Gesundheit ist der höchste Reichtum,

Zufriedenheit der größte Schatz,

Die Zuversicht der beste Freund,

Wunschlosigkeit allerhöchstes Glück.

Dhammapada 204

 "Wunschlosigkeit" ist Nibbanam. Nir-vana ist "ohne Wunsch". Wer im Frieden des Gemüts einmal "wunschlos glücklich" war, der mag einen schwachen Vorgeschmack des Nirvana gekostet haben.

Vom Standpunkt des normalen Menschen aus kann das Nirvana nur negativ beschrieben werden durch nähere Erklärungen darüber, was alles von den uns bekannten Dingen der Welt nicht Nirvana ist. Unter diese Dinge, die nicht Nirvana sind, fallen nicht nur alle die den normalen Menschen schmerzlichen und schrecklichen Dinge, die zu erleben kein Mensch anstreben würde, sondern fallen auch alle jene Dinge, die zu den mittleren bis allerhöchsten Idealen aller "normalen" Wesen gehören, d.h. also: Es gibt keinen "normalen" Menschen - und es kann keinen solchen geben -, der das Nirvana so anstreben kann, wie es angestrebt werden muss, wenn man wirklich und wahrhaftig hingelangen will. Alle "Heiligen" aller Religionen sehen den gewöhnlichen Menschen als mit Verblendung und mit Wahn besetzt. Man muss also vorher "unnormal" werden, man muss übermenschlich und übergöttlich und damit innerlich selber ganz leer und ganz frei von allem Wollen werden. Nirvana ist kein Ziel, das man durch Wollen erreicht, sondern gerade durch Loslassen. Nirvana ist das, was übrigbleibt, wenn man alles Wollen, alles Mögen und Nichtmögen endgültig abgetan hat. - Und wo wäre ein normaler intelligenter Mensch, der alles Wollen abgeben wollte? Aber auch wenn es Menschen geben sollte, die sich entschlössen, alles Wollen endgültig abzutun, bis keinerlei Wollen mehr übrigbleibt, dann könnten sie es doch nicht, wenn sie die einzig dazu taugliche Methode nicht kennten und nicht anwendeten, die vom Buddha beschrieben wird.

In der griechischen Philosophie wurden die Begriffe "Sympathie und Antipathie" als Gegensätze, die der "normale" Mensch in sich hat, aufgefasst; aber als weit darüberstehend wurde die "Apathie" angesehen, der erhabene Gleichmut eines autonomen Wesens abseits von aller Zuneigung oder Abneigung, von allem Mögen und Nichtmögen. Von dieser "apathie" wird hier im Volksmund aus Unkenntnis nur im negativen Sinn gesprochen, als Resignation: "Er ist apathisch".

Ganz ebenso gab es im anfänglichen Christentum noch den Begriff der "santa indefferentia", womit im Grunde dasselbe gemeint war wie mit der apathie,  nur eben nicht im weltlich-stoischen, sondern im religiösen Sinne.

Mit diesen beiden Begriffen ist auch "upekha", das Paliword für die unerschütterliche Erhabenheit des von allem Wollen befreiten Wesens vergleichbar. - Diese upekha-Haltung ist es, mit deren Zunahme der Mensch dem Nirvana näherkommt und mit deren Vollendung er das Nirvana erlangt. Er hat dann aber nicht alle Bedürfnisse und Neigungen und Wünsche "unterdrückt" oder "verdrängt", sondern er hat sich durch die Anwendung der vom Buddha gelehrten Methode jene Sehschärfe erworben, die den Schmutz und den Bruch in all den Dingen sieht, die den normalen Menschen schön dünken (Blendung), und auch die Zerbrechlichkeit der allerhöchsten vorstellbaren und anstrebbaren Dinge so erkannt und so durchschaut, dass eben - durch die beharrliche Pflege dieses klaren entlarvenden Anblicks - im Laufe von Jahren der ursprünglich vorhanden gewesene Wille nach allen Dingen allmählich nachlässt und nachlässt und endgültig abreift. In diesem "Läuterung" genannten Prozess merkt er, dass er vom geistlichen Kind zum geistlichen Erwachsenen reift, denn er erfährt an sich, dass gerade das, was nach normalen Menschen alles zum sogenannten "Dasein" gehört, ja was er überhaupt unter "Dasein" versteht - in Wirklichkeit ein totes Nebengleis ist, auf welchem schon lange, sehr lange ein völlig verrosteter Wagen steht: Er verliert den Geschmack an all diesen Dingen, und er erfährt an sich, dass er damit aus allem Zittern und Bangen, aus aller Zerbrechlichkeit, die eben alle "Nebengleise" mit sich bringen, herausgelangt in die unnennbare Sicherheit.

Bildlich wird es beschrieben als die kühle Höhle innerhalb der Hitze des Alltags, als die selige Insel im Meer des Samsara, als der Ort, wo es keinen Tod mehr gibt, als die Stätte, die durch nichts erschüttert werden kann.

Nun steht allerdings der westlich Mensch vollkommen anders da als der damalige Zeitgenosse des Buddha. Man glaubte damals schon an die Unendlichkeit der Fortexistenz. Der heutige Mensch dagegen hat eine genau umgekehrte Auffassung. Er glaubt nur an das gegenwärtige Leibesleben, und dieses ist ihm viel zu kurz. Die Frage fast aller Menschen ist die, wie man gesund älter werden und länger leben könne. Und die Phantasten erwarten von der Naturwissenschaft eine Verlängerung des Lebens für immer längere Zeiten bis evtl. ad infinitum. So ist also die Sehnsucht des modernen Menschen geradezu umgekehrt gerichtet als die des damaligen Inders.

Wenn einer die Unendlichkeit des Daseinsgefängnisses nicht begriffen hat, dann wird er nicht heraus wollen. Wer nur diese eine Daseinsstube, eben sein augenblickliches Menschentum, als seine Existenz ansieht, der begeht zwei gewaltige Fehler, welche erst korrigiert werden müssen, ehe er den Sinn für das Nirvana bekommen kann. Der erste Fehler ist der, dass er alles zu tun versucht und sein Trachten darauf stellt, in diesem einen kurzen Leben möglichst alles zu genießen und dabei gleichzeitig dieses Leben möglichst zu verlängern; und der zweite Fehler besteht darin, dass er eben durch das erstgenannte Streben meistens diejenigen Qualitäten vermehrt und verstärkt, welche seine zukünftige Daseinsform verdunkeln und schmerzlicher machen, während er die besseren, edleren Qualitäten, welche seine zukünftige Daseinsform heller und lichter machen würden, zu mehren versäumt.

Darum kann man den westlichen Menschen erst dann bereit und fähig machen, das Nirvana zu begreifen und ernstlich und realistisch anzustreben, wenn er erst einmal das realistische Weltbild von der Endlosigkeit dieses Daseinsgefängnisses hat. Um ihm das zu verschaffen, muss er sich immer mehr an den Gedanken gewöhnen, dass der Tod nur Übergang ist und nicht das Ende. Sobald er diesen Gedanken hat, fragt er sich immer bewusster, wohin er nach dem Übergang komme, wie die Qualität des nachmaligen Daseins sei. Von daher gewinnen alle ethischen Forderungen der Religionen für ihn mehr Gewicht. Der Buddha zeigt immer wieder und zwar eindeutig, dass die Entwicklung höherer Moral unverzichtbar zu der Entwicklung zum Nirvana gehört.

Anzumerken sei noch, dass die Auffassung, als ob "wir" zum Nirvana kommen könnten, so dass wir einmal "im" Nirvana wären, zu den großen Irrtümern gehört.

Wir wissen, dass alles "Ich" und alles "Wir" und alle "Welt" nur durch die fünf Aneignungen, Zusammenhäufungen, Daseinsgruppen, Pali: khandha (siehe dortiges Kapitel) besteht. Nur in diesem, aus Wahn ständig immer wieder zusammengehäuften Aneignungen kommen die Vorstellungen "Ich" und "Wir" und "Welt" auf. Da nun aber die aus Blendung und Wahn immer wieder angehäuften fünf Zusammenhäufungen, durch welche alles "Ich" und "Wir" überhaupt besteht, gerade die Verhinderung des Nirvana sind und das Nirvana gerade in deren Fortfall, in deren endgültiger Auflösung besteht, so kann auch "im" Nirvana von einem "Ich" oder "Wir" nicht mehr die Rede sein. Es kann überhaupt nichts "im" Nirvana sein, denn Nirvana ist nicht ein Ort, in welchem dieses sein könnte, jenes aber nicht, vielmehr hat alle Örtlichkeit: dieser Ort oder jener Ort, nichts mit Nirvana zu tun.

Den Lehrreden ist zu entnehmen, dass das Nirvana als das Bedingungslose und darum Ungewordene und nicht Vergehende auch in keiner Weise beeinflusst werden kann und seinerseits nichts beeinflussen kann, dass aber alles andere bedingt ist und darum geworden ist und darum einen Anfang hat und eine Ende hat und Wandlungen hat. Die Ursachen aber aller Wandlungen liegen im Bereich des Wandelbaren und nicht im Bereich des Zeitlosen und Unwandelbaren. Darum kann das Nirvana in keiner anderen Weise erlangt werden als dadurch, dass dort, wo diese Zusammenhänge begriffen worden sind, alle Ursachen, welche zu neuen Wandlungen führen, losgelassen werden, nicht mehr ergriffen werden. Damit werden die alten Einflüsse aufgehoben und können neue Einflüsse nicht mehr entstehen. So kommt es zur fortschreitenden Versiegung aller Einflüsse und Beeinflussbarkeiten und Wandelbarkeiten bis zu ihrer vollkommenen Auflösung. Dann bleibt das Nirvana, das Ungewordene, übrig.

Und da im Nirvana der Samsara aufgehoben ist, alle Erscheinungen aufgehoben sind, keine Erscheinung mehr übrig bleibt, so kann nie mehr eine neue Erscheinung hervorgehen.

So besteht also keine Beeinflussung des Samsara durch das Nirvana und besteht keine Beeinflussung des Nirvana durch den Samsara. Darum braucht der Zustand des Nirvana für alle Ewigkeit nur ein einziges Mal erlangt zu werden. Das Ungewordene ist stiller Friede, der übrig bleibt, wenn wir den Unfrieden forttun.

Ist es dann das "Nichts"?

Es gibt nicht nur uns mit all unseren Trieben auf der einen Seite und auf der anderen Seite das vollkommene Nirvana, sondern es gibt einen Entwicklungsweg dahin. Wer auf diesem Entwicklungsweg nach der Wegweisung des Erwachten einige Stufen hinter sich hat - genau in dem Sinne, wie der Erwachte es lehrt - , der merkt, dass ihm wohler wird.

Dieses ist ja der Entwicklungsweg: Üble Worte und Taten sind aufzugeben, üble Gesinnungen, sinnliches Begehren sind zu mindern. Wer üble Gesinnungen nur teilweise gemindert hat, wird weniger zu üblen Worten und Taten neigen. Ein solcher hat weniger üble Gesinnung, sondern vorwiegend wohlwollende Gesinnung und wird weniger von sinnlichen Süchten hin und her gerissen, und das macht ihn in Bezug auf das Nirvana zuversichtlich. Er sagt sich: Solange ich mich zum Besseren entwickle, so lange mache ich weiter mit der Läuterung. Wenn es einmal eintreten sollte, dass ich merke: "Ich komme an den Abgrund des Nichts", dann werde ich haltmachen. Aber bis jetzt merke ich nur, dass mir und meiner Umgebung wohler wird, wenn ich mich solcherart positiv verändere. Und wenn es bis jetzt immer nur besser wird, dann kann das Nirvana nicht plötzlich etwas Unangenehmes, ein Abgrund sein.

Woher nimmt man die Zuversicht?

Die Kraft nennt der Erwachte immer wieder: Es ist saddha = Vertrauen oder Zuversicht. Sie erwächst aus der rechten Anschauung, dass das ständige Wahrnehmen von Form und Gefühl und Reagieren und Wiederheranholen von Formen ein Leidenszirkel ist und dass man durch ein Reagieren in verweigernder und entreißender Gesinnung sich selber für die Zukunft unerträgliches Leiden schafft. Je mehr man das deutlich sieht und klar erkennt, um so mehr hat man die Kraft, sich in den entscheidenden Situationen zu überwinden, nicht aus Zorn zu handeln und nicht aus Gier zu handeln.

Wenn man aber in den entscheidenden Situationen von der Lehre wieder weit entfernt ist und nur von der jeweilig herantretenden Situation fasziniert ist, dann handelt man wieder übel entsprechend den Trieben. Wenn man aber übel gehandelt hat und es hinterher bedauert und sich sagt: "Jetzt will ich dafür sorgen, dass ich in neutralen Situationen, in denen ich nicht von Begehren und Abneigung hin und her gerissen bin, mich wieder gut auf die Lehre besinne,  und will die rechte Anschauung wieder gründlich in meinen Geist aufnehmen", dann wird dieser Geist auch in entscheidenden Situationen gut beraten.

Aber es gibt doch nur wenige Buddhisten, die sich im Laufe der Zeit wirklich verändern?

Das kann man nicht einfach sagen. Bei der Beobachtung anderer Menschen gibt es viele täuschende Aspekte, und als von unseren Trieben Geblendete können wir nicht so leicht andere Menschen richtig beurteilen. Wenn wir aber merken, welche Wege zum Leiden führen und welche Wege herausführen, dann werden wir uns selber danach richten. Das ist ein automatischer Zusammenhang in der Willensbildung. Je stärker man das Leiden sieht, um so mehr muss man heraus wollen und kann es gar nicht lassen, entsprechend zu handeln. Je mehr aber noch Zweifel sind oder je mehr der Geist noch mit anderen Dingen erfüllt ist, um so weniger Platz hat die rechte Anschauung.

Wenn aber einer den Weg der Selbsterziehung und Läuterung geht, dann kann er die Beobachtung machen, dass, je feiner die fünf Zusammenhäufungen durch die Selbsterziehung werden, sein inneres Wohl, seine Unerschütterlichkeit, seine Heiterkeit, seine Untreffbarkeit immer mehr zunimmt. Und wer diese Entwicklung bei sich beobachtet, der wird ermutigt, die Entwicklung fortzusetzen. Und indem er sie fortsetzt, merkt er diese gute Entwicklung immer mehr. Dann sagt er sich vielleicht: "Das muss ja ein feines Nichts sein, auf das ich zuarbeite, das will ich gerne haben." Dann ist ihm dieses Nirvana keine Frage mehr, was es sei. Er sieht: Es ist eine Entwicklung zu immer größerer Untreffbarkeit, zugleich auch zu immer größerem Überblick. Es ist so,  wie wenn man einen Berg hinaufsteigt, von wo aus man immer mehr die Täler sieht und dann die zusammenhängende Landschaft. So sieht man immer mehr die Zusammenhänge zwischen der Psyche und dem, was die Menschen tun; dass sie so tun müssen,  wie sie tun, weil ihr innerer Haushalt eben so ist, wie er ist. Und man sieht, dass jeder Haushalt gewandelt werden kann.

Das Nirvana ist keine Sache der Diskussion, es ist eine Sache der Erfahrung.

Der Buddha bezeichnete sich selbst lediglich als Wegweiser. Und auf die ironische Bemerkung eines Brahmanen, dass viele, die seine Lehre hörten, doch nicht nach ihr lebten, antwortete er ihm (dessen Haus an einer Wegkreuzung nach Rajagaha stand, der Fünfhügelstand, in der der König lebte), dass ja sicher auch nicht alle, die ihn nach dem Weg nach Rajagaha fragten, auch wirklich dorthin gingen...

Quelle teilweise: Paul Debes beantwortet Fragen zu buddhistischer Anschauung und Lebensführung.