Gibt es Anknüpfungspunkte zwischen Buddhismus und Kunst?

 

 

Da die Lehre des Buddha ganze Kulturen hervorgebracht hat, ist schon hier eine natürliche Anknüpfung gegeben.

Wir im Westen verstehen unter einem buddhistischem Kunstwerk meistens einen Stupa, eine Statue oder ein Buddhabild. Wir kennen darüber hinaus weltberühmte Bauwerke, wie den Borobudur in Indonesien oder den Shwedagon in Burma. Es gibt hierzulande auch Buddhastatuen und Thangkas in Museen zu bewundern.

Nach seinem Dahinscheiden und die ersten daran anschließenden Jahrhunderte war der Respekt vor dem Erwachten noch so groß, dass er nur durch Symbole dargestellt wurde: Die Darstellung der Fußspuren des Buddha bedeuteten, dass er an dieser oder jener Stelle weilte, das Rad zeigt an, dass er hier lehrte, ein Rosenapfelbaum weist auf seine Meditation hin.

Wie die Entstehung des leiblichen Buddhabildes entstanden ist, ist nicht vollständig geklärt, jedoch kann man sagen, dass in keinem buddhistischen Kloster oder Tempel die Buddhastatuen ursprünglich als Kunstwerke gesehen wurden. Wir finden sie als eingekleidete Kultfiguren, als Symbolgestalten eines großen Zusammenhangs, als Gedenken an die historische Gestalt des Buddha. All dies erkennt nur der, der auch in die Lehre eingeweiht ist. Es war wahrscheinlich erst während des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Nordwest-Indien, im griechisch beeinflussten Gandhara, als es zu leiblichen Darstellungen des Buddha kam.

Aber: Zur Kunst gehört neben der Malerei, der Bildhauerei, der Musik auch und gerade die Literatur, und es gibt überragende Wortkünstler. Es liegt nicht so fern, den Buddha als den größten Künstler im Bereich der Sprache zu bezeichnen.

Karl Eugen Neumann, der Erstübersetzer der Lehrreden der mittleren und längeren Sammlung des Buddha in die deutsche Sprache, vertritt eine These, die hier (sehr kurz angerissen) gewürdigt werden soll. Ausführlich ist das in seinem Aufsatz: "Das buddhistische Kunstwerk" nachzulesen.

"Wie alle echten Kunstwerke doch nur für sehr, sehr wenige vorhanden sind und für die vielen immer nur die Marktware gilt, so wird auch nur für sehr sehr wenige die Kunst des Buddhismus sichtbar werden... Kunst, herrliche Werke - und Buddhismus, Pessimismus: Wie reimt sich das? Eine pessimistische Kunst wäre ja ein hölzernes Eisen. Die Kunst kann doch immer nur das wirkliche Leben anschauen und darstellen, also bejahen: eine pessimistische Kunst höbe sich selber auf. Der Buddhismus aber geht doch darauf aus, die Welt zu verneinen...? Man darf hier die Frage aufwerfen, was denn der Buddhismus, oder sagen wir lieber genauer: was Gotamo mit seiner pessimistischen Weltansicht gemeint haben mag. Wenn wir den Gedanken, den uns die Urkunden darbieten, trauen dürfen, zeigt es sich, dass die Welt da niemals als eine gegebene Größe betrachtet wird, die bestimmt sei, in Leiden zu beharren: denn das wäre der rechte Ausdruck des Pessimismus. Gotamo dagegen legt nichts anderes als die Relativität aller Dinge dar. Das Leiden ist immer nur relativ vorhanden, nie absolut. Das ist der Sinn jener spezifischen Lehre Gotamos von der Entstehung aus Ursachen. Leiden besteht solange, als die Bedingungen zum Leiden da sind. Wo diese Bedingungen aufgeboben sind, ist auch das Leiden aufgehoben. Wo wäre da noch ein richtiger Platz für Pessimismus? Vielmehr könnte es scheinen, als ob nun einem unbeschränkten Optimismus zugesteuert würde. Bei näherem Zusehen zeigt es sich aber, dass Gotamo beide Extreme vollkommen gekreuzt hat: nicht etwa, um in der goldenen Mittelstraße zu landen, sondern in heiligem Ernst jenseits von Gut und Böse.

Sreiflichter auf die eine oder andere Stelle der ältesten Urkunden des Buddhismus lassen freilich erkennen, was denn der Buddhismus eigentlich mit der Kunst zu schaffen habe: sie gewähren nur einen flüchtigen Blick auf die Höhe seiner Weltanschauung und zeigen diese wohl so ziemlich frei von weltschmerzlerischen Wolkengebilden. Die gestaltende Schöpferkraft des Buddhismus findet man in seinen Gleichnissen, in seiner Schilderung des täglichen Lebens, in all den so unendlich manigfaltigen und verschieden gearteten Erscheinungen. Und auch da ist er ebensowenig pessimistisch wie jeder andere bildende Künstler. Höchste Anschaulichkeit, frei von hineingetragener Manier, ist das Ziel, das er erstrebt und erreicht hat. Wer da aus der Fülle seiner Kraft unmittelbar ansprechende Gebilde hinzustellen vermag, der ist eben der echte Künstler, ob er nun mit Meißel oder Pinsel oder Worten wirke.

Diese Kunst zeigt sich also bei Gotamo in den Gleichnissen, die er gibt, sei es, dass er Landschaften schildere wie Ruisdael, dass er Anatomien male wie Rembrandt oder dass er Schlachten entrolle wie Salvator Rosa oder aber uns Gesichter offenbare wie Luini und Leonardo. Aus den mehr als dreihundert Gemälden der Galerie, die mir zur Verfügung stehen, bei welcher alle menschlichen und irdischen Dinge und Verhältnisse vom König bis zur Magd, vom Helden bis zur Buhlerin, vom Elefanten bis zum Wurme, vom Himalaya bis zum Sandkorn, vom Ganges bis zum Meere und allumfassenden Ozean, und wieder von den Wundern der Tiefe bis zum glitzernden Tautropfen an uns vorüberziehen, aus dieser reichen Sammlung, deren wohlerhaltenen Tafeln mit unzerstörbaren Farben, noch besseren, als sie selbst die Kölner Meister kannten, gemalt sind, greife ich nur eines der Stücke als Beispiel heraus, das Gleichnis vom Rennpferd, das sich zwar durch keine besondere Prachtentfaltung und keines der zarteren Lichter auszeichnet, aber so frisch wie vor 2400 Jahren auch heute noch den Beifall des erfahrenen Trainers finden wird.

"Gleichwie etwa ein gewandter Rossebändiger, wann er ein schönes edles Ross erhalten hat, zu allererst am Gebisse Übungen ausführt, zeigt es eben allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit, weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat: aber durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden. Sobald nun das schöne edle Ross durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben sich damit zufrieden gegeben hat, dann lässt es der  Rossebändiger weitere Übungen ausführen und schirrt es an; und während es angeschirrt Übungen ausführt, zeigt es eben allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit, weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat: aber durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden. Sobald nun das schöne edle Ross durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben sich damit zufrieden gegeben hat, dann lässt es der Rossebändiger weitere Übungen ausführen und im Schritt gehn, im Trab gehn, Galopp laufen, er lässt es rennen und springen, bringt ihm königlichen Gang und königliche Haltung bei, er macht es zum schnellsten, flüchtigsten und verlässlichstem der Pferde; und während es also Übungen ausführt, zeigt es eben allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit, weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat: aber durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden. Sobald nun das schöne edle Ross durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben sich damit zufriedengegeben hat, dann lässt ihm der Rossebändiger die letzte Strählung und Striegelung angedeihen. Das sind die zehn Eigenschaften, die ein schönes edles Ross dem Könige schicklich, dem Könige tauglich, eben als `Königsgut` erscheinen lassen. Ebenso nun auch sind es zehn Dinge, die einen Mönch Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdienen, heiligste Stätte der Welt sein lassen: und welche zehn?

Da eignet einem Mönche untrügliche rechte Erkenntnis, untrüglich rechte Gesinnung, untrüglich rechte Rede, untrüglich rechtes Handeln, untrüglich rechtes Wandeln, untrüglich rechtes Mühn, untrüglich rechte Einsicht, untrüglich rechte Vertiefung, untrüglich rechte Weisheit, untrüglich rechte Erlösung. Das sind die zehn Dinge, die einen Mönch Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdienen, heiligste Stätte der Welt sein lassen."

Eine große Bescheidenheit ist es, die den Buddhismus in seinem Werke auszeichnet: Die Beschränkung des Künstlers. Gotamo will nicht alles aufdecken, alles darstellen, alles geben. Es genügt ihm, sicher deutbare Typen in weiser Auswahl zu behandeln. Er gibt keine vielwissende Wissenschaft zum besten, wenn er auch viel gedacht hat. Auch vom begeisterten Journalismus alter oder neuer Propheten ist bei ihm keine Spur zu finden. Es sind ihm die schleichenden Plattfüße und die durchfurchten Stirnen der Gelehrten ebenso wie die hüpfenden Sprünge und Grimassen phantastischer Tausendkünstler fremd geblieben. Der Löwentatze vergleicht er sein Wirken, die, was sie da trifft, gründlich trifft. Man merkt, denke ich, welche Bescheidenheit uns hier anspricht."

Wir finden freilich Werke der bildenden Kunst von faszinierender Ausdruckskraft, von genialer Gestaltung sowohl bei edlen wie bei unedlen Motiven. Unter "edlen Motiven" verstehen wir solche, die den betrachtenden Menschen über sich hinaus führen, indem sie ihn auf höhere Perspektiven hinweisen oder ihn zu guter Tat aufrufen. In manchen Kreisen werden nur diejenigen Werke als Kunst gesehen, bei denen hoher sittlicher Wert mit Ausdruckskraft verbunden ist, in anderen, heute sehr breiten Kreisen genügt das Kriterium der Ausdruckskraft, um das Werk als Kunst gelten zu lassen.

Buddha, Christus, wie überhaupt alle Religionsgründer, haben nicht durch Musik oder durch Farben oder Formen gelehrt, sondern nur durch Worte und durch ihr Vorbild. Diese Worte kann man sich noch nach Tagen und Jahren, wenn die momentane Ergriffenheit der Begegnung sich aufgelöst hat, erinnern. Man erinnert sich: "Der Meister hat gelehrt: "So und so hängen die Dinge zusammen, und weil so der Zusammenhang ist, kommt man auf diesem Wege in das Dunkle hinab, auf jenem Wege zu Helligkeit, Freiheit und Frieden." Diese Gedanken kann sich der Mensch jederzeit wieder verschaffen, wo er auch weilt. Er ist dazu nicht abhängig von der Begegnung mit anderen Menschen oder Dingen. Er trägt die Quelle der Erhebung in sich. Schon deshalb vermag das Wort viel mehr als das wortlose Beeinflussen des Gemütes durch die bildende Kunst.

So bestehen große Unterschiede zwischen einem Weisen und einem Künstler, und ihn haben die Edelsten im Reiche der Kunst auch erkannt und haben sich als demütige Diener unter das Wort der Großen gestellt. Michelangelo bekennt am Ende seines Lebens:

"Vom Traum, der einst die Kunst mit trunknem Beben

zu meinem Herrscher und Idol gemacht,

bin ich, des Irrtums ledig, aufgewacht -

denn falsch ist, was auf Erden wir erstreben",

und er mahnt:

"Die Seele reich und reicher wird,

je mehr sie von der Welt verliert."

Und aus dem Orden des Erwachten tönt - zweitausend Jahre früher - die Antwort eines Bruders im Reich der Kunst - des Mönches Hattharohaputta, der einst ein großer Schauspieler war, eine Antwort, die auch uns aufruft auf den guten Weg:

"Einst stürmte jubelnd dieses wilde Herz dahin,

wohin sein Wille, seine Lust, sein Glück es trieb:

Von heut an werd ich tapfer halten dich zurück,

gleichwie der Bändiger den Elefanten zwingt."

(Thag 77)