Zitate aus dem Buch: Der Stromeintritt, von H. Hecker

Die 7 Reinheiten kommen im Pali-Kanon nur sehr selten vor. Sie haben als Mitte und Kern den Stromeintritt.

Diese sieben Reinheiten werden in der Regel nicht innerhalb eines einzigen Lebens erreicht, sondern erst in mehreren Wiedergeburten.

 

In der Lehrrede 24 der Mittleren Sammlung erscheint ein Gleichnis, in welchem die 7 Reinheiten mit sieben Fahrten in einem Reisewagen verglichen werden. Die sieben Kutschen entsprechen der Umwandlung des Menschen durch die drei Etappen des Heilsweges: Tugendläuterung mit den Körper, Herzensläuterung mit der Seele und Weisheitsläuterung mit dem Geiste. Die Fahrt beginnt im ersten Wagen:

1. Tugend-Reinheit (sila-visuddhi)

Man muss diejenigen Mindesttugenden gepflegt haben, die einen Menschentum erreichen ließen, und dazu noch ein solches mit normalen Sinnen und intakter Verstandesfähigkeit. Ferner muss man Tugenden wie das Nichtschaden so weit geübt haben, dass man nicht schon als Kind stirbt, sondern mindestens dasjenige Alter erreicht, das einen zur Aufnahme der Lehre befähigt.

Nicht minder wichtig ist aber auch, dass man sich durch früheren rechten Umgang mit Weiseren die Begegnung mit der Lehre erwirkt hat.

Dazu kommt, dass man nicht durch Wirken in diesem Leben gehindert ist, so z.B. durch Untugend, Rücksichtslosigkeit, Leichtsinn usw., dass man derart in Verhältnisse verstrickt wurde, die einen für die Lehre unempfänglich machen.

Die günstigste Voraussetzung in Tugendreinheit bestand zur Zeit des Buddha darin, über die sozialen Tugenden hinaus die Tugenden der Weltüberwindung geübt zu haben, d.h. Asket in den Formen der brahmischen Tradition geworden zu sein.

Je tugendhafter jemand in früheren Leben gewesen ist, wenn er je Mensch wird, und je tugendhafter und religiöser lebend er in diesem Leben war, um so leichter wird er an die Lehre kommen. Er kann, aber er muss nicht, denn es ist noch eine ebenso wichtige zweite Voraussetzung nötig, ohne die die relativ reine Tugend nicht ausreicht, um Nachfolger zu werden. Im Gleichnis ausgedrückt muss er auch noch die zweite Kutsche bestiegen haben.

2. Herzens-Reinheit (citta-visuddhi)

In der Praxis gehen Tugendläuterung (außen, sozial) und Herzensläuterung (innen, seelisch) ineinander über - und doch gibt es einen Wechsel des Übergewichts. Wenn die Herzensläuterung zur Hauptsache wird, dann wird die zweite Kutsche des Gleichnisses bestiegen.

Wenn die Triebe im Menschen sehr wild, stark, leidenschaftlich sind, kann es sein, dass sie der Wahrheit keinen Platz lassen. Das sind vor allem die niederen Sinnensüchte, aber auch fanatische Ansichtstriebe. Das positive Gegenteil nennt der Buddha, wenn er hervorhebt, dass ein Vertrauend-Geborener zur Lehre komme. Oder er spricht von einem "verständigen Menschen" oder von einem von Natur Ehrlichen. Alle drei Ausdrücke bezeichnen einen Menschen, der Sinn für Höheres und Edleres hat, der über den Tod hinausdenkt, den religiösen Aussagen nachgeht. Der Erwachte nennt auch eine genaue Entwicklungsfolge, wie ein Mensch mit solcher relativ reinen Herzensart durch sein Tugendwirken der ihm begegnenden Lehre innerlich immer näherkommt. Dabei geht es um die ersten vier Lehren des Buddha. Das es sinnvoll ist, anderen etwas abzugeben, fürsorglich zu sein, die Triebe zu zügeln, die in den Bereich des Nächsten eingreifen könnten. Ferner die Erkenntnis vom Gesetz von Saat und Ernte (Karma) sowie die Erkenntnis vom Wohl der Begierdefreiheit. Durch diese vier "Vorschaltlehren" wird das Herz bereit, empfänglich, aufnahmebereit für die höchsten Lehren des Buddha. Ohne diese Art bester relativer Herzensreinheit ist keine dritte Kutsche, keine Lehre von den vier Wahrheiten in Sicht.

3. Reinheit der Anschauung (ditthi-visuddhi)

In unzähligen Formulierungen hat der Buddha die vier heilenden Wahrheiten: Vom Leiden, von dessen Entwicklung, dessen Auflösung und dem dazu führenden Vorgehen dargelegt - so oft und so unermüdlich, dass die Gefahr besteht, sie zu bloßen Leerformeln werden zu lassen, die einfach nachgesprochen und nachgelesen werden.

Wo diese vier Heilswahrheiten wirklich einschlagen, da wird damit gleichzeitig der Traum von einem Ich, das im Leidenskreislauf herumirrt, herausgeschlagen - jedenfalls für einen Augenblick und auch nur  im Geiste, in der Anschauung. Der Persönlichkeitswahn, die erst von zehn Fesseln ans Leiden, wird in diesem Augenblick geistig durchschaut und damit erstmals durchgestrichen bzw. für einen Augenblick gelöscht. Es ist wirklich nichts außer Leiden zu finden - Leiden ohne ein Ich, dass daran leidet. Aber das geschieht nur im Geiste, nur in der Anschauung.

Hier erscheint die Ergänzung ratsam, dass die häufige Fehldeutung "Der Buddhismus ist die Lehre vom Leiden" so falsch wie möglich ist. In Wirklichkeit ist die Lehre des Erwachten die Lehre von der Überwindung des Leidens, von der restlosen Leidensüberwindung.

Aber das erste Aufdämmern eines Verständnisses dieses Weges ist naturgemäß noch sehr vage. Doch man merkt, dass es immer um Loslassen geht, und zwar um das Loslassen von Gröberem zugunsten von Feinerem und Edlerem und Größerem. Man kann nicht alles auf einmal loslassen, nicht einmal ein Wesen mit der gewaltigen Geisteskraft eines Buddha konnte das. Man braucht einen Weg, einen Stufenweg, eine Leiter, eine "Himmelsleiter" zum höchsten Ziel der Ledigung. Man kann nicht ohne Freude, Wohl und Glück leben, d.h. nicht ohne etwas zu ergreifen. Aber man kann das Ergreifen immer mehr sublimieren und veredeln. Und die Anweisung dazu ist die vierte edle Wahrheit, der Achtpfad.

Das also war die dritte Kutsche.

4. Reinheit der Zweifelsentrinnung (kankha-vitarana-visuddhi)

Nachdem die Heilswahrheiten einen Platz im Geist erobert haben, sozusagen einen Brückenkopf im massiven "Festland" des Wahns, können, nein, müssen sie von dort aus nun weiter vordringen. Damit beginnt die wahnlose rechte Anschauung, den Pfad zum Stromeintritt (sotapatti-maggo) zu betreten. Es ist vergleichbar der Hefe, die nun beginnt, den ganzen Brotteig zu durchdringen und gleichzeitig nach oben zu treiben - ebenso treibt die rechte Anschauung alles Gute immer nach oben, wobei einem mehr oder weniger "das Herz aufgeht". Durch die wahnlose rechte Anschauung wird der Zuhörer zum Übenden. Er ist nun Heils-Jünger, Heils-Schüler, Heils-Gänger. Dieser erste Grad von sieben Übenden wird exakt bezeichnet als "einer, der unterwegs ist, die Frucht des Stromeintritts zu verwirklichen". Er beginnt nun, auf dem entdeckten Pfad zu gehen, ist unterwegs in der richtigen Richtung.

Was dabei im Herzen vorgeht, darüber sagt uns der Erwachte aus seiner vollkommenen Psychenkenntnis folgendes: Das Allermindeste der bisher schon vorhandenen Herzensqualitäten war ein gewisses religiöses Ahnen und Vertrauen in Höheres und Wahres. Diese Qualitäten werden im relativ reinen Herzen dessen, der dem Buddha zuhört, ihm selber völlig unbewusst, total umfunktioniert, nämlich von bloßen - wenn auch noch so guten und mystischen Eigenschaften - zu Heilsfähigkeiten: heilsfähiges Vertrauen, heilsfähige Tatkraft, heilsfähige Achtsamkeit, heilsfähige Einigung, heilsfähige Weisheit. Diese Tatsache, dass die guten Fähigkeiten zu Heilsfähigkeiten werden, dass sie insofern überhaupt geboren werden, bewirkt den unaufhaltsamen, irreversiblen Prozess der Nachfolge bis zur vollendeten Triebversiegung. Und der Beginn dieser Bewegung auf das Heilsziel zu zeigt sich daran, dass die vierte Kutsche bestiegen ist. Bei der dritten Kutsche schaut der Fahrgast sozusagen konzentriert nach vorn, in der vierten Kutsche schaut er zurück und lässt immer mehr der Strecke hinter sich.

5. Reinheit der Wissensklarheit über Weg und Nichtweg (maggamagga-nanadassana-visuddhi)

Es gibt nur einen einzigen Weg zum endgültigen Heil, zum absoluten Frieden, und das ist der Achtpfad des Erwachten. Aber es gibt andererseits viele Nicht-Wege.

Da sind nicht einmal all die zahllosen abwärts führenden Wege, die durch Unwissen zur Untugend und dadurch zum Unheil führen. Diese Un-Wege führen in noch mehr Leiden, entweder in elenderes Menschentum oder gar in Bereiche unterhalb des Menschentums (Gespenster, Tiere, Hölle). Aber da sind andererseits auch all die vielen aufwärts führenden Wege, die durch Tugend in wohltuenderes Menschentum oder darüber hinaus führen, bis in stillste und feinste Existenzformen. Es sind rechte, in die richtige Richtung führende Wege, aber sie sind noch triebbeeinflusst, führen noch nicht aus dem Leidenskreislauf des Samsara hinaus.

Der Erwachte zeigt, dass alles Gewordene und Bedingte letztlich leidvoll und schmerzlich ist. Vieles davon empfinden wir auch so. Was wir aber als wohltuend empfinden, liegt nur an der Begrenztheit unserer gegenwärtigen Erlebnismöglichkeit, liegt daran, dass wir wahres Wohl gar nicht kennen. Der Erwachte beschreibt die gesamten Daseinsmöglichkeiten von den entsetzlichsten Stätten der Qual, den Höllen, bis zu den höchsten, erhabenen Möglichkeiten. Unter diesen Stätten gehört das Menschentum fast zu den untersten. Von unserem Stadium aus bis zu den Höllen ist nur ein kurzer Weg. Aber der Weg zu zunehmendem Wohl bis zum Heil ist weiter, und der Mensch, der sich vorwärtsarbeitet, erfährt mehr und mehr Wohl.

In dieser Kutsche wird die Fessel des "Überschätzens von Regeln und Programmen", von "Tugendwerk" abgelegt. Dadurch wird (wofür hier zu einer genaueren Beschreibung der Raum fehlt) schließlich der Stromeintritt erlangt. Als Prüfstein zur Erkennung der Reife des Stromeintritts gibt der Erwachte einen vierfachen Spiegel, in dem man die entsprechenden inneren Eigenschaften erblicken kann. Man soll damit untersuchen, ob man unerschütterliche Klarheit zu den drei Kleinodien (Erwachter, Lehre, Jüngerschaft) hat und ob man bei den Tugenden keinerlei Abstriche macht und sie als unverzichtbare Eingangsstufe der Übungen erkennt.

6. Reinheit der Wissensklarheit über den Fortschritt (patipada-nanadassana-visuddhi)

Nachdem die eindeutige Wissensklarheit über den Weg und Nichtweg (die fünfte Reinheit) gewonnen ist, d.h. die Frucht des Stomeintritts, geht es nur noch um eines: Auf dem Heilsweg fortzuschreiten, bis man am Ziel angelangt ist.

Sicheres existentielles Gebiet der inneren Landschaft, der psychischen Geographie, betreten wir, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie diese sechste Reinheit am Ende aussieht. Erst rückblickend, nach Überwindung von Sinnensucht und Aversion, sieht der Insasse der sechsten Kutsche in voller Klarheit die ungeheure Leidensmasse, die er damit hinter sich lässt. Eine noch so große Vorstellungskraft würde nicht ausreichen, uns dies zureichend vor Augen zu führen. Weitaus das meiste aller nur denkbaren Millionen von Leidensformen hat er für immer hinter sich, ist ihnen entronnen und entgangen.

7. Reine Wissensklarheit (nana-dassana-visuddhi)

Je näher der edle Jünger auf dem Heilswege dem Ziel kommt, desto ferner rückt er gleichzeitig unserem Verstehen, unserer gewohnten Denkebene, selbst der feinsten. In jedem Fall ist in dieser siebten Kutsche eine der vier überweltlichen Pfade (Stromeintritt, Einmalwiederkehrer, Nichtwiederkehrer oder die Heiligkeit) und die damit verbundene Erkenntnis erreicht und es werden nur noch feine Fesseln abgelegt.

Der Stromeingetrene kann noch sieben Mal in Menschentum wiedergeboren werden. Der Einmalwiederkehrer nur noch ein einziges Mal. Der Nichtwiederkehrer kann noch bis zu fünf Mal bei den Reinhausigen Brahmas wiedergeboren werden, aber das ist die einzige Existenzform, die der Buddha als erträglich bezeichnet (Majjhima Nikaya 12).

Aber es ist auch möglich, dass der edle Jünger schon in diesem Leben die Frucht der Heiligkeit erreicht.

Die sieben Reinheiten sind zwar das unerlässliche Mittel, um jenes Ziel zu erreichen, denn niemand kommt ohne sie dahin, aber sie sind nicht Selbstzweck. Sie führen zur Triebversiegung, zur Heiligkeit, zum Nirvana.

"Versiegt ist die Geburt,

vollendet das Asketentum,

gewirkt ist das Werk,

nicht mehr ist diese Welt."