Es geht bei der buddhistischen Meditation um Satipatthana. Der Ruf der Satipatthana-Übung reicht ebenso weit wie der Ruf des Buddhismus überhaupt. Die Vorbedingungen zur rechten Durchführung dieser Übung sind allerdings beträchtlich und werden oft nicht gesehen oder ernst genommen.

Es geht zunächst darum, ein anderes Weltbild zu bekommen. Und es wäre nicht gut, wenn man da eilig wäre. Der Anblick wächst nur langsam.

Der Erwachte gab den Mönchen die Übung Satipatthana erst, wenn Tugend, Sinnenzügelung, Maßhalten beim Essen, Wachsamkeit bei den Herzenstrübungen erfolgreich geübt worden waren, den Mönchen diese Übungen Gewohnheit geworden sind, weltliches Begehren weitgehend überwunden war.

So geht aus den gesamten Reden des Buddha hervor, dass je nach der momentanen tugendlichen Verfassung des Übenden zunächst eine mehr oder weniger lang währende, aufmerksame Selbsterziehung erforderlich ist, bis er zu einer solchen hellen, sanften Herzensart erwachsen ist, dass er die Tugendregeln gar nicht mehr übertreten kann. Sobald nun der Mönch tugendhaft ist, spricht der Buddha von der Sinneszügelung und hier müssen wir sehen, dass ein normaler Mensch die Sinnenzügelung nach dem Maßstab des Erwachten nicht durchführen kann. Er trifft überall auf Dinge, die ihm wohl tun oder wehtun , die ihn erfreuen oder abschrecken oder ekeln, und vor allem im Gespräch mit anderen Menschen läuft sein Denken auch  hinterher noch dem Besprochenen nach. Die Übung ist nur solchen Menschen in vollem Umfang möglich, die nicht mehr in kontinuierlichem zwischenmenschlichen Verbund leben, weshalb der Erwachte in diesem Zusammenhang immer nur von „Mönchen“ und „Nonnen“ spricht.

Das mag nicht ausschließen, dass auch manche, die noch im häuslichen Stand leben, sich in dieser Richtung immer wieder bemühen, was zu einer graduellen Beruhigung der gesamten Sinnestätigkeit führt und damit zu einer gesammelten Beobachtung der eigenen Vorgänge.

Es gibt die vier „Ernsten Meditationen“ (Satipatthana):

1. Formbetrachtung bzw. Körperbetrachtung (Kayanupassana).

2. Betrachtung der Gefühle (Vedananupassana).

3. Betrachtung der Psyche (Herz, Seele) (Chittanupassana).

4. Betrachtung der Gegenstände der Lehre (Dhammanupassana).

Wenn wir die Inhalte dieser Übungen ausführlich betrachten und studieren, können wir sehen, wie schwer bis unmöglich sie im Hausleben nach dem ihren gegebenen Sinn in aller Konsequenz durchgeführt werden können. Schon alleine aus Zeitmangel, wenn man Beruf und Familie hat. Und doch bleiben sie für den Laien von Bedeutung. Sie sind zwar nicht direkt in die Praxis umzusetzen, sind nicht unmittelbar zur Nachahmung geeignet, aber sie sind meist unerlässlich, um sich über den gesamten Heilsweg zu orientieren. Sie zeigen die Richtung: Die Läuterung des Herzens von allen Verdunkelungen, Zwängen und Belastungen, eben von aller getriebenen Willkür. Wo eingesehen wurde, dass die Befreiung auch von den feineren und noch fernliegenden Fesseln notwendig ist, um alles Leiden zu überwinden und vollkommenes Wohl zu erlangen, da erst wird man die gröberen und näherliegenden Fesseln als Unheil durchschauen. Insofern sind die Meditationsanweisungen für Mönche von nicht geringem Nutzen für den Laien-Anhänger oder überhaupt für Menschen, die sich über ihre Existenz orientieren wollen.

Die Satipatthana-Übung ist, wie der Erwachte betont ausdrückt, der „gerade Weg“. Das ist ein Ausdruck für vollkommene Sicherheit: Ohne Abwege, Nebenwege, Verirrungen. Aber es ist nicht Ausdruck für die Leichtigkeit dieser Übung! Ohne vorherige geistige und seelische Wandlungen ist das Gelingen der Satipatthana-Übungen bis zu der vom Erwachten daran geknüpften Verheißung der sicheren Heilsgewinnung    vergeblich. Der Buddha hat dieses Urteil selbst ausgesprochen mit der viermaligen ausdrücklichen Bemerkung, dass diese vier Übungen zu üben seien, nachdem weltliches Begehren und weltliche Bekümmernis völlig abwesend und vergessen sind. Wer aber diese innere Freiheit gegenüber den Sinnendingen noch nicht gewonnen hat, der wird zwangsläufig von der Übung wieder abkommen wie inzwischen tausende und abertausende Menschen im Osten und im Westen. Dazu mehr im Kapitel "Achtsamkeit".

Es folgt hier die Beschreibung einer „Vipassana-Meditation“ (Vipassana = Klarblick), wie sie des Öfteren gelehrt wird, da auch für Laien nachvollziehbar.

 

Eine Erläuterung der Vipassana-Meditation von Bhikkhu Dhamma Aloka:

Der alltägliche Geist ist es gewohnt, von Objekt zu Objekt zu springen. In der Praxis kann man das daran erkennen, dass ein Gedanke den anderen ablöst, oder ein Sinneseindruck auf den anderen folgt und den Geist in Bewegung hält. Man kann sagen, der Geist ist nicht gesammelt.

Im Vipassana trainiert man den Geist, indem man ihn auf ein Objekt der Meditation hinlenkt, an dem er festhalten sollte und nicht davon abweichen. Das erfordert eine geistige Umstellung, die man nur mit Geduld und Achtsamkeit nach und nach erreicht. Besonders in den Anfangsstadien der Meditation ist der Geist daher noch öfters mit Hindernissen konfrontiert, die sich aus dem Umstellungsprozess ergeben. Diese Hindernisse tauchen auch später immer wieder auf, und man tut gut daran sich ihrer immer bewusst zu sein.

Es folgt nun ein kurzer Überblick von geistigen Fähigkeiten und Hindernissen. Auf den Umgang damit werde ich noch öfters eingehen. Unruhe ist die Eigenschaft des Geistes, die ihn unstet hin und her wandern lässt. In der Vipassanapraxis macht man sehr bald die Erfahrung, dass der Geist, solange man ihn noch nicht kontrollieren kann, sich immer nur kurzzeitig an ein Betrachtungsobjekt binden lässt. Sobald die Reize, die vom Objekt ausgehen nicht mehr interessant genug scheinen, springt er weiter, sucht sich ein anderes Objekt oder lässt sich von der nächst besten Impression ablenken. Was man zu diesen Zeitpunkt darüber wissen muss, ist einfach nur: "Das ist die Unruhe." Besonders ein noch stark von Konditionierungen dominierter Geist neigt dazu in Schläfrigkeit oder Mattigkeit zu verfallen. Die Konzentration, Aufnahmefähigkeit und Achtsamkeit lassen dann nach. Fehler schleichen sich ein und werfen den Geist zurück. Der Geist wirkt diffus und nebelig, ist kaum noch zu einer klaren Sicht fähig. Müdigkeit geht man am besten direkt mit gesammelter Willensstärke an. Müdigkeit überwindet man nur durch den Einsatz von Energie.

Dadurch unterscheidet sich dieses Hindernis von den anderen. Die müssen nur erkannt und benannt werden, während man die Schläfrigkeit aktiv überwinden muss. Häufig treten Sinneseindrücke durch alle Sinnesorgane auf. Man hört etwas, fühlt etwas, riecht etwas, schmeckt etwas, sieht etwas oder das Denken wird aktiv. Es sind normale Vorgänge, die durch den Kontakt mit der Außenwelt in Erscheinung treten. Als Hindernisse werden sie im Zusammenhang mit der Vipassanameditation nur deshalb definiert, weil sie der eigentlichen Aufgabe, die man sich gestellt hat, störend entgegenwirken. Sie lenken vom Objekt der Meditation ab. Ziel ist es, den Geist so zu sammeln, dass er eins wird mit dem Objekt seiner Betrachtung. Die Sinneseindrücke sind immer da. Es geht nicht darum, sie zu negieren. Der Geist sollte aber im reinen Gewahrsein sein, ohne dabei selbst in Bewegung zu kommen. Einige Sinneseindrücke sind von besonderer Intensität. Dazu gehören vor allem die Schmerzen. Geist und Körper sind es gewohnt, jedem Stillhalten auszuweichen. Man beobachte sich nur einmal in einer gewöhnlichen Stellung, wie lange man es da ohne Stellungswechsel aushält. Sobald es ungemütlich wird, fängt man gewöhnlich an, sich zu bewegen. Hier in der Meditation gibt man diesem Bewegungsdrang nicht mehr nach. Man bleibt sitzen, und wird sich in folge dessen öfters mit der geistigen Einstellung gegenüber Schmerzen auseinandersetzen müssen. Alles, was man zu diesem Zeitpunkt über die Sinneseindrücke wissen musst, ist: das ist hören, sehen, fühlen, schmecken, riechen oder denken. Man nimmt es wahr als das, was es ist und benennt es so. Es bleiben nur noch zwei Arten von Hindernissen, die hauptsächlich auf die geistige Einstellung zurückzuführen sind. Es sind dies der Wissensdrang und der Zweifel. Meist ist der Geist schneller als die Materie. Das heißt, er eilt der tatsächlichen Entwicklung gern voraus und tut sich schwer damit, die Resultate abzuwarten. Das Erreichte hinkt dem Ideal hinterher und das hinterlässt einen unbefriedigten Eindruck. Dazu kommt auch noch, dass der Geist einigen Erscheinungen gegenüber wohlwollend eingestellt ist und sie als angenehm registriert, während hingegen er andere Dinge ablehnt und als unangenehm verbucht. Er unterliegt dabei einer Grundeinstellung, die entweder etwas begehrt oder von sich weisen will. In Bezug auf Entwicklung und Erfolg entsteht da leicht ein Wissensdrang, dem der Misserfolg im Wege steht. Oft stellt sich erst hinterher raus, dass manche Beurteilungen zu früh gemacht wurden oder besser ganz unterlassen worden wären. Häuft sich der Eindruck vermeintlicher Misserfolge, dann entsteht sehr schnell Zweifel, und man vertraut dann nicht mehr in die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges.

Zweifel und Ablehnung, aber auch der Drang nach Wissen haben ihre Wurzel im Bewertungsdenken, das wiederum selbst von vorgefertigten Präferenzen abhängig ist. Dieser Mechanismus ist nicht leicht zu durchdringen, denn er wirft den Geist in seinen eigenen Extremen hin und her. Mal erscheint das Eine erstrebenswert und richtig und dann wieder genau das Gegenteil davon. Man kann sich dann bald nicht mehr auf seine eigenen Urteile verlassen. Ständig ist der Geist dann damit beschäftigt, die Zukunft zu antizipieren und muss doch immer wieder feststellen, dass er sich getäuscht hat. Man kennt das aus dem Leben, wenn der Wunsch zur Hölle wird, sobald er sich erfüllt hat. Der Buddha führt das auf die Grundübel von Hass und Gier zurück, die den Menschen an den Leidenskreislauf binden. In der Vipassana wird man mit diesen Einstellungen auf subtile Weise in Berührung kommen. Die Auswirkungen werden dann spürbar erfahren, und nicht selten bekommt man noch einen zusätzlichen Einblick in die Folgeerscheinungen. Zwar stellt die Geisteshaltung für die Meditation ein großes Hindernis dar, erkannt liegt darin aber auch ein großes Potential der Befreiung, so wie übrigens bei den anderen Hindernissen auch. Wann immer Ärger aufkommt, weil man beispielsweise wieder einmal feststellen musste, dass man hängen geblieben ist, zeigt das dann doch auch gleichzeitig sehr deutlich, wo man noch gefangen ist. Was dem einen unüberwindlich erscheint, ist für den anderen gerade mal ein Katzensprung. Hindernisse repräsentieren zweierlei. Auf der einen Seite sind sie etwas, das den Weg zu versperren scheint, auf der anderen Seite sind sie gerade Bestandteil des Weges als Herausforderung, die es zu überwinden gilt. Sehr viele Hindernisse lassen nur langsam vorankommen, auf der anderen Seite kann man gründlicher sein, wenn man sich ohnehin schon Zeit nehmen muss. Man kommt dem Ideal der Meditation schon näher, wenn da keinerlei vorauseilende Gedanken mehr den Geist antreiben, so dass dieser nirgends anderswo mehr sein muss als im hier und jetzt. Wenn man das in den Ansätzen schon erkennen kann, dann sind die Voraussetzungen für die Befreiung des Geistes von Gier und Hass sehr günstig. Über den Umgang mit den hier definierten Hindernissen lässt sich zusammenfassend sagen, dass man sich stets an das eigentliche Objekt der Betrachtung in der Meditation erinnern sollte, sobald eines der Hindernisse auftaucht und registriert wird. Die Hindernisse sind da und man muss damit leben. Sie werden nicht durch Ablehnung negiert, sondern bewusst registriert. Beim Auftauchen eines Hindernisses reicht es, dieses mit einer kurzen Geistesnotiz zu benennen, und dann sofort zur Atembeobachtung zurückzukehren. Eine Geistesnotiz könnte in etwa so lauten: "das ist denken." oder "das sind Schmerzen." Bei dieser Methode sollte man es zu Anfang belassen. Sobald der Geist steter geworden ist, ergeben sich Möglichkeiten der direkten Kontemplation aufkommender Hindernisse.

Die Körperhaltung ist Ausdruck geistiger Verfassung. Deutlich wird das besonders in einer Meditationstechnik wie Vipassana. Vipassana ist eine Technik, die in ihrer Essenz auf Achtsamkeit beruht. Achtsamkeit ist nur dann wirkungsvoll, wenn sie mit Klarheit verbunden ist. Klarheit benötigt die Ruhe und den Gleichmut des Geistes, um sich zu erhellen. Ein in sich gesammelter Geist befreit sich von der Anhaftung an die unendliche Anzahl von Phänomenen. Zu Beginn der Vipassana schafft man die optimalen Voraussetzungen für die oben genannten Gebiete des Geistes. Der allernächste Kontakt mit den hunderttausend Dingen ist der eigene Körper. Während der Vipassanameditation wird er ruhig gestellt. Man nimmt die Sitzhaltung mit übereinander gelegten Beinen ein, lässt den Körper um das Zentrum seiner Wirbelsäule so lange hin und her schaukeln, bis er sich eingependelt hat. Der Rücken ist sehr gerade, neigt weder nach vorne noch nach hinten und auch nicht nach rechts oder links. Die Nervenstränge im Rückgrat sind in dieser Stellung frei, was sehr förderlich für die Versenkungsgrade der Meditation ist. Während der Meditation kommt es immer wieder mal vor, dass man entdeckt, wie sich der Körper in eine der Richtungen geneigt hat. Es reicht dann, wenn man die veränderte Stellung erkennt und eine Sitzkorrektur fordert. Der Körper kehrt langsam in die richtige Stellung zurück. Manchmal hilft es auch, wenn man den Körper wie zu Beginn der Meditation erneut auf sein Zentrum einpendeln lässt. Durch langsame Gewöhnung werden die Zeitabstände länger, in denen man den Körper ohne Stellungskorrektur halten kann. Im selben Maß steigt dann auch die Achtsamkeit. Ist nämlich der Körper nach vorne geneigt, dann neigt der Geist zur Müdigkeit, während er nach hinten geneigt zur Starre tendiert. Längere Neigung nach links rufen Emotionen hervor, während die Aktivität bei einer Neigung nach rechts erwacht. Die Intensität und der Grad der Wahrnehmung sind naturgemäß bei jedem Menschen anders. Je mehr man den Körper als ein Instrument des Geistes begreifen lernt, desto freier kann man mit den verschieden Positionen umgehen. Zunächst ist es jedoch noch viel wichtiger, den Körper an eine wirklich gerade Sitzhaltung zu gewöhnen.

Hat man nun die Körperstellung in der richtigen Weise vorgenommen, bereitet man sich selbst auf die Meditation vor, indem man zu sich sagt, oder sich zumindest nochmals darüber bewusst wird, dass jetzt eine Meditation folgen soll, die den Geist auf ein einziges Objekt der Betrachtung, nämlich die Atmung richten wird. So wird das Vorhaben deutlich, und die Grenzen für diese Gebiet werden sichtbar. Manchmal ist es auch dienlich, wenn man zu Beginn 3x sehr tief durch den Mund ein- und wieder ausatmet. Jetzt kann die Meditation auf die Atmung beginnen. Es ist die erste Stufe der Vipassana.

Die Übung

In der Vipassanameditation wird die Atmung nicht gesteuert oder vorsätzlich manipuliert. Man belässt die Atmung, wie sie ist, richtet aber die Aufmerksamkeit auf sie. Mit geschlossenen Augen lokalisiert man einen Ort in der Bauchregion, an dem man den Geist festhält. Hier wird nun möglichst genau das Ein- und Ausatmen beobachtet. Dabei sollte man nicht mit der Konzentration von der Nase zum Bauch wandern oder auch zurück, sondern man bleibt bei dem vorher festgelegtem Punkt in der Bauchregion. Während man einatmet, macht man die Geistesnotiz "Das ist Einatmen" und wenn man ausatmet "Das ist Ausatmen" Je länger man so praktiziert, desto klarer wird man sehen, dass kein Atemzug wie der andere ist. Daraus ergibt sich, dass man eben diese Unterschiede mit der entsprechenden Geistesnotiz feststellt, wie z.B. "langsame Atmung", "schnelle Atmung", "tiefe Atmung", "flache Atmung", "langes Einatmen", "kurzes atmen","regelmäßige Atmung" u.s.w. Hierbei greift man keineswegs in die Atmung ein. Auch wenn man hastiges Atmen feststellt, genügt die achtsame Beobachtung und das Registrieren durch die bewusste Geistesnotiz. Mit der wachsenden Achtsamkeit kommt die Atmung von allein auf ihren ursprünglichen Rhythmus zurück. Der kann nicht erzwungen werden. Trotz der Geistesnotizen lässt man den Geist nicht hin- und herwandern, sondern fixiert ihn weiter auf die Bauchregion. Diese Einsgerichtetheit des Geistes sollte mit der Zeit immer schärfer werden, was man schon allein daran erkennen kann, dass der Konzentrationspunkt zu schrumpfen scheint. Er wird kleiner, doch seine Grenzen auch schärfer. Taucht nun eines der bereits besprochenen Hindernisse auf, dann stellt man eben auch dieses fest, ohne dass man den Geist vom Konzentrationspunkt abweichen lässt.

Der Umgang mit Schmerzen ist meist etwas schwieriger. Hier kommt häufig noch eine Geisteshaltung dazu, die den Schmerzen gegenüber ablehnend eingestellt ist. So verfährt man dann so, dass man zunächst die Schmerzen feststellt, dann die Haltung des Geistes gegenüber den Schmerzen. Gleichzeitig kann man noch beobachten, dass die Schmerzen nur solange da sind, solange der Geist sich an sie binden lässt. Gelingt es ihm wieder, die volle Achtsamkeit zurück auf den Konzentrationspunkt in der Bauchregion zu lenken, wird er die Schmerzen nicht mehr wahrnehmen, auch wenn sie immer noch da sind. Die hiermit verbundene Erfahrung lehrt, dass tatsächlich nur dort das Leiden spürbar ist, wo der Geist verhaftet ist. Es wird einem wohl nicht gleich beim ersten mal gelingen, die Schmerzen so zu überwinden. Sie werden häufiger auftreten und jedes Mal die Gelegenheit bieten, die Geistesstärke auszubilden. Konsequent üben, registrieren und immer wieder zum Konzentrationspunkt zurückkehren lässt mit der Zeit dieses hinderliche Detail der Vipassana kleiner werden, so dass man immer freier und konzentrierter meditieren kann. Es gibt aber kaum einen Weg daran vorbei. Man muss sozusagen mittendurch. Auch die Befreiung vom übermäßigen Gedankenflug ist nicht immer einfach. Man steckt ja mittendrin. Wie kann man also das Denken abstellen. Man sagt sich einfach: "Das ist denken" Ausgemacht ist, dass man die Konzentration des Geistes voll und ganz auf die Atmung im Bauch richtet.
Auch wenn die Gedanken noch so trickreich daherkommen, sie sind für die reine Beobachtung nicht erforderlich. Also bestärkt man die gestellte Anforderung, sich mit ungeteiltem Interesse wieder der Atmung zuzuwenden. Das Geplapper im Geist lässt sich jedoch nicht so ohne weiteres verdrängen. Es kommt mit der Macht der Gewohnheit. Es ist auch so, dass man mit Hilfe der Willenskraft und dem Entschluss, die Meditation zu ende zu bringen, quasi einen neuen Chef im Geist installiert hat, der die Gedanken in eine zweitrangige Position verweist. Man könnte sich auch so etwas vorstellen, wie z.B. eine Situation im Kino. Man schaut sich einen Film an. Die Akteure auf der Leinwand reden, aber man kann nicht mit ihnen diskutieren. Sie sagen, was sie wollen, ohne dass man Einfluss darauf hätte. Ähnlich ist es in der Meditation. Solange man sich bewusst bleibt, an dem Geplapper nicht teilnehmen zu müssen, bleibt der Gedankenfluß auch am peripheren Bereich, des augenblicklichen Interesses. Man muss sich auch bewusst darüber sein, dass man die Kraft des Willens, der sich an die Konzentration hält, nur herausbildet, wenn man ihn auch tatsächlich durchsetzt. Dazu gehört eben auch die ernsthafte Verbundenheit mit dem angestrebten Ziel. Die Vipassanameditation ist eine Praxis, die zu mehr Wachheit führt. Sie geht dabei allerdings auch den Weg der gesammelten Ruhe. Es ist jedoch nicht die Ruhe, die man aus dem alltäglichen Bewusstsein her kennt, und die die starke Neigung hat in Schlappheit und Müdigkeit zu verfallen. Die Ruhe in der Vipassana ist gesammelt und hellwach. Dabei ist die Wahrnehmung noch geschärft und wird zunehmenst sensibilisiert. Je mehr sich das Bewusstsein mit dem Hier- und Jetztzustand vereint, desto ruhiger wird es. Wenn der Geist vorher nebulös im Undefinierbaren verbreitet war, wird er jetzt klar und gestochen scharf. Er kann sich jedes Ziel frei aussuchen, auf das er sich fixiert. Diese Wachheit entsteht nach und nach. Man muss allerdings zuvor die Müdigkeit besiegt haben. Mit Hilfe der Willenskraft ist das machbar. Sie kann sich eindeutig von allen nebulösen Geisteszuständen distanzieren. Sie kann sie auch durchdringen, solange sie das Ziel "Klarheit" anstrebt. Müdigkeit ist das einzige Hindernis, das man auch in der Meditation aktiv überwinden muss. Da die Müdigkeit oft sehr stark mit der Ruhe verknüpft ist, sollte man sich über die Unterschiede bewusst werden. Sie lassen sich in der Meditation durch die Erfahrung und Anwendung von Achtsamkeit erkennen.

Mit dem Benennen eines Hindernisses lockert sich die Identifikation des Geistes mit seinen Phänomenen. Die Betrachtung bekommt mehr Distanz und der Überblick wird umfassender. Das Benennen mag zwar manchmal als etwas Lästiges erscheinen, doch nach einer gewissen Zeit erkennt man die Methodik, die dahintersteckt, und wird die jeweils damit verbundene Befreiung mehr zu schätzen wissen. Jeder Zugewinn an innerer Freiheit stärkt die Kontemplationsfähigkeit des Geistes. Man kann sagen, die Freiheit wächst und dehnt sich nach innen aus. Die inneren Elemente kehren in ihre ursprünglich Ordnung und Hierarchien zurück. Das wird durch das Benennen gefördert. Es ist, als bringe da der neue Chef im Geist seiner Mannschaft die Spielregeln wieder bei, indem er sie einfach beim Namen nennt. Natürlich, das ist nur ein konstruierter Vergleich, doch die Vipassana bringt es mit sich, dass der Geist sich neue Bereiche allein dadurch schon erschließt, dass er sich von überkommenen Bindungen befreit. Der kann die Methode der Vipassana benutzen wie ein Handwerker sein Werkzeug oder wie ein Manager sein Unternehmen, sein Weg führt dabei aber immer in Richtung Befreiung und nicht in neue Bindung. Nur langsam kann man die Dauer der Sitzperioden ausdehnen. Auch hier sollte man sich nicht überfordern, aber auch nicht zu weich sich selbst gegenüber sein. Die erste Zeit ist geeignet für 20 minütige Sitzungen. Hat man sich entschlossen, eine intensive Vipassana über mehrere Wochen zu machen, dann ist es ratsam, schon morgens um 4 Uhr zu beginnen und die Meditation bis zur nächsten Mitternacht durchzuhalten. Dabei wechselt man die Sitzübung mit einer Gehübung im 20 Minuten Rhythmus ab. Die Gehübung macht man vorzugsweise barfuss. Man braucht dafür eine Strecke von 4-5 m. Zunächst stellt man sich kerzengerade an einen Platz, von dem man möglichst ohne Kurven machen zu müssen, losgehen kann. Die Konzentration ist auf die Füße gerichtet. Genau genommen auf die Berührungsfläche mit dem Boden. Die Augen sind natürlich für diese Übung geöffnet, doch der Blick ist soweit gesenkt, dass er gerade mal bis maximal 3 m vor sich hinschaut. In dieser Einstellung lässt man während der gesamten Gehübung die Augen. Nun geht man los. Während man den rechten Fuß nach vorne bewegt, macht man die Geistesnotiz "rechts geht", dann für den linken Fuß "links geht". Die Konzentration bleibt während der ganzen Dauer bei den Füßen, doch auch während der Gehübung tauchen die Hindernisse auf und können bei nicht genügender Achtsamkeit die Konzentration von ihrem Punkt abziehen.

Daher verfährt man während der Gehübung mit den Hindernissen in der gleichen Weise, wie beim Sitzen. In der Gehübung kommt die automatische Wahrnehmung der Bewegung dazu. Man wird feststellen, dass alle Bewegungen sich um die Mitte des Körpers drehen. Man wird sehr genau beobachten können, wie präzise sich eine Bewegung aus der anderen ergibt und auch welche Beigaben sie geerbt hat. In der Gehübung wird das Gesetz von Ursache und Wirkung fast plastisch erfahren. Diese Erfahrungen wiederum bilden auch eine Bereicherung für die kommenden Sitzmeditationen. Vieles lässt sich mit den gewonnenen Erkenntnissen leichter handhaben. Doch die Gehübung profitiert auch von der Ruhe des Geistes, die im Sitzen gewonnen wurde. Sitzen und gehen. Das sind die verbliebenen Tätigkeiten für die Vipassanameditation. Doch auch die anderen Tätigkeiten, die man so im laufe des Tages verrichten muss, sollte man von nun ab genauso bewusst beobachten und registrieren wie während der Sitz- oder Gehübung. Das Essen, das Kauen, der Aufenthalt im Bad , das An- und Ausziehen, alles wird in die Meditation einbezogen, solange bis der Geist völlig erwacht ist. Nach einer Woche Übung sollte der Geist schon recht gut gesammelt sein. Man hat seine Erfahrungen mit dem Dhamma gemacht. Aufkommende Gedanken hat man, sofern geübt worden ist, im Griff. Das Wandern des Geistes hat sich beruhigt. Es ist nun an der Zeit, die Aufnahmefähigkeit etwas mehr zu schärfen. Dazu wird eine genauere und detailliertere Betrachtungsmethode eingesetzt. Was vorher ein Schritt oder ein Erkennungsmerkmal war, wird nun wieder unterteilt oder ausgedehnt. In der Sitzübung sollte die geistige Wachheit entwickelt sein, die jeden auch noch so kurzen Moment der Atmung registriert. Der Wechsel von Ein- zu Ausatmung und von Aus- zu Einatmung geschieht fast übergangslos. Keine Lücke mehr im Bewusstsein. Der Zusammenhang von geistiger und körperlicher Bewegung wird zu einer untrennbaren Einheit. Worte können dieser Erfahrung kaum noch gerecht werden. Man wird zu diesem Zeitpunkt wissen oder bereits beurteilen können, ob die Konzentrationsfähigkeit gut genug stabilisiert ist, um weitergehen zu können, oder ob man besser daran tut, die Konzentration noch weiter zu stabilisieren. Auch wenn die Dauer der Meditation in Wochen eingeteilt ist, handelt es sich nicht um festgelegte Zeitabschnitte.
Das Ende einer Woche ist erreicht, wenn ein Entwicklungsabschnitt abgeschlossen wird. Der Praktikant der Vipassana, der immer mehr zu seinem eigenen Lehrer und Meister wird, kennt durch die Übung seine Zyklen. Er weiß genau, wann und wo er etwas losgelassen hat. Er weiß auch um jede Erneuerung, die dadurch einsetzt. Ist man nun in seiner Übung soweit vorangekommen, dass sich der Geist jederzeit wieder mit dem Objekt seiner Betrachtung vereinen kann, dann kann man während der Sitzübung den Betrachtungsbereich etwas mehr ausdehnen. Zu dem bisherigen ein- und ausatmen kommt die kurze Betrachtung des ganzen Körpers. Die Geistesnotiz ist dann wie folgt: "einatmen, ausatmen, sitzen" zunächst bleibt die Konzentration auf der Atmung und wechselt dann zu einer kurzen Betrachtung der Sitzstellung über. Danach wieder "einatmen, ausatmen, sitzen". Die Augen bleiben dabei wie zuvor geschlossen. Während der Geist zuvor zielgerichtet an ein Objekt der Betrachtung gebunden war, lernt er jetzt, sich auf verschiedene Objekte zu richten. Man mag meinen, das passiert im alltäglichen Bewusstsein auch, doch der Unterschied ist hier durch die bewusste Selbstbestimmung gegeben. Der Geist folgt auch nicht den Objekten seiner Betrachtung, er registriert und beobachtet sie, ohne sich daran zu klammern oder vom Objekt einfangen zu lassen. Der Geist bleibt beim Prinzip der Nichteinmischung. Dadurch kann er sich selbst zwar bewegen, verweilt aber dennoch in seiner Ruhe. Auch die Gehübung wird jetzt verfeinert. Während man zuvor lediglich das Bewegen des einen oder anderen Fußes beobachtete, konzentriert sich die Beobachtung jetzt auf die einzelnen Etappen der Bewegung. So gibt es ein Anheben des Fußes, ein nach vorne Bewegen und ein wieder auf die Erde Setzen. Das wird nun auch so benannt. "Heben, bewegen, senken" Die Bewegung ist insgesamt aufgeteilt in kleinere Einheiten Der Geist muss also etwas genauer hinschauen. Gleichzeitig wird seine Konzentrationsfähigkeit weiter trainiert. Nach wie vor gilt, die Achtsamkeit auch noch den Hindernissen und Einsatz der geistigen Fähigkeiten zuzuwenden. Mittlerweile kann man das gesammelte Bewusstsein sehr gut vom zerstreuten Bewusstsein unterscheiden, und es bedarf manchmal nur noch der willentlich, bewussten Entscheidung, um "gesammelt", bezw., völlig gewahr zu sein. Dieser Geisteszustand steht jetzt zur Verfügung, doch man darf nicht in den Anstrengungen nachlassen, die neue Geistesqualität durch konsequentes Üben zu erhalten. Auch wenn es leichter ist, auf etwas zurückzugreifen, was man sich schon einmal ehrlich erworben hat, bedarf dieser persönliche Besitz der ständigen Pflege, des Schutzes und der Erneuerung.

Im Zentrum bleiben

Wenn man bereits 2 Wochen intensiv meditiert hat, dabei immer den Geist kontrolliert und die Achtsamkeit auf die unmittelbare Wirklichkeit gerichtet hat, dann bleibt etwas, was einigen schon nach wenigen Tagen widerfährt, kaum aus. Visionen tauchen auf. Mitunter wirken sie realistischer als Träume und näher als die alltägliche Wirklichkeit. Schlagartig findet man sich in einer anderen Welt wieder, hat glasklare Gesichte oder findet sich urplötzlich außerhalb des eigenen Körpers wieder, auf den man dann aus jeder gewünschten Position schauen kann. Diese Visionen können so stark und intensiv sein, dass sie den Meditierenden für längere Zeit erfassen, zumal von ihnen auch eine gewisse Faszination ausgeht. Doch das Ziel der Vipassana ist es nicht, solche Attraktionen herbeizuführen oder ihrem Genuss zu verfallen. Man verfährt mit diesen Visionen genauso wie mit den anderen Hindernissen. Der achtsame Geist erkennt sie und benennt sie. So werden sie befreit. Gerade durch die angewendete Achtsamkeit kann es vorkommen, dass diese Visionen zunächsteinmal sogar noch häufiger auftauchen.

Man wird mitunter sogar feststellen, dass man mit dem Gefühl körperlicher Verausgabung konfrontiert ist, wenn man einmal zu lange in solch einer Vision stecken geblieben ist, während man sich nach wie vor frisch fühlt für den Fall dass man die aufkommende Vision bereits in ihrem Entstehen erkannt hat. Sehr bald wird man wissen, dass diese Visionen so etwas wie die Täuschung total sind. Man wird immer weniger an ihnen hängen bleiben. Der menschliche Geist ist unglaublich trickreich. Auf diese Weise macht man eine direkte Erfahrung damit. Friede, Harmonie und Befreiung wird man nach wie vor nur in der Verwirklichung des Buddhageistes erfahren. Das heißt, des wissenden Geistes, der sich von seinen eigenen Projektionen nicht mehr blenden lässt. Nach zwei Wochen intensiver Meditation wird man schon einige der Qualitäten eines Buddhageistes kennen gelernt haben und wird sich vielleicht fragen, warum man diese Vipassana nicht schon längst gemacht hat. Doch alles hat seine Zeit, und auch für die Vipassana muss man reif sein. Die Erfahrungen, die man jetzt in der Meditation macht beleuchten nicht nur die Gegenwart, viele der zurückliegenden Taten treten in ein neues Licht. Man ist jetzt so weit, dass die zukünftigen Schritte selbst bestimmen kann. Die Karmas der Vergangenheit verlieren ihre Kraft und auch die Herrschaft über den eigenen Geist. Was die Übung in der dritten Woche angeht, so wird sie noch differenzierter werden. In der Gehmeditation kommen zwei weitere Betrachtungsglieder zu jeden einzelnen Schritt. Die Geistesnotiz lautet: "Ferse hoch, heben, bewegen, (mit dem Fußballen) berühren, Ferse runter". Die Bewegungen, die man sonst noch so im Laufe des Tages macht, beobachtet und benennt man von nun an genauso achtsam. Nicht die geringste Bewegung oder Regung sollte dem Bewusstsein mehr entgehen. Der Geist ist völlig im hier und jetzt.
Für die Sitzmeditation kommen zwei Berührungspunkte dazu, auf die man sich konzentriert. Dieser Teil der Vipassana-Übung benötigt eine Unterstützung und Behutsamkeit im Vorangehen. Zunächst einmal, die Berührungspunkte sind immer symmetrisch und paarweise im Körper angeordnet. Die Geistesnotiz lautet jetzt: "einatmen. ausatmen, sitzen, berühren, berühren, einatmen," Man lenkt also die Konzentration von der Atmung auf die Sitzstellung, und von dort der Reihe nach auf die Berührungspunkte. Zunächst wird man vielleicht gar nichts spüren. Doch dann nach und nach kommt genau an der Stelle des Berührungspunktes ein dumpfes, nicht klar abgegrenztes Körpergefühl hoch. Je länger man das praktiziert, desto klarer kann man dieses Gefühl, das man auch als Schmerz bezeichnen könnte, lokalisieren. Mit wachsender Konzentration wird der Bereich, wo man den Schmerz empfindet immer kleiner und schärfer abgegrenzt. Dieser Flächenschmerz wird durch eine wachsende Intensität des Schmerzgefühls ersetzt. Das geht soweit, bis man den Eindruck hat, die Stelle, auf die man sich gerade konzentriert sei von einer Nadel gestochen worden. Das Schmerzgefühl ist nur solange da, wie der Geist sich auf diese Stelle konzentriert. Das ganze ist jedoch nicht nur eine körperliche Erfahrung, sondern auch eine unglaubliche Transformation des Bewusstsein. Fesseln werden abgestreift, von deren Existenz man bislang nicht einmal wusste.
Man wundert sich vielleicht, wie man solange mit seinen Irrtümern leben konnte. In dieser Phase der Meditation kann die Klarheit brillant werden, und es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass sie nicht selbst zu einem geistigen Hindernis wird. So wird man nicht drumrum kommen, auch achtsam gegenüber der eigen Klarheit zu werden. Hier angelangt, ist man jedoch auch meistens in der Lage die unterschiedlichen Bereiche des Bewusstseins mühelos zu durchschreiten. Wenn man sich noch täuschen lässt, wird man die Täuschungen erkennen und sich von ihnen befreien. Bis hierher hat der Praktikant bereits eine abenteuerliche Reise durch seine inneren Welten hinter sich, doch er wird wahrscheinlich das Gefühl nicht los, dass diese Reise erst angefangen hat. So ist es auch. Die großen inneren Entdeckungen warten noch auf sich. Der Praktikant der Vipassana erhält fast täglich zwei neue Berührungspunkte dazu. Er wird seinen Körper und das ganze Sein aus einer ihm völlig neuen Perspektive erfahren, eine Perspektive, die ihn mit unendlichen Weite und Tiefe des Raums eins werden lässt. Die Vipassana hat für alle Bereiche des Seins Früchte parat. Für den Geist die Befreiung und Erlösung, für das Gefühl eine unvorstellbare Glückseligkeit und für den Körper eine stabile Gesundheit und Frische.

Die Früchte der Übung

Jetzt dürfte der Geist bereits soweit unter Kontrolle sein, dass man keine Ermüdungserscheinungen mehr hat. Man ist wach rund um die Uhr. Auch wenn man sich zum Ausruhen hinlegt, verfällt man nicht mehr in den Zustand des Tiefschlafes. Man registriert auch das leiseste Geräusch und ist vollständig im hier und jetzt. Sorgen und Ängste gibt es dort nicht mehr. Das Bewusstsein ist in seiner Heimat angekommen und das Streunen der Gedanken hat ein Ende gefunden. Was noch an Hindernissen auftaucht kann die Ruhe und das Gewahrsein des Geistes nicht mehr beeinflussen. Der ist friedfertig und in völliger Harmonie. Die Negativität von früher findet keinen Nährboden mehr und so kann sie sich nicht mehr halten. In dieser Geistesverfassung entstehen keine unheilvollen Karmas mehr, man weiß in der Zwischenzeit, das Gute zu fördern. Das ist das Versiegen des Leids, das nur über den Weg der Achtsamkeit und des Wissens erreicht wurde. Die Vipassana ist ein vollständiger Reinigungs- und Läuterungsprozess. Auch die Welt erscheint in einem neuen Licht. In der reinen Gegenwart wird das Maximum an Frieden verwirklicht. Was sich jenseits der Wirklichkeit und des momentanen Seins noch auftut, gehört in den Bereich der Spekulation und Illusionen. Nach vier Wochen intensiver Meditation gehorcht die Materie wieder dem Geist. Die ursprüngliche Ordnung ist wieder hergestellt. In der Zwischenzeit hat der Praktikant eine Reihe von Berührungspunkte bekommen, die sich über den ganzen Körper verteilen. Schritt für Schritt hat er die Berührungspunkte mit Konzentration derart geschärft, dass man jedes Mal von der Einsgerichtetheit des Geistes reden kann. Im verstärkten Maße kommen jetzt die Erkenntnisglieder zum Einsatz. Über die Berührungspunkte ist man fast nebenbei, aber selbstständig in Kontakt zu den Erkenntnisgliedern gekommen. Da ist zunächst die Achtsamkeit. Aus der entwickelt sich der Forschergeist oder das Ergründen der Prinzipien. Sind diese Prinzipien ergründet, dann kann man bereits das Wahre vom Falschen und das Heilvolle vom Unheilvollen unterscheiden. Es kommt zu Entwicklung von Willenskraft, die Antrieb und Durchhaltevermögen aufrechterhalten. Kann man registrieren, dass man etwas bis zum Ende durchgehalten hat und zu einem neuen Resultat gekommen ist, dann stellt sich Begeisterung, Interesse und Freude ein.
Man erkennt den Wert des Weges, die Vorzüge der Gemütsruhe, den Reichtum der Sammlungsfähigkeit und die Erhabenheit des Gleichmuts. Was auf physischer Ebene erlebt wird findet seine Entsprechung im Geist. Das ausgeglichene Gemüt ist die Grundlage für eine wirkungsvolle Konzentration. Die Einsgerichtetheit des Geistes lässt klar und deutlich das Gesetz von Ursache und Wirkung erkennen. Wer weder in dem einen noch im anderen Pol seiner Projektionen das Heil sucht, sondern statt dessen die Vergänglichkeit aller Phänomene wahrnimmt, dessen Geist entwickelt Gleichmut gegenüber den Dingen. Nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit. Gleichmut lässt die Dinge, wie sie sind, ihr Motor ist nicht mehr das Begehren oder Ablehnen. Von der Achtsamkeit bis zum Gleichmut vollziehen sich fast immer die selben Schritte. Es sind Entwicklungsstufen, deren Reifung man wie die Jahreszeiten abwarten muss. Man ist in dieser vierten Woche nicht nur in der Lage, die Konzentration einzig nur auf einen Punkt zu richten. Die Berührungspunkte haben auch die Lernfähigkeit gefördert, die es jetzt erlaubt, den Geist gleichzeitig in mehrere Richtungen zu lenken. Das ist aber diesmal ein bewusster und steuerbarer Vorgang, der sich in keiner Weise mit den zerstreuten und vernebelten Geisteszuständen des Alltagsbewusstseins zu vergleichen ist. Es kommt zu einer allumfassenden Wachheit. Die Gehübung wird um eine weitere Stufe konzentrierter. War die Achtsamkeit bislang nur auf die Füße gerichtet, so beobachtet man jetzt auch die Bewegung des ganzen Körpers. Bei jedem Schritt neigt sich der Körper automatisch nach vorne und hinten, allein schon deshalb, um das Gleichgewicht zu bewahren. Dieses Neigen wird jetzt zusätzlich registriert und benannt. Der Geist wird also immer mehr in das hier und jetzt eingebunden. Er hat kaum noch Zeit und Gelegenheit in seine Gedankenwelt zu wandern. Durch die zahlreichen Berührungspunkte hat man in der Sitzmeditation eine eindrucksvolle Erfahrung mit Schmerzen machen können. Schmerzen, die man unter gewöhnlichen Umständen als unangenehm oder zumindest lästig bezeichnen würde, haben während dieser Meditation diese Vorzeichen völlig verloren.

Im Zusammenhang mit den Berührungspunkten ist man geradezu gefordert, mit diesen Empfindungen zu arbeiten. Sie geben Aufschluss über die Konzentrations- und Entschlussfähigkeit des Geistes. Sie erlauben darüber hinaus, dass sich der Geist völlig aus dem Körper lösen kann. Dieser wird dann so erfahren wie alles andere Wahrnehmbare. Die Geist ist nicht mehr unmittelbar im Körperlichen eingeschlossen. Ein großes Gefühl unermesslicher geistiger Freiheit scheint sich breit zu machen, und es ist, als sei man zu hause angekommen Wenn man nun nach so einer langen Periode der Meditation sich wieder auf die Welt einlässt, dann ist da Vorsicht geboten. Menschen, die noch nicht dazu gekommen sind, ihr Ego derart zu transzendieren, sind darauf angewiesen ihr Ego ständig neu zu füttern. Das kann zu einer besonderen Herausforderung für den Praktikanten der Vipassana werden, doch es ist zunächst einmal ratsam, sich in seinem Umgang auf gute Gesellschaft zu beschränken. Bestenfalls auf Personen, die den Dhamma schon leben und verwirklicht haben. Solche Menschen werden sich nicht auf Kosten anderer bereichern wollen. Die Erfahrungen, die man während eines Vipassanaretreats gemacht hat, kommen jetzt von der Außenwelt auf einen zu. Die Meditation hat also noch kein Ende genommen. Ihre Früchte werden allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie sich auch in der Welt etablieren. So wird man dann wohl ein achtsames Leben führen, auf das Wahre und Gute ausgerichtet sein und vom Übel Abstand nehmen. Nicht leicht im Westen.