Das Herz (citta) und seine Wirksamkeiten bestimmen die Struktur des "Ich in der Welt".

 

 

Der Erwachte fasst die Einheit zwischen Innen und Außen in den Begriff citta, der mit "Herz" oder "Seele" übersetzt wird und sowohl das Wollen (Gier und Hass) umfasst als auch das Wahrnehmen, das uns ein Ich und ein Gegenüber erleben lässt (Blendung), als Erlebtes ein "Ich" und ein "Gegenüber" vorspiegelt.

Zusammenfassend umfasst der Begriff citta also

1. die Sinnesdränge, die den Spannungs- oder Empfindungskörper (nama-kaya) bilden, mit dem von den guten oder schlechten Eigenschaften des Gemütes bewegten Denken,

2. die dadurch erlebte Umwelt.

Citta, Herz, umfasst die Summe aller Tendenzen, deren jede ja eine an sich unbewusste, aber gerichtete Wunsch-Kraft ist. Diese Kraft spüren wir einerseits in unseren Wünschen, zum anderen in der Befriedigung, wenn die Wünsche erfüllt werden, und zum dritten in der Enttäuschung, Verdruss, Ärger usw., wenn eine erhoffte Erfüllung ausbleibt. Das alles kommt von den Trieben des Herzens.

Citta ist wörtlich das zweite Partizip von "denken", bedeutet also "das Gedachte". Das bedeutet, dass der positive oder negative Bezug (zu irgendeinem Objekt oder zu einer bestimmten Verhaltensweise, die man einnehmen oder lassen kann), der dem Gedanken innewohnt, nun, nachdem der Gedanke gedacht worden ist, zu einer entsprechenden Neigung (Zuneigung oder Abneigung) von entsprechender Kraft geführt hat, also einen Trieb, wenn er schon vorhanden war, etwas verstärkt oder etwas abgeschwächt hat oder, wenn er noch nicht vorhanden war, entsprechend gebildet hat. Die Triebe selber sind unbewusst, aber ihre Dynamik melden sie in der Stärke des Wollens und des Empfindens.

Am nächsten kommt der citta-Begriff der Bedeutung, die im alten Abendland der Begriff "Seele" hatte, und zwar bei den verschiedenen Völkern in stets ähnlicher Weise, indem er zusammen mit seinem Gegenbegriff genannt wird als "Leib und Seele". Citta wird als der eigentliche Träger des Lebens nicht geboren, altert und stirbt nicht, besteht vielmehr zeitlos, wenn auch nicht unveränderlich. Die Qualität der Seele zwischen rein und unrein, zwischen dunkel und hell ist verantwortlich für die Qualität des gesamten Erlebens zwischen Glück und Qual, zwischen Himmel und Hölle in allen Zwischengraden.

Die Triebe des Herzens bestehen aus wenigstens zwei sehr verschiedenen Gruppen:

1. Sinnensucht durch die Sinnesdränge: Luger (im Auge), Lauscher (im Ohr), Riecher (in der Nase), Schmecker (im Gaumen), Taster (ganzer Körper) und Denker (Geist). Sie sind die Ursache des Körpers (kaya) in seiner räumlichen Ausdehnung mit den über ihn verteilten, nach außen gerichteten Sinneswerkzeugen. Bei Berührung der Sinnesdränge kommen die körperlichen Wohl- und Wehgefühle zustande.

2. zählen zum Herzen die ganz anders gearteten Eigenschaften des Gemüts: Übelwollen (vyapada) bis Liebe (metta) und Rücksichtslosigkeit, Schädigenwollen (vihimsa) bis Erbarmen (karuna). Diese wohnen im Gemüt (Geist). In Majjhima Nikaya 141 wird erläutert, dass durch die Berührung des Geistes die "gemüthaften" Gefühle: Traurigkeit und Freude entstehen.

Innerhalb der Welt der Sinnensucht-Erfahrung bestimmt allein das Verhältnis zwischen Übelwollen und Liebe, zwischen Rücksichtslosigkeit und Erbarmen die sittliche Haltung des Menschen und entscheidet darüber, welche der zehn Stufen der Sinnensucht von Hölle bis zum höchsten Himmel erfahren wird.

Ein Herz, welches das Helle und Hohe liebt, ein solches Herz erlebt eine hohe und göttliche Welt. Ein Herz, welches in Kälte und Finsternis brütet, ein solches Herz erlebt eine entsprechend kalte Welt. Das Herz ist der Schöpfer der Weltwahrnehmung. Das Herz ist unser Schicksal, vor dem wir uns fürchten, solange wir es nicht kennen, und wird zur Quelle der Erlösung, wenn wir es kennen lernen und in richtiger Weise beeinflussen und lenken. Die Körper kommen und gehen, unterliegen also der Zeit, aber das Herz mit seinen Trieben unterliegt nicht der Zeit, das Herz wird gewandelt nur durch den Einfluss des Geistes.

Was den Trieben des Herzens gefällt, das nimmt der unbelehrte Geist auf und ist der Sklave und Diener des Herzens. Es sind dann die Maßstäbe, an die sich das Denken hält, die Wertmaßstäbe. Und das sind die wahrgenommenen Gefühle. Was uns wohltut, bewerten wir positiv, was uns wehtut, negativ. Pausenlos bewertet der Geist die Eindrücke und Erfahrungen, die mittels der fünf Sinne in ihn eingetragen werden, sowie die Eintragungen und ihre Verbindungen selber. Aber der Geist hat die Chance, Erlöser des Herzens und damit Erlöser aus dem Samsara zu werden. Die Wertmaßstäbe ändern sich, wenn sie durch einen Buddha eines Besseren belehrt werden.

Der Erwachte sagt im "Gleichnis vom Kleide": Wenn ein Gewand einen Schmutzflecken hat und man färbt es um, so werden die Flecken doch wieder durchschlagen. Gleichviel mit welcher Farbe man das Gewand färbt, die Flecken werden immer wieder mehr oder weniger sichtbar sein. - Ebenso auch ist bei beflecktem Herzen ein schmerzlicher Lebenslauf, eine üble Laufbahn zu erwarten. - In diesem Gleichnis gilt das Umfärben des Kleides für einen Körperwechsel, also für Tod und Wiedergeburt in einem neuen Körper. Die nach dem Umfärben wieder durchschlagenden alten Flecken bedeuten, dass die Befleckungen des Herzens, seine üblen Qualitäten, in diesem mit dem neuen Körper begonnenen neuen Leben zu Schmerzen, Leiden und Dunkelheiten führen.

Darum empfiehlt der Erwachte und rät immer wieder, das Herz zu beherrschen, also sich nicht vom Herzen leiten zu lassen, sondern das Herz in der Gewalt zu haben, das Herz zu bändigen, und zwar durch die Weisheit.

Der Erwachte sagt, dass von dem befleckten Herzen alles Leid ausgeht, dass es dem Menschen mehr schadet, als diesseitige oder jenseitige Feinde einem Wesen schaden können, und dass aber andererseits ein reines Herz dem Wesen mehr nützt und wohltut, als Vater und Mutter und alle Verwandten und liebsten Freunde wohltun können. Zu seiner Reinheit ist das reine Herz erzogen worden von der rechten Anschauung des Geistes.

Der Erwachte sagt vom  citta ausdrücklich, dass es unbeständig ist (anicca), dass es sich Tag und Nacht, ununterbrochen dauernd verändert.

Wir können die Entwicklung des citta in etwa mit einem Fluss vergleichen, der von der Quelle bis zur Mündung immer der Fluss mit einem bestimmten Namen ist, der aber doch unterwegs ununterbrochen von seiner alten Substanz verliert durch Verdunsten und Abflüsse, die von Menschen geschaffen sind. Andererseits kommt stets durch Nebenflüsse und Bäche anderes Wasser hinzu. Trotz dieser Veränderungen wird der Fluss immer als derselbe angesehen. So verhält es sich mit dem Herzen. Es ist in steter, wenn auch kaum merklicher Veränderung, und kein bleibender Seelenkern ist zu finden. Es sind ja nur geringe Veränderungen, die am Herzen von Gedanke zu Gedanke, von Bewertung zu Bewertung vor sich gehen. Die Wandlung der Triebe erfolgt nur ganz allmählich, so dass der Charakter der Wesen selbst nach Jahrzehnten noch deutlich wiederzuerkennen ist.

Nur ein Mensch, der sich einer bewussten Selbsterziehung unterzieht, kann zu einer gesteuerten Veränderung, zur Reinigung des Herzens kommen. Das Herz nach der ursprünglichen Heilslehre des Erwachten umzubilden oder aber den Ratschlägen und Wünschen seines Herzens zu folgen, das ist der Unterschied zwischen dem Gang zum Nibbana und der Weiterwanderung durch den Samsara.

Wer die Herzbefleckungen einzeln bei sich selbst gründlich betrachtet (siehe das Kapitel "Charakter"), der macht bei sich selber ganz neue Erfahrungen, die seine innere Situation wandeln. Bei immer feinerer und gründlicherer Betrachtung wird leiseste Abwendung und Ablehnung anderen Wesen gegenüber bemerkt, und sofort werden mit aller Kraft und aller Konsequenz diese Anwandlungen ausgerodet, und nicht ruht der Übende, bis er an ihrer Stelle Wohlwollen und herzliche Freundschaft hat setzen können. Daraus erwächst eine innere Freudigkeit und nimmt immer mehr zu.

Der Übende merkt auf dem weiteren Weg, dass das jetzt erwachsene Wohl nicht durch äußere Umstände bedingt ist, auch nicht durch irgendwelche geistigen Mächte ihm gegeben oder genommen werden kann, dass es einfach eine Folge der reineren Beschaffenheit seines Herzens ist und dass es so lange bei ihm bleibt, wie er sich die Reinheit des Herzens bewahrt, und dass diese Beglückung zu noch größerer Höhe erwächst in dem Maße, als er sein Herz noch weiterhin läutert.

Der Erwachte sagt: So wie bei einem Goldwäscher durch das Herauslesen der Fremdkörper allmählich der Goldgehalt immer mehr zum Vorschein kommt, der Goldsand immer mehr glänzt, so auch verändert, erhöht und erhellt sich bei dem Übenden das Herz und damit das innere Grundgefühl, die innere Stimmung, die Gemütsverfassung. Wer die Erhellung des Herzens bei sich spürt, der erlebt daraus eine feine Erhöhung des Empfindens. Das praktische Fortschreiten wird für ihn erfahrbar. Diese Freude ist der Ausgangspunkt der Entwicklung zur geistigen Beglückung (piti), die sich bis zu aufleuchtendem Entzücken steigern kann. Die rasende Tätigkeit der Sinnesdränge kommt zur Ruhe, wie wenn in einer Fabrik am Feierabend die stampfenden Maschinen still gestellt werden. Das wird als ein beseligendes Wohl empfunden, in der das Herz still wird. - Das sind die Stufen zum weltunabhängigen Herzensfrieden, zu dem auch die Entrückungen gehören.

Und in dem gereinigten Gemüt erwächst auch zunehmend Klarheit und Gewissheit über den Erwachten, die Lehre und die Gemeinde der Heilsgänger. Er vertraut dem Erwachten jetzt nicht nur wie vorher, als er die Nachfolge begann, sondern aus seinen eigenen Erfahrungen weiß er jetzt: Das, was ich jetzt an Helligkeit und Klarheit erfahre, das hat der Erwachte dem Nachfolger verheißen.

(Quelle: Begriffe der Buddha-Reden mit Erklärungen, von Paul Debes)