Wär` gute Lehre noch so gut, wenn man sich nicht auch hält und tut nach solcher Klugheit, ist´s verloren. Wenn man´s nur will auswendig hören nicht pflanzen in das Herz hinein so ist´s nur ein vergeblich Schein. Es ist nicht g´nug, dass man viel hört, man tu auch nach gehörtem Wort. Man richt´ das Leben ganz und gar nach solch gehörter guten Lahr.

(Periander von Korinth)

 

Die gesamte Lehre des Buddha betrifft die Erkenntnisse, die zur rechten Lebensführung gehören, und die unmittelbare rechte Lebensführung selbst. Zwei Lehrreden der Mittleren Sammlung sind sogar so betitelt, die 45. und 46. Lehrrede.

Die umfassendste Anleitung für die praktische Lebensführung, die der Erwachte für im Hause lebende Menschen gegeben hat, ist enthalten in der 31. Lehrrede der Längeren Sammlung, das "Gespräch mit Singalaka". Es folgen einige kurze Auszüge mit Kommentaren.

Der Buddha spricht hier zu einem jungen Menschen, dessen Vater kürzlich verstorben ist und der gerade im Begriff ist, das letzte Gebot seines Vaters zu erfüllen nach altem Brahmanenritus. Im Verlauf der Lehrrede wird klar, dass die Rede nichts von Aussagen über die letzten Dinge, über das Erreichen von Nibbana enthält. Aber doch ist die Rede vom Buddha auf einen Menschen, der am Beginn seines Lebens steht, das er gut und recht führen möchte, genau zugeschnitten. Der Erwachte spricht davon, wie Singalaka dieses Erdenleben als Heilsgänger meistern kann und nach dem Tod, bei der Auflösung des Körpers auf gute Fährte gelangen kann. Mit größter Selbstverständlichkeit spricht der Erwachte hier zu dem Bürgersohn von den jenseitigen Leben wie von den diesseitigen.

Nach einleitenden Worten sagt der Buddha zu Singalaka:

"Viererlei Tatbefleckungen widerstrebt des Heilsgängers ganzes Wesen. Lebendiges umzubringen, Bürgersohn, ist eine Tatbefleckung, nicht Gegebenes zu nehmen, ist eine Tatbefleckung, Ausschweifung zu begehen, ist eine Tatbefleckung, Lüge zu sagen, ist eine Tatbefleckung. Diesen viererlei Tatbefleckungen widerstrebt sein ganzes Wesen.

Lebend´ges töten, Fremdes nehmen

und was man Lügenworte nennt,

Umgang mit Frauen anderer

- dem stimmt kein Überwinder zu."

Der Erwachte nennt hier zuerst die ersten vier der fünf Tugenden (sila), die in einem eigenen Kapitel besprochen sind. Allein durch die Bewahrung dieser Tugendregeln wird die Umwelt befriedet, Gier und Hass eingegrenzt.

Der Erwachte führt Singalaka aber jetzt weiter von den Grenzen des Wirkens zu den Wurzeln:

"Bei welchen viererlei Gemütszuständen begeht man eine schlechte Handlung? Der Gier folgend, dem Hasse folgend, der Blendung folgend, der Angst folgend begeht man schlechte Handlung. Sobald aber, Bürgersohn, der Heilsgänger eben nicht dem Gierdrang, dem Hass, der Blendung, der Angst folgt, begeht er bei diesen vier Gemütszuständen keine schlechte Handlung."

Der Erwachte nennt hier die drei Wurzeln alles Übels: Gier (vielfach wird statt Gier Wille gesagt, denn der Wille des Unbelehrten wird primär von der Gier angetrieben), Hass, Blendung und zusätzlich Angst, die wie ein Schatten der Gier, dem Hass und der Blendung folgt und uns Dinge tun lässt, die wir eigentlich verabscheuen,  und uns Wesen wehtun lässt, die wir nicht hassen. Die Angst - geboren aus der Gier, das eigenen Wahn-Ich zu behaupten und aus der Abwendung von allem, was dem entgegensteht - reicht von der kleinen Furcht, sich zu blamieren, die uns Gutes unterlassen oder Schlechtes tun lässt, bis zur Flucht in Tötung und Verletzung von Menschen. Der normale Mensch ist fast immer in Gier, Hass, Blendung und Angst, aber er merkt es kaum. Erst durch die Kenntnis der Lehre und das Nachdenken über sie wird man aufmerksamer auf die eigenen Gemütszustände und gelangt so in eine bessere Verfassung der stillen Besonnenheit oder des liebenden fürsorglichen Denkens an andere.

Aber der Erwachte als Kenner der Menschen weiß, dass es im Menschenleben Situationen gibt, in denen der normale Mensch auf die Dauer der Gier, dem Hass, der Blendung oder der Angst nicht widerstehen kann. Deshalb nennt der Erwachte nun solche Lebenssituationen - "Vergnügungen" - , in denen die Menschen besonders leicht verlockt, verführt, berauscht, der Gier, dem Hass, der Blendung und der Angst folgend, Übles tun, so dass der Erwachte sie geradezu als "Höllenschlünde" bezeichnet:

  1. Berauschende Getränke oder andere die Vernunft und Selbstkontrolle verhindernde Mittel zu nehmen...
  2. Sich zu unrechter Zeit auf der Straße herumtreiben...
  3. Häufig Gemeinschaftsvergnügungen besuchen gehn...
  4. Der Spielleidenschaft sich hingeben...
  5. Schlechte Freundschaften schließen...
  6. Müßiggang...

Diesen sechs gefährlichen Genüssen, die im folgenden einzeln erklärt werden, ist gemein, dass sie eine besonnene Lebensführung mit klarer Selbstkontrolle unmöglich machen. Und der Buddha spricht nicht als weltfremder Einsiedler, sondern als einer, der das Leben und die Menschen kennt, hier spricht einer, der uns versteht:

zu 1) "Sechserlei Elend, Bürgersohn, bringt der Gebrauch von berauschenden Getränken mit sich: merklichen Vermögensverlust, zunehmende Zänkerei, für Krankheiten anfällig werden, in üblen Ruf kommen, Scham und Intimes preisgeben, und er entwickelt sich zu einem, der sich unfähig zum Klarwissen macht."

Wenn die Kontrolle und Zügelung durch den Geist wegfällt, die Aufmerksamkeit betäubt ist, dann lebt der Berauschte um so mehr nach seinen Trieben. Um so leichter gerät er dadurch in den Interessenbereich des Nächsten hinein. Der andere Zechkumpan ist oft auch noch enthemmt, und die Zänkerei hat viel schlimmere Folgen als bei nüchternen besonnenen Menschen. Als weiter Folge nennt der Erwachte, dass man für Krankheiten anfällig wird. Schließlich lässt der Berauschte Hemmungen fallen, sagt und tut Dinge, deren er sich hernach bitter schämt. Als letzte und schlimmste Folge nennt der Erwachte den Verlust an Klarwissen. Schon bei gelegentlichem Trinken erfährt der Mensch, dass er einige Zeit danach keine Lust hat, ein gutes Buch zu lesen oder sich mit stillen befreienden Gedanken zu beschäftigen. Erst recht erfahren dies solche, die an das Trinken und den Genuß von Rauschmitteln gewohnt sind. Sie sind nie ganz hellwach, klar, nüchtern, Herr ihres Geistes, ihrer intellektuellen Folgerung.

zu 2) "Sechserlei Elend bringt das Sich-zu-unrechter-Zeit-auf-der Straße-herumtreiben mit sich: Man hat auf sich selbst nicht acht und bedacht, auf Frau und Kind nicht acht und bedacht, auf seine Habe nicht acht und bedacht, kommt in Verdacht bei schlimmen Fällen, grundloses Gerede kann sich dabei verbreiten, und man sieht sich vielen leidigen Situationen gegenübergestellt."

Auch hier erkennen wir die große Lebenserfahrung und Menschenkenntnis des Erwachten. Zu jeder Zeit, wo man nicht wegen seiner Geschäfte oder privater Aufgaben auf der Straße sein muss, "treibt man sich herum", "um etwas zu erleben", um der ihm interessanten Zerstreuungen willen. Er lungert und lugt nach Überraschungen, und insofern hat er auf sich selbst nicht acht und kümmert sich nicht um seine Familie, die er zu Hause lässt, während ein Mensch, der zielbewusst ein gutes Leben führen will, die meiste Zeit, die er nicht für seinen Beruf oder zum Bedenken und Lernen oder zur stillen Abgeschiedenheit braucht, sich seiner Familie widmen wird. Wer aber aus Sensationslust sich auf den Straßen der Stadt herumtreibt, für den treffen die Fälle zu, die der Erwachte nennt: Er vergeudet sein Geld, ist am nächsten Morgen bei der Arbeit müde und unaufmerksam und macht Fehler. So mehrt er nicht seine Habe durch fleißige, aufmerksame Arbeit. - Er kann falsch verdächtigt werden, ein grundloses Gerücht kann sich verbreiten. So gleitet ein solcher unmerklich abwärts.

zu 3) "Sechserlei Elend bringt der Besuch von Gemeinschaftsvergnügungen mit sich: Man fragt nur immer: Wo wird getanzt, wo wird gesungen, wo wird Musik gemacht, wo wird vorgetragen, wo wird gefiedelt, wo wird getrommelt."

Mit "Gemeinschaftsvergnügungen" sind hier keine Familienfeste oder Jubiläen und dergleichen gemeint, also solche Festlichkeiten, denen ein bestimmtes Ereignis zugrunde liegt, das für die Beteiligten von Bedeutung ist und die man besucht, um seine Liebe, Zuneigung oder Verehrung für jemanden auszudrücken.

Man erwartet eine Erklärung, warum das Aufsuchen von Gemeinschaftsvergnügungen schädlich sei, aber der Erwachte zeichnet einfach nur nach, wie die Wahrnehmungsorgane eines Menschen herumsausen, der auf diese Vielfalt aus ist. Da gehen Augen und Ohren hin und her, und der Geist fragt immer nur: "Was fangen wir heute an? Wo gibt es etwas Interessantes?" Man folgt der Neugierde, der Triebhaftigkeit. Die Folgen eines solchen Lebenswandels sind offensichtlich. Eine dieser schlimmen Folgen nennt Knigge:

"Wer täglich herumläuft und sich von Neuigkeiten nährt, der wird fremd in seinem eigenen Haus; wer immer in Zerstreuungen lebt, der wird fremd in seinem eigenen Herzen und muss im Gedränge müßiger Leute seine Langeweile zu töten trachten."

zu 4) "Sechserlei Elend bringt es mit sich, wenn man der Spielleidenschaft sich hingibt: Wer gewinnt, verfeindet sich, wer verliert, trauert dem Gehabten nach. Das Vermögen ist schnell vertan. Was man in der öffentlichen Versammlung sagt, hat kein Gewicht. Freunden und Genossen ist man verächtlich geworden. Zu Hochzeit und Heirat wird man nicht in Betracht gezogen. Ein Mensch, heißt es, der zum Spieler geworden ist, ist nicht imstande, eine Frau zu ernähren. das ist Bürgersohn, sechserlei Elend, das die Hingabe an die Spielleidenschaft mit sich bringt.

Diese Schilderung des Spieler-Elendes bedarf auch nach über zweitausendfünfhundert Jahren keiner Erklärung.

zu 5) "Sechserlei Elend bringt es mit sich, wenn man schlechte Freundschaft schließt: Die da einen schlechten Lebenswandel führen, Würfelspieler, Trinkerinnen und Trinker, die Betrüger, Schwindler und Raufbolde, die hat man zu Freunden, hat man zu Gefährten. Das ist, Bürgersohn, sechserlei Elend, das der Anschluss an schlechte Freund mit sich bringt."

Wir sind hier an das Wort erinnert: "Sag mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen, wer du bist." Es bedeutet, dass man durch seinen Umgang geprägt wird. Wenn man längere Zeit mit solchen Menschen umgeht, wie sie hier genannt werden, dann wird man mit der Zeit ihnen ähnlich werden, wenn man es nicht schon ist, oder man trennt sich.

zu 6) "Sechserlei Elend bringt Müßiggang mit sich: 'Es ist zu kalt', sagt man und unterlässt die Arbeit. 'Es ist zu heiß', sagt man und unterlässt die Arbeit. 'Es ist zu spät, es ist zu früh', sagt man und unterlässt die Arbeit. 'Ich bin zu hungrig, ich bin zu satt', sagt man und unterlässt die Arbeit. Indem man so allerlei Vorwände gegen seine Pflichten macht, kann man noch nicht Erworbenes nicht gewinnen. Und was man erworben hat, wird aufgebraucht."

Das Pali-Wort, welches hier steht - "kammam na karoti"  bedeutet im Grunde noch mehr als nur "die Arbeit unterlassen". Es heißt: "Das zu Wirkende unterlässt er." Ob es nun eine Arbeit ist oder eine Pflicht gegenüber der Familie, Freunden, gegenüber sich selbst - er findet tausend Vorwände, sie nicht zu erfüllen, sondern seinen Tendenzen, seiner Bequemlichkeit zu folgen. Das ist lässiges Sich-Gehenlassen, durch das noch nicht Erworbenes nicht gewonnen wird und Erworbenes aufgebraucht wird.

Nach einer Zusammenfassung dieser zu meidenden Gebiete, die einem jungen Großstadtbewohner wie Singalaka besonders naheliegen, die ihn täglich verlocken und reizen, hebt nun der Erwachte einen Bereich besonders hervor: Den Bereich der Freundschaft, der bisher nur negativ eingegrenzt war. Es wird ihm gezeigt, welcher Art die guten Freunde und welcher Art die schlechten Freunde sind:

"Es sind da, Bürgersohn, viererlei Feinde zu merken, die sich wie Freunde geben: Der Nur-immer-Nehmer ist als ein Feind zu merken, der sich wie ein Freund gibt; der 'gute Ratgeber' ist als Feind zu merken, der sich wie ein Freund gibt; der gefällige Jasager ist als ein Feind zu merken, der sich wie ein Freund gibt; der Gefährte nach abwärts ist als ein Feind zu merken, der sich wie ein Freund gibt."

Und nun gibt der Erwachte eine feine Typologie der falschen und unechten Freunde, von denen es natürlich vielerlei verschiedenen Mischtypen gibt, die aber jeder in seiner Umgebung wiedererkennt:

"Vier Fälle sind es Bürgersohn, wo der Nur-immer-Nehmer als Feind zu merken ist, der sich wie ein Freund gibt: Nur-immer-Nehmer ist er, für wenig wünscht er viel, ängstlich zu machen, hält er für seine Pflicht, er liebt es, Rechtshändel zu erregen."

Dies sind solche, die sich gerade labilen Menschen von selbst anbieten. Sie wollen genießen auf Kosten anderer. Der Nur-immer-Nehmer ist offen darauf aus, bei dem anderen Vorteile zu erbeuten; einen einmal geleisteten Dienst hält er dem Freunde noch monatelang vor, um ja eine Gegenleistung zu erlangen. Ängstlich zu machen hält er für seine Pflicht, einmal, weil dann der andere das Gefühl hat: "Der ist wirklich ein Freund, der hat mich gewarnt" und zum anderen, weil er selbst ängstlich ist und fürchtet, dass ihm etwas entgehen könnte. Und wenn wirklich einmal ein Verlust droht, dann springt er nicht ein, sondern wie es heißt: "Er liebt es, Rechtshändel zu erregen." Er sagt dem anderen: "Das kannst du dir nicht gefallen lassen usw." Nie redet ein solcher Freund dem Loslassen das Wort, weil er selbst ja nicht lassen, sondern nehmen will.

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der gute Ratgeber als Feind zu merken ist, der sich als Freund gibt: Über Vergangenes verbreitet er sich gern, über Zukünftiges verbreitet er sich gern, auf nichtige Dinge legt er Gewicht, wenn Not am Mann ist, warnt er vor Unglück."

Das ist der "Freund", der Geltung sucht, der in erster Linie Zustimmung, Anerkennung von anderen will und sich darum solchen anbietet, die noch keine Erfahrung darin haben. Er verbreitet sich über allerlei Dinge, die interessant scheinen, die aber die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen abziehen, und wenn Not ist - warnt er vor ihr, statt zu helfen; denn er ist eben, wie es im Pali wörtlich heißt, nur "in Worten der erste".

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der gefällige Jasager als Feind zu merken ist, der sich als Freund gibt: Bei Schlechtem stimmt er da zu und bei Gutem stimmt er da zu, ins Gesicht sagt er einem Lobesworte, hinter dem Rücken spricht er sich tadelnd aus."

Das ist ein "Freund", der nicht danach fragt, ob etwas gut oder schlecht sei, sondern dem es mehr um die Kumpanei geht, weil er in Gesellschaft leben will.

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der Gefährte nach abwärts als Feind zu merken ist, der sich als Freund gibt: Berauschende Getränke oder andere die Vernunft und Selbstkontrolle verhindernde Mittel zu genießen, da kommt er mit. Müßig sich auf der Straße herumtreiben ist ihm recht. Gemeinschaftsvergnügungen besuchen gehen, da schließt er sich an. Der Spielleidenschaft sich hingeben, dazu ist er ein Gefährte."

Die meisten Menschen haben gute und schlechte Eigenschaften gemischt. Aber wenn man klar merkt, dass sich einer als Freund gibt, dem es in Wirklichkeit nur um eigenen Vorteil geht - dann soll man um solche "Freunde" von weitem einen Bogen machen wie um einen gefährlichen Hohlweg. Dann gilt nicht falsch verstandene Freundestreue, sondern die Sorge um die Läuterung des eigenen Herzens, mit der man allen Wesen, selbst dem falschen Freund, am besten helfen kann.

Diesen vier falschen Freunden stellt der Erwachte die wahren, echten Freunde gegenüber:

"Es gibt Bürgersohn, viererlei Freunde, die als treuherzig zu merken sind: Der Wohltäter ist ein Freund, der in Freuden wie in Leiden gleiche ist ein Freund. Der Heildeuter ist ein Freund. Der Mitempfinder ist ein Freund.

"Vier Fälle sind es, wo der Wohltäter als ein treuherziger Freund zu merken ist: Den Leichtsinnigen hält er zurück, des Leichtsinnigen Hab und Gut sucht er zu retten, dem Gefährdeten bietet er Zuflucht, in der Not lässt er ihm verdoppelte Hilfe angedeihen. Das sind, Bürgersohn, die vier Fälle, wo der Wohltäter als treuherziger Freund zu merken ist."

Verglichen mit dem Nur-immer-Nehmer ist der Blick beim Wohltäter ganz anders gerichtet. Er hält den Leichtsinnigen auch da zurück, wo er mitgenießen könnte. Wo es vom Nur-immer-Nehmer heisst: "Ängstlich zu machen hält er für sein Pflicht", da heißt es vom Wohltäter: "Dem Gefährdeten bietet er Zuflucht". Und während es vom Nur-immer-Nehmer heißt: "Er liebt es, Rechtshändel zu erregen", nämlich da, wo das Eigentum bedroht ist, von dem er mitgenießen möchte, da heißt es vom Wohltäter: "Im Notfall lässt er ihm verdoppelte Hilfe angedeihen."

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der in Freuden wie Leiden Gleiche als treuherziger Freund zu merken ist: Vertrauliches teilt er mit, Vertrauliches hütet er, im Unglück verlässt er ihn nicht, sogar sein Leben gibt er ihm zuliebe dahin."

Diese Haltung, in Freuden und Leiden gleich zu sein, kann nur demjenigen vollkommen zu eigen sein, der nicht der Gier folgt, dem Hass folgt, der Blendung folgt, der Angst folgt, sondern der darüber schon hinausgewachsen ist.

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der Heildeuter als ein treuherziger Freund zu merken ist: Vor Schlechtem wehrt er ab, zum Guten lenkt er hin, Unbekanntes erklärt er ihm, die himmlische Fährte zeigt er ihm."

Jeder, der durch einen Freund zum religiösen Fragen kam oder gar an die Lehre selbst, hat diese Wohltat des "Heildeutens" erlebt, und wo Kenner der Lehre miteinander befreundet sind, da sind sie einander gegenseitig "Heildeuter".

"Vier Fälle sind es, Bürgersohn, wo der Mitempfinder als ein treuherziger Freund zu merken ist: Ein Misslingen erfreut ihn nicht, ein Gelingen erfreut ihn, bei tadelnder Rede wehrt er ab, bei lobender Rede stimmt er ein."

Wie wohl tut eine solche von Neid und Missgunst völlig freie, herzliche Atmosphäre. Auch der Mitempfinder ist ein wichtiger, förderlicher Freund in der Skala von Freunden, die sich der Mensch suchen sollte.

 

"Wer Wohltat ausübt als ein Freund,

wer Freund in Freud wie Leiden bleibt,

wer als ein Freund das Heil aufzeigt,

als Freund ein Mitempfinder ist:

 

Die wahren Freunde sind die vier,

dem klugen Manne wohlbekannt:

Er soll sie halten lieb und wert,

gleichwie die Mutter hegt ihr Kind.

 

Der Kenner, in der Tugend reif,

wie strahlend Feuer glänzt er hell;

Vermögen schafft er, sammelt an,

der Biene gleich, die emsig fliegt.

So wird er reicher Tag um Tag,

ameisenemsig recht bemüht.

 

Wer also einzuernten weiß,

der ist im Hause reich genug;

er teilt die Habe vierfach ab,

kann fest nun knüpfen Freundesband.

 

Ein Teil, der dien´ ihm zum Verbrauch,

mit zwein versorg´  er sein Geschäft,

den vierten aber spare er

als Vorrat, falls ein Notfall kommt."

 

Hier wird gezeigt, wie ein Mensch bis in die Einteilung des Vermögens hinein sich eine gute Umwelt gestalten kann. Hier heißt es nicht: "Entbehren sollst du, sollst entbehren", sondern hier gibt der Erwachte Singalaka ein Sieb, mit welchem er sich aus der Fülle der Umwelterlebnisse die gute, förderliche, heilbringende Umwelt heraussieben kann auf die einfachste und schönste Weise: Durch gute Freundschaft. Stellen wir uns einen jungen Menschen vor, der mit diesen vier Arten von Freunden umgeben ist. Er erlebt ständig Herzenseigenschaften, die ihn fördern und im Guten bestärken. Er kann gar nicht anders, als ihnen gleich zu werden, indem er sein Gemüt aufmacht, mit ihnen eins wird, sich ihre Eigenschaften aneignet, ihrem Vorbild nachfolgt. So läutert er selbst sein Gemüt, dass es hell glänzt wie strahlendes Feuer. Von einem so Gesicherten, der von allem leichtsinnigen Tun abgehalten wird, achtsam ist, mitempfindet, gut mit seiner Umgebung auskommt, heißt es dann, dass er sich auf die Dauer auch rein äußerlich besser steht als ein anderer: er sammelt Vermögen an. Und jetzt wird ihm sogar noch ein rein geschäftlicher Ratschlag gegeben, wie er sein Vermögen einteilen soll.

Betrachten wir noch einmal die bisher gegebenen Ratschläge des Erwachten, die vier ersten Tugendregeln innezuhalten, der Gier, dem Hass, der Blendung, der Angst nicht zu folgen, die sechs in den Abgrund ziehenden Vergnügungen zu meiden, die vier gefährlichen Freunde zu meiden, die vier echten Freunde als treue Wächter um sich herumzustellen und das äußere Vermögen gut einzuteilen: Wer das befolgt, der hat die beste Sicherheit für diesseitiges und jenseitiges Wohl erreicht.

Aber bei diesen grundlegenden Ratschlägen lässt es der Erwachte noch nicht bewenden. Auf dem Fundament dieser hellen Lebensführung gibt der Erwachte nun Singalaka noch konkret und praktisch und sehr ausführlich Anleitungen zum rechten Umgang mit "den sechs Himmelsgegenden". Dieses bezieht sich auf den Ritus, den der junge Singalaka für seinen verstorbenen Vater durchzuführen im Begriff war.

"Wie aber gewinnt ein Heilsgänger die sechs Himmelsgegenden als Schutz? Sechs Himmelsgegenden, Bürgersohn, gibt es, die man sich merken muss: Der Osten, das sind die Eltern. Der Süden, das sind die Meister (Anmerkung: im Arbeitsleben). Der Westen, das sind Frau und Kind (Anmerkung: oder natürlich auch 'Mann und Kind'). Der Norden, das sind Freunde und Genossen. Das Unten, das ist Dienergesinde. Das Oben, das sind Asketen und Priester."

So spannt der Erwachte die gesamte menschliche Umwelt sinnbildlich in die sechs Richtungen des Himmelsraumes ein. Dem Osten, wo die Sonne aufgeht, der Lebenstag beginnt, sind die Eltern zugeordnet, dem Westen, wo die Sonne untergeht, ist die Familie zugeordnet, Frau und Kind, die Nachfahren. Die geistlichen und religiösen Lehrer, die unser Denken über die Niederungen des Alltags erheben, gelten für oben und Diener und Gesinde für unten. so bleibt noch der Norden für die Freunde und der Süden für die Meister.

Und dann wird bei jeder dieser sechs Himmelsrichtungen erklärt, wie man sie sicherstellen soll, damit von dort kein Unheil kommen kann - mehr noch: damit man sie als Schutz gewinnt.

Dies geschieht wieder in sehr ausfürlicher, ganz detaillierter Form, die den Rahmen dieser Webseite hier sprengt. Es lohnt sich aber sehr, von dieser Stelle aus für sich selbst weiter zu studieren und (natürlich) nach und nach danach zu leben trachten.

Der Erwachte fasst das alles noch in Versen zusammen, die ausreichen, ein ganzes Leben zu begleiten:

"Die Eltern sind der Osten hier,

den Süden stell´n die Meister dar,

als Westen gelten Frau und Kind,

als Norden der Gefährte, Freund,

und "unten" heißt: der Diener, Knecht,

und "oben": Geistlicher, Asket,

Verehrt man diese Richtungen,

hat man´s im Hause wirklich gut.

Der Weise, Tugendreife, der

zur Milde sich gewandelt hat,

schlicht lebend, von Verhärtung freu,

erwirbt sich einen hohen Ruf.

Wer immer aufstrebt, nicht erschlafft

und auch im Unglück nicht verzagt,

untadlig lebt und klar gesinnt,

erwirbt sich einen hohen Ruf.

Eintracht und Freundschaft wirkt er rings,

leicht ansprechbar, von Enge frei;

als Führer, Lehrer, Töster kommt

ein solcher bald in hohen Ruf.

Gern geben, stets ein freundlich´ Wort,

das Wohl von allen fördern stets

gerecht in allen Dingen sein,

stets wägen nach dem wahren Wert:

Das ist der Anhalt für die Welt,

die Achse für das Rad, das rollt.

(Anmerkung: Wörtlich "Das hält die Welt zusammen")

Und gäb es diesen Anhalt nicht

- die Mutter kümmerte sich nicht

ums Kind, nicht Achtung, Ehrfurcht gäb´s,

nicht Vater- und nicht Kindespflicht.

Weil die Erfahr´nen diesen Halt

im Blick behalten aufmerksam,

werden sie große Männer, die

man weithin gerne anerkennt.

"Nach dieser Rede wandte sich Singalaka, der Bürgersohn, an den Erhabenen mit den Worten: "Wunderbar, Herr, wunderbar, Herr! Gleichwie etwa, herr, als ob man Umgestürztes aufstellte oder Verdecktes enthüllte oder Verwirrten den Weg wiese oder ein Licht in die Finsternis hielte: Wer augen hat, wird die Dinge sehen. - Ebenso auch hat der Erhabene gar vielfach die Lehre dargelegt. Und so nehme ich zum Erhabenen Zuflucht, zur Lehre und zur Jüngerschaft. Als seinen Nachfolger möge mich der Erhabene betrachten, der von heute an zeitlebens Zuflucht genommen hat."

 

Nach einem Kapitel in Paul Debes´ Buch: "Meisterung der Existenz durch die Lehre des Buddha".