch täglich und stündlich besteht." (Franziska Baumgarten Tramer)

Die hier aufgeführten Anlässe, die durchaus nicht vollständig sind, zeigen, dass die Umwelt uns bei unserem Wohl in drei Weisen unterstützt, nämlich körperlich (materiell), seelisch und geistig. Darum nährt sich die Dankbarkeit aus allen drei Bereichen und fließt auch wieder in diese hinein. Und da das "Leben" aus nichts anderem besteht, so ist sie ein "Lebenselixier" wie die Freude, mit der sie eng verbunden ist. Nur wer sich freut, wer froh ist, ist dankbar. Diese Haltung löst weitere Freude aus im Gemüt, strahlt sie aus in die Umgebung und bekommt sie von dort wieder zurück. So besteht zwischen Freude und Dankbarkeit eine enge Wechselwirkung. Da ein Dankbarer das erlebte Gute im Gedächtnis hat, über längere Zeit behält, so behält er auch die damit verknüpfte Freude und Helligkeit im Gemüt.

Schon aus diesem Grunde sollte Dankbarkeit geübt und gepflegt werden. Wenn wir sie akut empfinden, wenn sie spontan aus unserem Herzen aufsteigt, dann sollten wir uns dies stark bewusst machen und sollten dieses Dankbarkeitsgefühl nun auch durch zustimmende Gedanken noch verstärken und festhalten. Das spontane Aufsteigen aus dem Herzen kommt auf als Ernte früheren Bedenkens und Übens; das jetzt daran geknüpfte Zustimmen im Geiste ist die Saat, die weiter ins Herz hineinbildet. Wir können aber auch die Dankbarkeit durch Aufmerksamkeit hervorholen, wachrufen, indem wir uns bereits erfahrene Wohltaten wieder ins Gedächtnis zurückrufen.

Nun könnte jemand einwenden, dass der Buddhist doch niemandem Dank schuldig ist, er hat sich ja alles selber gewirkt durch seine karmischen Handlungen: Seine Eltern, seine Lehrer, kurz, sein ganzes Milieu.

Diese These: "Da ich alles selbst gewirkt habe, brauche ich niemandem zu danken" enthält eine der gefährlichsten Anschauungen und ist so unbuddhistisch und so ohne Verständnis für das Karmagesetz wie nur möglich. Dadurch wird die vom Erwachten aufgestellte Karmalehre, d.h. die Lehre von Ursache und Wirkung, geradezu auf den Kopf gestellt. Und das Gefährlichste an diesem Satz ist seine Scheinrichtigkeit. Er kann, wenn man nicht gründlich genug hineinblickt, einleuchten und kann die Menschen verführen, danach zu leben. Wie ist es aber in Wirklichkeit?

Richtig ist, dass alles, was an mich an Erlebnissen, an Begegnungen und Ereignissen herantritt, irgendwann von mir ausgegangen ist, und zwar genau in dem Sinne, dass alles, was mir an wohltuenden Erlebnissen begegnet, an gewährenden, entgegenkommenden, freundlichen und erhellenden, aus meinen gewährenden, entgegenkommenden, freundlichen und erhellenden Taten hervorgegangen ist. Und alles andere, was an mich herantritt an schmerzlichen, enttäuschenden Erlebnissen, an Krankheit, Not, Feindschaft usw., ist aus meinen früheren verweigernden und entreißenden Taten hervorgegangen. Wir können also die von uns begehrten und ersehnten, weil wohltuenden Erlebnisse nur dadurch schaffen, dass auch wir den anderen Lebewesen mit Anerkennung, Freundlichkeit, Wohlwollen, Liebe, Herzlichkeit und Kameradschaftlichkeit begegnen, und das bedeutet zum Beispiel, dass wir bei den Jüngeren bedenken, dass sie unserer Fürsorge und Hilfe noch mehr bedürfen, und bei den Älteren, dass sie uns an Erfahrung, Lebenskenntnis und manchem anderen überlegen sind und dass wir ihnen direkt oder indirekt viel Fürsorge und Hilfe verdanken. Mit dieser fürsorglichen und dankbaren Einstellung in unserem Tun und Lassen werden wir ernten, dass auch uns, wo immer wir in diesem Daseinskreislauf auftauchen werden, die älteren Mitwesen mit Fürsorge, die Jüngeren mit Dankbarkeit begegnen. Und so schaffen wir uns wohltuende Lebensformen. Wenn wir aber auf Heller und Pfennig abrechnen wollten, was die Betreffenden, die uns geholfen haben, aus Egoismus getan haben, was sie zufällig getan haben, was sie mit Berechnung getan haben, dann werden wir bei einem solchen Vorgehen auch genau die gleiche Ernte herbeiführen, dass wir uns nämlich in absehbarer Zeit in Lebenskreisen befinden, wo auch die anderen in genau der gleichen Weise mit uns abrechnen. Abgesehen davon, dass in solchen Kreisen alle zwischenmenschliche Wärme und echte Fürsorge völlig verloren gegangen ist, gibt es auch kein gerechtes Maß zum Abmessen, was der eine dem anderen und der andere dem einen getan hat, und so kommt man in solchen Lebenskreisen aus dem Streiten, aus Zwietracht, Spannung mit allen üblen Folgen nicht heraus. Das ist die Lebensweise, die zur harten Begegnung führt, während die vom Erwachten empfohlene Dankbarkeit und die Anerkenntnis alles dessen, was mir an Gutem angetan wurde, die gesamten zwischenmenschlichen Beziehungen entspannt und harmonisiert, mitmenschliche Wärme schafft und zur sanften Begegnung führt.

Der Buddha sagt aber auch (Anguttara Nikaya II, 57): Zwei Menschen, ihr Mönche, trifft man selten in der Welt. Welche zwei? Den Zuvorkommenden und den Dankbaren, Erkenntlichen, diese beiden Menschen, ihr Mönche, trifft man selten in der Welt.

Wir heben unser "Ich" auf den Thron, wir sehen uns selber groß und die anderen klein. Uns abhängig zu sehen, ist uns peinlich; es geht gegen unseren Stolz, uns jemandem verpflichtet zu fühlen, uns einzugestehen, dass uns ein anderer überlegen ist; es ist uns unbequem, in jemandes Schuld zu stehen. Wir gönnen dem anderen nicht seine Überlegenheit, die wir mit Dank anerkennnen müssten. Wir empfinden Dankbarkeit als lästig, indem wir sie oft wie eine Forderung betrachten, die wir abschütteln möchten.

Was fordern wir alles von der Welt, als stehe es uns selbstverständlich zu. Aus Unkenntnis der wahren Zusammenhänge meint der Undankbare: dass er "da" sei, sei doch nicht seine Schuld, sondern sei der Wunsch oder die Schuld der Eltern. Darum sei es nun auch ihre Pflicht, für ihn zu sorgen, darum müsse der Tisch der Welt für ihn gedeckt sein. Während ein Berechnender zwar nicht gern dankt, aber doch wenigstens wünscht, eine genau entsprechende Gegenleistung anzubieten, ist ein Undankbarer noch weit schlimmer: Er will nichts geben, sondern nur nehmen. Er will nur ernten, aber nichts Gutes säen. Er will nichts tun, während er es als selbstverständlich ansieht, dass andere für ihn da sind.

Auch Vergesslichkeit kann die Ursache dafür sein, dass wir nicht dankbar sind. Wir sind so sehr mit unseren augenblicklichen Wünschen und Plänen beschäftigt, dass wir Zurückliegendens verdrängen.

Wo immer wir noch in Zweifel geraten könnten, ob ein anderer Dank "verdient", da dieser aus seiner Handlungsweise eigene Befriedigung erfährt und das Wohl des Empfängers weniger im Auge habe als sein eigenes, da sollten wir immer daran denken, dass Dankbarkeit nie schadet, sondern dem Gebenden und dem Empfangenden immer nur wohltut, dass sie stets erhellt und Gutes sät. Darum sollten wir uns nie verleiten lassen, aus eng abwägendem Gerechtigkeitsfanatismus von der Dankbarkeit zurückzutreten, sondern sollten uns emporheben in die edlere Haltung dessen, der umfassen sieht, dass er jedem begegnendem Du verbunden und verpflichtet ist. So strahlen wir Dankbarkeit aus als Schutz für uns und die anderen.

In Anguttara Nikaya II, 34 sagt der Buddha:

"Zweien kann man das Gute kaum vergelten. Welchen zweien? Vater und Mutter. Sollte man auf einer Schulter seine Mutter tragen, auf einer Schulter seinen Vater, dabei hundert Jahre alt werden, hundert Jahre am Leben bleiben, ihnen mit Salben, Baden, Massieren aufwarten - noch nicht genug hätte man für seine Eltern getan, das Gute noch nicht vergolten. Warum aber? Viel tun die Eltern für die Kinder, sind ihre Beschützer und Ernährer, erklären ihnen diese Welt. Wer da aber die Eltern von weltlichem Sinn zu religiösem Sinn, von Untugend zu Tugend, vom Verweigern zum Verzichten, von Torheit zur Weisheit bringt, sie darin stärkt und festigt - der hat wahrlich genug getan für seine Eltern, ihnen das Gute vergolten, ja, mehr als vergolten."

Der höchste Dank aber gebührt dem Buddha. Wo stünden wir ohne diesen Lehrer und seine Lehre! Wie weit noch heute die Welt von den Aussagen des Erwachten befruchtet ist und aus dieser Nahrung lebt, auch wenn sie allmählich immer mehr von dunklen Strömungen durchzogen wird, können wir gar nicht ermessen. Und da der Erwachte als Lehrer und Vorbild nicht mehr greifbar ist, da nur die Kunde von seinem Erdendasein in unserem Geist weiterlebt, so müssen wir auch der ganzen langen Tradition, dem Weiterreichen seiner Unterweisung durch die Jahrtausende dankbar sein. Zu diesem Thema vom "Dank gegenüber der Lehre" schrieb Hellmuth Hecker schon 1960 in der Zeitschrift Die Einsicht:

„Vier Menschen”, sagt der Erwachte, „sind selten anzutreffen in der Welt: ein Erwachter, ein Heiliger, ein Lehrer der vom Vollendeten verkündeten Lehre und Ordnung und ein dankbarer Mensch.” Derart hoch eingeschätzt wird vom Erwachten die Dankbarkeit. Auf die Haltung der Lehrnachfolge angewandt, kann man eine Staffelung vornehmen, in die sich eine Besinnung auf das Dankenswerte der Lehre gliedern lässt:

Dank gebührt zuerst dem Sakyerprinzen Siddhattha Gotama, der vor zweitausendfünfhundert Jahren auszog und nach siebenjährigen mühsamen Versuchen den gesuchten Ausweg aus allem Vergänglichen fand. Er heißt der Buddha, der Erwachte, weil er aus dem Trug der Persönlichkeits-Illusion erwachte. Und er heißt der Vollkommen Erwachte, weil er nach seiner Erlösung aus Erbarmen mit der leidenden Menschheit nicht ausruhte, sondern noch fünfundvierzig Jahre lang lehrte und predigte, wie das Heil zu erlangen sei.

Dank gebührt zuzweit den Jüngern des Erwachten, die mit einer heute kaum fassbaren Gründlichkeit und Genauigkeit seine Lehrreden und Unterweisungen im Gedächtnis behielten und vom Lehrer zum Schüler weiterreichten, so die Wahrheit weiter lebend und weiter lehrend.

Dank gebührt zudritt den buddhistischen Gelehrten, die über zwei Jahrtausende hinweg mit unendlicher Geduld und Genauigkeit immer wieder die Texte der Pali-Sprache auf  Palmblätter schrieben und so halfen, sie über alle Stürme der Zeiten hinweg zu bewahren.

Dank gebührt zuviert den kritischen Forschern und Gelehrten, die die Texte des Pali-Kanon nach Europa brachten und hier, vor allem in der Londoner Pali-Text Society in lateinischen Lettern druckten und mit großer Mühe die ersten Wörterbücher (Pali–Englisch) dazu verfassten.

Dank gebührt zufünft allen Übersetzern, die in jahrelanger schwieriger Kleinarbeit die indischen Bilder und Begriffe sinnvoll zu übersetzen versuchten, um Form und Gehalt der Lehre des Erwachten vor den Augen der westlichen Welt zu entfalten.

Dank gebührt zuletzt und vor allem denen, die sich als Europäer bemühten, selber den Weg des Erwachten zu beschreiten und, nachdem sie in sich die Wahrheit der Lehre wieder gefunden hatten, nun lehrend versuchten, sie allgemein dem so ganz anderen abendländischen Denken wissenschaftlich verständlich zu machen und zu begründen.

Der Erhabene sagt, es sei nicht leicht, drei Wohltätern das Gute zu vergelten, nämlich dem, durch den veranlasst man Zuflucht zum Erwachten nahm, zweitens dem, der einem den Stromeintritt ermöglichte, und drittens dem, der einen zum Heilsstand führte. Das sind die höchstmöglichen Guttaten, die es auf der Welt gibt.

Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ungestört zu guten, klärenden Gesprächen zusammenkommen können, dass die augenblickliche politische Situation es nicht verbietet. Wir haben Bücher, wir haben Lehrer, wir haben Freunde und Weggenossen. Wir sind nicht allein. aber wie selten noch kommt in uns die Dankbarkeit auf für solche unermesslich wertvollen Güter! Es ist darum wichtig, sich das Heilsame des Heilsamen viel öfter vor Augen zu halten.

Quellen:

1. Irma Lübcke, Dankbarkeit. Die buddhistische Tugend der Katannuta.
2. Paul Debes: ... beantwortet Fragen zu buddhistischer Anschauung und Lebensführung, Band 2.