Nach einem Artikel in "Wissen und Wandel" (1989) von Dr. Hellmuth Hecker.

Mann und Frau in der Lehre des Buddha.

 

Der Buddha zeigt im Menschentum sechs große Bereiche sozialer Beziehungen: Eltern und Kinder, Ehemann und Ehefrau, Lehrer und Schüler, Freund und Freund, Chef und Untergebene, Asketen und Laien. In allen sechs Bereichen gibt es die Beziehung von Mann und Frau, auch über die Ehe hinaus: Mutter-Sohn, Vater-Tochter, Bruder-Schwester, Vetter-Cousine und weitere Verwandtschaftsgrade; Lehrer-Schülerin, Lehrerin-Schüler; Freund-Freundin, Kollege-Kollegin; Chef-Angestellte, Chefin-Angestellter; Mönch-Nonne, Mönch-Laienanhängerin, Nonne-Laienanhänger. So ist das Problem des männlich-weiblichen Verhältnisses ein zentraler Aspekt des menschlichen Daseins. Partnerschaft, Ehe, Familie, Sexualität, Erotik, Gleichberechtigung der Geschlechter, Rollenverständnis: das sind nur einige der modernen Stichworte dazu.

So wenig dieses Beziehungs- und Spannungsverhältnis zu unterschätzen ist, so wenig darf es überschätzt werden. Wir kennen normalerweise nur unsere kleine Erdenwelt der Menschen, Tiere, Pflanzen mitsamt der "toten Materie" bis in den Weltraum. Schon vor dem Erscheinen des Buddha empfanden die meisten Inder eine solche Begrenzung als primitiv. Viele wussten aus eigener Erfahrung, dass es nicht nur eine Welt, sondern mindestens eine Dreiwelt gibt: Unterwelt, Erdenwelt, Himmelswelt. Welchen Namen man auch den Bewohnern der dunklen Unter- und lichten Oberwelten geben mochte - Gespenster, Titanen, Dämonen, Höllenbewohner einerseits und Engel, Feen, gute Geister und sonstige sinnliche Götter andererseits - so gibt es in allen dieser drei Welten Männer und Frauen mit ihrer wechselseitigen Problematik.

Anmerkung: Im Kapitel "Daseinsbereiche" sind die verschiedenen Welten mit ihren Bewohnern (so wie vom Buddha geschaut) skizziert.

Auf diesem Hintergrund ist nun die Frage nach der Herkunft der Geschlechter zu prüfen, nach dem Ursprung der Polarität von männlich und weiblich. Der Erwachte hat diese Frage klar beantwortet. Um den Wert dieser Aussage richtig würdigen zu können, kann man ihr die biblische Lehre vom Sündenfall gegenüberstellen, von der wir im Abendland irgendwann beeinflusst worden sind und die bis in die Gegenwart wirkt. Die Wurzel der Diskriminierung der Frau im Abendland ist im Alten Testament zu finden.

Nach dem jüdischen Schöpfungsbericht der Genesis (Erstes Buch Mose) schuf Gott den Menschen zuerst als Mann (Adam=Mensch). Dann fand der Allwissende, dass seine Schöpfung doch nicht gut sei: Es sei nicht gut, dass der Mensch allein sei; er brauche eine Gehilfin. Daher schuf der Allmächtige aus einer Rippe des schlafenden Mannes das Weib.  Das Weib aber ließ sich von der von Gott als listiges Tier geschaffenen Schlange zum Ungehorsam gegen Gott verführen: Eva aß vom Baum der Erkenntnis und gab auch Adam davon, und er aß ebenfalls. Zur Strafe vertrieb der liebe Gott beide aus dem Paradies, wobei er zu Eva sprach: "Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein." (1. Mose 3,16).

Negativer und diskriminierender als nach diesem Dogma kann man die Frau kaum schildern.

Die buddhistische Evolution:

Anmerkung: Im Kapitel "Weltentstehung" ist die Evolution in Form eines Erfahrungsberichtes dessen, was der Buddha in der Rückerinnerung selbst gesehen hat, geschildert. Bei seinem Weisheitsdurchbruch hat der Buddha geschaut, wie immer wieder die Welt entsteht und vergeht und wie jedes der unendlich vielen Weltzeitalter sich nach dem gleichen Schema entwickelte.

Jede Umdrehung dieses anfangs- und in sich endlosen Rades der 'Evolution' beginnt nicht mit einem Nichts oder etwas Unvollkommenen, sondern mit Fülle und Ganzheit, die sich dann allmählich vergröbert und daher besser als Devolution bezeichnet werden könnte: Aus erhabenen Geistwesen hoher Götter, aus selbstleuchtenden Brahmas, werden auf Grund latenter Triebe zur Außenwendung durch Neugier auf Eßbares (das ist das einzig Gemeinsame mit dem "Sündenfall") Wesen mit einem Fleischleib. Der bisher lichte feinstoffliche Körper umhüllt sich mit grober Materie und verdunkelt sich selber. Die heftig Genießenden werden dadurch gröber und unschöner, die zögernder Genießenden bleiben feiner und schöner. Dafür aber überheben sie sich gegenüber den Unschöneren, werden eingebildet und hochmütig. Wegen dieser Herzenstrübung der Überhebung bringt die Erde nun nach dem Gesetz von Saat und Ernte (Karma) schwächere Nahrungsmittel hervor in drei Abstufungen. Es ist immer Naturkost, die keiner Behandlung bedarf. Die Wesen leben von der Hand in den Mund. Doch schließlich, bei der vierten Vergröberung, erscheint Reis. Er ist roh ungenießbar und muss gekocht werden. Dafür braucht man Feuer, dafür einen Herd, dafür eine feste Stätte. Damit entsteht eine Arbeitsteilung. Die einen pflücken, sammeln und transportieren den Reis; die anderen lesen ihn aus, waschen und kochen ihn. Und damit, so heißt es, entstanden Mann und Frau. Die Wesen waren zwar bis dahin geschlechtlich ungesondert wie höhere Engel, aber seelisch gab es immer schon Schwerpunkte von Anlagen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mehr der Intellekt (Geist) oder mehr das Gemüt (Seele) überwiegen kann, d.h. das Verändern oder das Bewahren, das Erzeugen oder das Pflegen. Was im einzelnen "typisch" weiblich oder "typisch" männlich sei, wird kaum einhellig zu klären sein. Ein moderner Versuch der Klärung durch einen Psychologen (Erich Fromm) mag hier angeführt werden:

"Den maskulinen Charakter könnte man so definieren, dass er die Eigenschaften der Durchdringung, Führung, Aktivität, Disziplin und Abenteuerlust besitzt, der feminine Charakter dagegen hat die Eigenschaften der schöpferischen Empfänglichkeit, des Beschützens, des Realismus, des Erduldens und der Mütterlichkeit. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Kennzeichen dieser beiden Charaktere in jedem Individuum gleichzeitig vorkommen, lediglich mit dem Übergewicht jener Eigenschaften, die zu 'seinem' oder 'ihrem' Geschlecht gehören."

Als nun das Geschlecht am Fleischleibe sichtbar wurde, geschah es zu gleicher Zeit. Bei dem Erfahrungsbericht des Buddha ist keine Rede davon, wie in der Bibel, dass zuerst der Mann und dann die Frau entstand. Es ist auch nicht so, wie es im indischen Mythos heißt, dass das Selbst (Atman) ursprünglich eins war und sich aus Langeweile in Mann und Weib als seine zwei Hälften aufspaltete. Es ist viel schlichter: aus dem unterschiedlich inneren Drang nach dem Außen entsteht das Geschlecht als Symbol der seelischen Differenzierung. Der Anblick der Geschlechtsteile führt dann zur Geschlechtslust und Paarung. Auch hier ist es anders als in der Bibel. Nicht die Frau hatte Schuld am "Sündenfall", sondern es geschah von beiden Seiten. Die Paarung führte zum Hausbau, zum Nestbau, womit Heim und Welt geschieden waren. Bis zu dieser Epoche der Devolution hatte es keine geschlechtliche Fortpflanzung gegeben, die Wesen materialisierten sich durch Geisteskraft. Sinnlich bedürftige Wesen inkarnierten also dadurch, dass die unmittelbar mit Geistesmacht - nicht in dem umständlichen Verfahren der geschlechtlichen Fortpflanzung - ihren feinstofflichen Leib mit einer gröberen Hülle umkleideten. Diese Art von Wesen verlor wegen seiner Vergröberung die einstige Geisteskraft und sank herab auf die Stufe eines schwachen Menschengeschlechts, das nur durch Zusammenwirken von Mann und Frau die Bausteine für den Zellkörper eines neuen Fleischleibes stellen konnte. Das war eine Verkomplizierung, die neues Wehe schuf. Und auch die äußeren Gegebenheiten wurden schlechter. Da wuchs der Reis nicht mehr wild, sondern er musste ausgesät, gepflegt und geerntet werden. Da wurde der Mann an den Pflug gejocht, die Frau musste haushalten. Das Maskulinum (Etymologie: "Muskelwesen") musste im Schweiße seines Angesichts ackern und pflügen. Das Femininum (etymologisch "Nährende, Sättigende") musste die Familie versorgen.

Nirgends in dieser ganzen Entwicklung ist eine Diskriminierung der Frau zu erblicken, keine Schuld und keine Verteufelung. In vielen Lehrreden betont der Buddha immer wieder, dass die Gleichheit der Geschlechter, seit ihrer simultanen Entstehung innerhalb der Devolution, vor allem in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit und Bedürftigkeit besteht, eben in der gegenseitigen Anziehung.

Mann und Frau:

Mann und Frau finden jeweils den Partner anziehend, interessant und angenehm, wenn der fünf Eigenschaften bzw. Dinge besitzt:

1. Eine wohlgebildete Gestalt, ein gefälliges Äußeres statt Häßlichkeit, eben Schönheit, die nicht umsonst an erster Stelle genannt wird, weil sie auf den ersten Blick den höchsten Stellenwert besitzt.

2. Reichtum, Vermögen, Geld und Gut statt Armut, Dürftigkeit.

3. Fortpflanzungsfähigkeit, intakte Geschlechtsorgane statt Sterilität.

4. Wenn er nicht schlampig, ungepflegt, nachlässig, unordentlich ist.

5. Wenn er Tugend hat, worin alle guten sittlichen und charakterlichen Qualitäten einbegriffen sind.

Je mehr von diesen Eigenschaften vorhanden sind, desto angenehmer ist man dem Partner. Wo sie aber sämtlich fehlen, da ist es mit der Anziehung vorbei. Wie immer die Gewichte verteilt sind und worauf man besonderen Wert legt, eines ist, wie der Buddha betont, immer das Wichtigste, nämlich die Tugend, weil sie über Himmel und Hölle bestimmt. Sie sei, wie er sagt, die entscheidende Kraft.

Sowohl Frauen als auch Männer haben dieselben Hemmungen und Fesseln zu überwinden, müssen dazu dieselben Tugenden und Meditationen pflegen, durchschreiten dieselben vier Sicherheitsgrade und erleben dieselbe Versiegung des Durstes und dieselbe Erwachung.

Dieser existentiellen Gleichheit scheint es aber zu widersprechen, wenn in den Lehrreden die Frau als größtes Hindernis der Askese dargestellt wird. Wie ist dieser Widerspruch zu betrachten?

Die Religion, die der Buddha in Indien vorfand, war der vedische Brahmanismus in damals schon recht heruntergekommener Form. Karma, Wiedergeburt, Samsaro waren zwar noch allgemein bekannt, aber man richtete sich doch in erster Linie auf das jetzige Leben aus. Für das jetzige Leben als Mensch galt eine starre Kastenordnung und der brahmanische Opferkult. Die Brahmanen herrschten als Priesterkaste über die Religion. Und wo Machtgier in der Religion sich ausbreitet, da ergreift sie auch die nächstliegende Möglichkeit, nämlich den Herrschaftsanspruch des Mannes über die Frau. Die Brahmanen lehrten, dass nur männliche Brahmanen den Veda studieren dürfen und Priester sein könnten. Die Ehefrau durfte nur assistierend neben dem Mann teilnehmen. Ehefrauen hatten weder Eigentums- noch Erbrechte, sie konnten sich nicht scheiden lassen und durften als Witwe nicht wieder heiraten. Sie hatten vor allem die Pflicht, Söhne zur Welt zu bringen, weil nur Söhne die Sterberiten für den Vater vollziehen und diesen zum Himmel leiten könnten. Nur durch strikten Gehorsam gegenüber ihrem Gatten konnten, die Frauen, die generell als moralisch minderwertig galten, zum Himmel gelangen. Sie standen als solche auf der Stufe der Dienerkaste. Alle Funktionen in der Öffentlichkeit waren Männern vorbehalten.

Der Buddha hat sich keineswegs sozialrevolutionär betätigt. Er hat vielmehr den Menschen höhere Ziele bis zur endgültigen Erlösung aufgezeigt, womit sich alle Probleme von selbst lösen. Das Wichtigste dabei war, dass er betonte, Männer und Frauen seien beide erlösungsfähig. Man muss sagen, dass der Buddhismus den Frauen mehr sozialen Schutz und religiöse Freiheit bot als das ihn umgebende Gesellschaftssystem.

Doch die gesamten Lehrreden sind - mit relativ wenigen Ausnahmen - an Männer gerichtet und darunter wieder meist an Mönche. Diese an Mönche gerichteten Reden befassen sich überwiegend damit, wie man noch in diesem jetzigen Leben ein Heiliger wird oder mindestens ein über die Sinnlichkeit hinausgewachsener Nichtwiederkehrer. Diese Reden sind auf das Erreichen des Nirwana in diesem einen Leben programmiert. Das bedeutet aber für den Mönch: Das sinnliche und vor allem sexuelle Begehren ist Feind Nr. 1.

Das richtet sich aber überhaupt nicht gegen die Frau als Mitschwester, als Schwester, als eines unserer im Samsara leidenden und kämpfenden Geschwister, als strebendes und erlösungsfähiges Wesen - da sind Mann und Frau völlig gleichberechtigt - sondern gegen die Gier des Mannes nach weiblicher Ergänzung, nach weiblichem Kontakt, nach weiblicher Berührung. Dafür sind in seiner eigenen Vorstellung die Gierobjekte zu entreizen und zu entlarven. Und: Für Nonnen gilt umgekehrt das gleiche wie für Mönche.

Partnerschaft:

Was der Buddha über Partnerschaft, insbesondere über eheliches Zusammenleben aussagt, mag für unsere Situation oft wichtiger sein und sei im folgenden erläutert:

Partnerschaft heißt vom Wort her: Teilhabe. Diese Partnerschaft ist die Teilnahme an einem seelischen Unternehmen, das nicht weniger störanfällig und risikoreich ist als die Teilnehmerschaft an einem geschäftlichen Unternehmen. Was jeder als seelisches Kapital in diese "Firma" einbringt, ist unbestimmt. Keiner weiß es von sich selbst so genau, geschweige denn vom anderen. Vor allem aber kennt man das karmische Konto nicht. Nur eines ist sicher und klar: Jeder hat das Bedürfnis, der Vereinzelung und Vereinsamung zu entfliehen, oft um jeden Preis. Positiv ausgedrückt ist es die Sehnsucht nach dem Du, nach Zuwendung, nach Liebe, nach Gesellschaft, und zwar nicht nach irgendeiner Gesellschaft, sondern gerade nach der Ergänzung durch das andere Geschlecht. Das ist ein Habenwollen: wechselseitig mit umgekehrten Vorzeichen. Darüber hinaus hat jeder unzählige weiter Wünsche, Vorlieben, Interessen, Lieblingsideen und Eigenheiten. Verglichen mit der Stärke dieser Wünsche ist die Fähigkeit, diese Wünsche zu erfüllen, meistens erheblich schwächer. Vom Partner erhofft und ersehnt man, dass er das große dunkle Loch der Wünsche ausfülle mit Licht und Wärme.

In der Lehrrede "Singalakos Ermahnung" gibt der Buddha (unter anderem) an, wie der männliche Partner auf fünf Weisen das Verhältnis zu seiner Frau sichern und befrieden kann.

Der männliche Partner:

1. Wertschätzung der Frau. Der Buddha wählte das Wort sammanana, wörtlich: Im Geiste eine hohe Meinung haben, Hoch-achtung haben. Diese Hochachtung, Wertschätzung führt zu liebevoller Zuwendung, Einfühlung, führt dazu, sich in den anderen zu versetzen und sein Anderssein liebevoll einzubeziehen. Man lässt es durchaus nicht nur bewenden bei dem Gedanken: "Ein lieber Mensch...", sondern das Hauptaugenmerk ruht auf den guten Seiten. Es ist so etwas wie eine Art mitmenschlicher Ergriffenheit darüber, dass es solches Gutes in der Welt wirklich gibt. Dieses Empfinden mag noch verstärkt werden, wenn ich meine eigenen Fehler betrachte und zu merken beginne, wie ich damit auf meiner Mitwelt laste und welch bewundernswerte Art dazu gehört, mich unvollkommenes und unerlöstes Wesen zu ertragen.

Während die allgemeine menschliche Achtung die Basis ist, auf der die herzliche Wertschätzung für den Ehepartner aufbaut, bildet die Bewunderung die Spitze der Wertschätzung. Sie ist nicht mit Idealisierung und Anbetung zu verwechseln. Ein amerikanischer Eheberater schreibt: "Die Bewunderung, die zwei Menschen einander entgegenbringen, ist das stabilste Stützsystem, das stärkste Fundament, das eine Beziehung überhaupt haben kann. Auf der Basis wechselseitiger Bewunderung ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass das Paar in der Lage sein wird, mit den Beanspruchungen umzugehen und die Stürme zu überdauern, die unvermeidbar Teil des Lebens sind und damit früher oder später auch in jeder Beziehung eine Rolle spielen..."

2. Die Frau nicht geringschätzen. Das ist mehr als ein schmückender Ausdruck für dasselbe wie Wertschätzen. Man kann nämlich dem Partner an sich mit Hochachtung begegnen, aber wenn einem einmal etwas nicht passt (und wo käme das nicht vor?), dann fällt man unversehens und unbewusst in herablassende Verachtung zurück, etwa nach dem Motto: "Ja, ja, die Weiber, sie können eben nicht anders mit ihrer Unlogik." Oder umgekehrt: "Typisch Mann, nur Kopf." Ehe man es merkt, schwimmt man wieder im Strom der Vorurteile und Schablonen. Die Aufforderung, einander nicht geringzuschätzen, appelliert eben an tiefere Schichten der Psyche.

3. Nicht ausschweifen. Die ersten beiden Empfehlungen (Wertschätzen, nicht Geringschätzen) gelten ganz selbstverständlich wechselseitig für beide Partner. Dass sie in dieser Lehrrede des Buddha nur für den Mann aufgeführt sind, kann seinen einfachen Grund darin haben, dass der Buddha hier einen heranwachsenden jungen Mann anleitet. Bei der dritten Empfehlung wird jeweils ausdrücklich bei Mann und Frau das Nicht-Ausschweifen genannt. Das Paliwort aticarino bedeutet wörtlich: überschreiten, übertreten, hinausgehen über - und zwar über die durch die Ehe gezogenen Schranken der Sexualität. Es ist Ehebruch, ein Ausbrechen aus der Partnerschaft: Untreue, sexuelle Abenteuer, Bordell-Besuche, Seitensprünge. Früher sprach man vom Schürzenjäger auf den Spuren Casanovas oder Don Juans, heute redet man vom "Gruppen-Sex" oder "offener Ehe". In der Regel aber schätzt der Mann es nicht, wenn seine Frau ein Verhältnis hat und er wirft ihr Treuebruch vor. Aber: Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem andern zu. Diese goldene Regel ist der Hintergrund auch für dies "Gebot".

4. Freiraum einräumen. Der Mann soll seine Neigung zur Herrschaft, zum "Herren", aufgeben, und er soll seiner Frau ihren Herrschaftsbereich gewähren. Er soll eben nicht alles selber machen und entscheiden, sondern der Frau ihren Bereich der Verantwortung überlassen, so wie es in der damaligen Agrargesellschaft und im Patrizierhaus üblich war. Jeder Ehepartner braucht einen Freiraum, wo der andere - so erfreulich teilnehmendes Interesse ist - nicht hineinreden und "mitbestimmen" will.  Im Privaten braucht jeder Partner eine gewissen Freiraum, in welchem der andere keine "Mitbestimmung" beansprucht (man denke z.B. an Religion, einen gewissen Teil der Freizeit, Kontakte des Partners mit seinen eigenen Verwandten oder alten Freunden o.ä.). In der Gemeinschaft der Ehe muss jeder Partner seinen Teil haben, in dem er schalten und walten kann.

5. Schmuck schenken. Das fünfte und letzte Merkmal des guten Verhältnisses des Mannes zu seiner Frau kann bedeuten "ihr genügend zum Unterhalt darreichen" aber der Gebrauchswert des Palibegriffes beinhaltet eine übertragende Bedeutung im Sinne von Sich-schön-Machen, schmücken. Der Buddha hat auch in anderem Zusammenhang den weltlich Genießenden geraten, mit dem redlich Erworbenen sich und den Nächsten etwas zu gönnen, dadurch aus Engherzigkeit und Egozentrik herauszukommen zu immer mehr Verständnis, Fürsorge und Liebe und dadurch zu Herzenswohl, dessen Wohlgeschmack das Sinnenwohl weit übertrifft und von daher abnehmen lässt.

Der weibliche Partner:

Nach der Schilderung der obigen Ratschläge für den Ehemann heißt es:

"Ist also, Bürgersohn, auf fünffache Weise der Gatte ... seinen Frauen entgegengekommen, so nehmen sie sich in fünffacher Weise des Gatten an: Wohlbestellt ist das Hauswesen, wohlgeleitet das Gesinde, kein Gebot wird übertreten, das Besitztum ist in treuer Hut, man ist geschickt und behende bei jeder Arbeit."

Es geht hier um Saat und Ernte, um Wirken und Wirkung. Wie der Mann sich zu den Frauen verhielt, so werden sie sich zu ihm verhalten - und umgekehrt. Jeder erwirkt es sich, welcher Partner ihm begegnet. Hier ist nun die Rede von den fünf heilsamen Verhaltensweisen der Frau. Diese sind naturgemäß auf die damalige Sozialstruktur bezogen, haben aber allgemeingültige existentielle Phänomene zur Grundlage.

1. Wohlbestellt ist das Hauswesen. Dass auch der Mann mithilft beim Einkaufen, Kochen, Abwaschen, Wäsche machen, Staubsaugen, Müll wegbringen usw., ist bei uns keine Frage. Aber den Geist des Hauses, die Atmosphäre, das bestimmt die Frau. Von ihr hängt es ab, ob der Lebensgefährte sich auch "zu Hause" fühlt. Zur Ordnung des Hauses gehört, dass die Mahlzeiten nicht lieblos eingenommen werden. Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit und Tischordnung gehören mit dazu. Das Kochen von Reis war ja die Urzelle des Hauses in der Devolutionsgeschichte der Menschheit. Damit beginnt das Hauswesen. Die Liebe geht nicht durch den Magen, aber auch nicht ganz daran vorbei.

2. Wohlgeleitet ist das Gesinde. Das klingt wie ein Märchen aus Großmutters Zeiten. Wenn auch die Übersetzung mit "Gesinde" genau die damalige indische Situation trifft, so entspricht dies heute etwa einem guten "Betriebsklima" und betrifft auch die Mitwelt-Beziehungen, wörtlich "Leute herum". Die Leute, die um uns herum sind, das sind auch die Nachbarn und Kollegen und Freunde. Da ist ein wohltätiges, entspanntes, wohlgeordnetes Verhältnis nötig. Der "gute Geist" dabei ist oft der gute Geist der Frau.

3. Nicht ausschweifen. Diese dritte Verhaltensweise ist identisch mit der dritten des Mannes. Es ist die einzige Eigenschaft, die bei beiden Geschlechtern genannt ist.

4. Der Besitz ist in guter Hut. Die Ehefrau verschwendet hier nicht das Geld für sinnlichen Luxus. Diese Anleitung galt besonders im damaligen Indien, weil dort in der Regel der Mann allein verdiente und die Frau auch über ihre Mitgift nicht ohne ihn verfügen durfte. Das Eigentum des Mannes sollte sie nun erhalten, nicht verschwenden oder verkommen lassen. Es gibt ja viele Möglichkeiten, nicht sorgsam mit dem Besitz umzugehen.

5. Geschickt und behende bei jeder Arbeit. Das heißt: Mithelfen und Mitanpacken, umsichtig sein bei allen Tätigkeiten und Pflichten in Haus und Hof, Garten und Büro.

Schlussbetrachtung:

Über den vielfältigen Aspekten und Hinweisen der Lehre über das bestmögliche Verhältnis von Mann und Frau zueinander darf aber das eingangs Gesagte nicht vergessen werden, nämlich dass die ganze Problematik der Geschlechter nur in der untersten der drei Daseinsebenen, in der Begegnungswelt, besteht. Der Heilsweg des Buddha führt aber über diese Welt und über alle Welten hinaus.

Der Buddha lehrt die Wege, wie der Mann und die Frau sich zuerst zu edler und edelster Art entwickeln und so zur Vollkommenheit gelangen.