Folgende fünf Tatsachen, ihr Mönche, sollte jeder öfter bei sich erwägen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, im Hause Lebender oder Mönch. Welche fünf?

(Anguttara-Nikaya V, 57)

"Dem Altern bin ich unterworfen, kann dem Altern nicht entgehen.

Der Krankheit bin ich unterworfen, kann der Krankheit nicht entgehen.

Dem Sterben bin ich unterworfen, kann dem Sterben nicht entgehen.

Von allem Lieben und Angenehmen muss ich scheiden und mich trennen.

Eigentümer und Erbe meines Wirkens bin ich, meinem Wirken entsprossen, mit ihm verknüpft. Mein Wirken ist meine Grundlage, und ich werde das gute und üble Wirken, das ich jetzt wirke, zum Erben haben."

Warum aber, fragte der Buddha anschließend, sollte man diese fünf unabänderlichen Grundtatsachen des Lebens öfter bei sich erwägen?

Der Buddha liefert die Antwort, indem er darauf hinweist, dass wir geradezu berauscht sind von unserer Jugend, unserer Gesundheit, unserem Leben. Und wir sind von Gier hinsichtlich der geliebten Dinge und Wesen erfüllt. Die menschlichen Wesen führen auf drei Ebenen, nämlich in Gedanken, in Worten und in Taten, einen heilsamen oder aber unheilsamen Lebenswandel, ohne zu bedenken, dass dieser Lebenswandel, dieses Wirken (Pali: Kamma, Karma) von heute zur Grundlage ihrer Existenz von morgen wird.

Wenn wir uns fragen, ob diese fünf Feststellungen realistisch sind, d.h. ob der Mensch wirklich jenen fünf Unabänderlichkeiten ausgesetzt ist, dann müssen wir auf den ersten Blick zugeben, dass der Mensch ganz sicher dem Sterben unterworfen ist, dass er dem nicht entgehen kann, dass er "nicht ewig" in dem gegenwärtigen Körper lebt, ja, dass er sogar in jedem Augenblick sterben kann. Leben und Tod sind untrennbar.

Es braucht nur ein kleines Äderchen im Gehirn zu platzen, dann bricht der Leib zusammen und damit für einen Menschen, der hauptsächlich den jeweiligen Sinnesdrängen gefolgt ist, alles, was in diesem Leben angestrebt wurde. Den geliebten Leib, den der Mensch die ganze Lebenszeit mit größter Sorgfalt gehegt und gepflegt hat, wirft die Macht des Todes um, die gewaltigste Macht innerhalb der Welt. Das Werkzeug seiner Lust wird ihm so innerhalb einer Sekunde entrissen. "Alles verlassend muss man gehen", fort von den geliebten Dingen und Menschen. Soweit jemand durch den Körper mit den Sinnesorganen sein Wohl bezieht, erlebt er zwangsläufig auch das Wehe, das mit dem Körper verbunden ist.

Gäbe es nur einen Tod, dann könnte man sich damit abfinden. Aber man stirbt nicht nur einmal, nicht nur zweimal, nicht nur mehrfach, sondern immer wieder. Immer wieder von neuem lebt und stirbt man, unendliche Tode vor sich. Und ob man menschliche Existenz wieder erlangt, ist nicht gewiss.

Selbstverständlich identifiziert sich der Mensch, der am Körper hängt, mit dem Körper, zählt in zu sich. Für ihn bedeutet der Untergang des Körpers seinen Untergang, der Schmerz seines Körpers seinen Schmerz. "Selbstverständlich gehört der Körper mit den Sinnesorganen mir, ist mein Selbst", sagt der Mensch.

Über das, was mir gehört, habe ich Verfügungsgewalt. Der Mensch hat aber keine Verfügungsgewalt über den Körper. Der Körper entwickelt sich nach seinen Gesetzen. Er wird krank oder gesund unabhängig von unserem Willen. Wir können nicht sagen: "So oder so soll er werden"." Jesus sagt: "Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte?" Wir müssen den Körper so nehmen, wie er ist, und seine Wandlungen so hinnehmen, wie sie vor sich gehen. Der Körper ist tatsächlich nur etwas Geliehenes, das eine Zeitlang in seiner Weise zur Verfügung steht, und dies auch nur sehr begrenzt.

Ferner sind alle Menschen dem Altern unterworfen. Das Paliwort für Alter (jara) heißt wörtlich "besiegt werden", nämlich von etwas, das stärker ist, vom Verfall.

Der Erwachte sagt über das Alter, dass man sich vor Augen führen solle:

"Da sehe man diese Schwester, ihr Mönche, im achtzigsten oder neunzigsten oder hundertsten Lebensjahr, gebrochen, giebelförmig geknickt, abgezehrt, auf Krücken gestützt, schlotternd, dahinschleichend, siech, welk, zahnlos, mit gebleichten Strähnen, kahlem, wackelnden Kopf, verrunzelt, die Haut voller Flecken. Was meint ihr wohl, Mönche, ist , was einst schimmernde Schönheit war, verschwunden und Elend ruchbar geworden?" - "Freilich, o Herr!" - "Das aber, ihr Mönche, ist Elend der Körperlichkeit..."

Die Religionen selbst lassen den Menschen nicht im Unklaren darüber, dass alle Materie, alles Formhafte sich dauernd wandelt gleich rieselndem Sand und dass es keine schöne Vorderseite ohne eine genau entsprechende unschöne Rückseite gibt. Der Mensch, der sich an die Vorderseite klammert, ist damit auch an die Rückseite gefesselt und kann sich ihr nicht entziehen.

Im alten Indien aber wusste man, dass die Seele, damals jiva genannt, das eigentlich Lebendige ist und dass sie sich des Körpers bedient, um durch die Sinnesorgane zu sehen, zu hören usw. Darum gab es dort nicht die Äußerung, dass ein gestorbener Mensch beerdigt würde, sondern immer wusste man, dass das eigentliche Leben des Menschen, eben der Erleber, im Sterbeakt aussteigt und weiterlebt und sich irgendwo wieder verkörpert. entweder in einem irdischen Körper, in himmlischen Körpern oder auch in der Unterwelt. Man sah also eine Leiche immer nur als ein abgelegtes Werkzeug an.

Weil wir die Wesen mit ihren Körpern identifizieren, gehen wir mit den Leichen um, als seien sie noch Wesen. Weil der Inder aber die Toten nicht mit den Leichen, sondern gerade mit demjenigen, das aus den Leichen ausgezogen ist, mit dem Seelischen, identifizierte, darum behandelt er die Leichen als Abfälle; soweit er aber das Seelische für verehrungswürdig hält, verehrt er es. Das aber tat er nicht auf Friedhöfen bzw. Leichenstätten, sondern im Geist, in der Andacht, im alleinsamen stillen Bedenken.

Memento mori - Gedenke des Todes - ist ein Wort, das durch alle Kulturen geht und immer von den Großen beherzigt wurde. Es ist nicht so, dass das Denken an den Tod den Menschen traurig, lebensunlustig, pessimistisch und passiv mache. Diese Wirkung tritt nur dort ein, wo man sein Leben mit dem Körper identifiziert, d.h. wo man nicht weiß und auch kaum ahnt, dass der sog. Tod nur ein Übergang ist, bei dem dieser Werkzeugkörper verlassen wird.

Nach diesen drei Unabänderlichkeiten - Altern, Krankheit, Sterben - wird als vierte Unabänderlichkeit die Tatsache genannt, dass wir das, was wir lieben und was uns angenehm und köstlich ist, selten erlangen und, wenn wir es besitzen, nicht lange bei uns halten können, oder wenn wir es auch länger besitzen, doch nicht sicher und fraglos festhalten können bis zum Ende des Lebens. Die Gefahr, es zu verlieren, besteht immer. Und wie oft verliert man es gerade dann, wenn man es am wenigsten missen möchte.

Bei den geliebten Menschen besteht die Möglichkeit, dass sie sich von uns abwenden oder dass sie im Laufe der Zeit auch andere Eigenschaften zeigen, welche die uns lieben Eigenschaften verdecken, so dass wir dadurch enttäuscht sind, oder sie sterben uns hinweg. Auf jeden Fall aber werden wir durch unseren eigenen Tod von dem Geliebten getrennt.

Die Unbeständigkeit der Materie ist augenfällig, ist für jeden deutlich zu erkennen, aber das Gesetz von Saat und Ernte, das sich oft über längere Zeiträume hin auswirkt, ist nur für den aufmerksamen und nicht so sehr von den Sinnendingen hingerissenen Menschen zu merken, weshalb die Religionen den Menschen immer wieder darauf hinweisen, dass das Ergehen des Menschen von seinem Wirken abhängt. Die beiden Hauptfragen des Zusammenhang suchenden Menschen heißen: Wohin gehen unsere Taten, die in die Vergangenheit sinken, und woher kommen die Erlebnisse, die aus der Zukunft heraufsteigen? - Auf diese beiden Fragen antwortet der Erwachte: Unsere gegenwärtigen Erlebnisse kommen von dort, wohin unsere gestrigen Taten gingen; unsere gegenwärtigen Taten gehen dahin, woher unsere morgigen Erlebnisse kommen werden. Unsere ankommenden Erlebnisse sind die Wiederkehr unserer entlassenen Taten, unsere heutigen Erlebnisse sind verursacht durch unsere gestrigen Taten.

Hier auf der Erde sind charakterlich und moralisch unterschiedliche Menschen in Familien und Bekanntschaften zusammen, gute und schlechte. Sie entwickeln sich im Laufe der Jahrzehnte teils auseinander, teils zusammen je nach den religiösen, weltanschaulichen Einflüssen, denen sie ausgesetzt sind oder die sie sich während ihres Erdenlebens wählen. Aber nach dem Tod gelangen die Wesen dorthin, wohin sie nach der im Laufe des Leibeslebens erworbenen seelischen Beschaffenheit gehören.

Aus den Berichten der Religionen geht hervor, dass entsprechend unserem Wirken die Ernte sich im Jenseits ansammelt und uns, wenn wir den groben Körper verlassen haben, im feinstofflichen Körper und dem entsprechenden Bereich erreicht - denn "aus allen guten und schlechten Taten reifen dem Täter die Früchte heran" Dieses Gesetz ist allumfassend, es gilt für alles Erleben im Diesseits und Jenseits - gleich ob in untermenschlicher, menschlicher oder übermenschlicher Form. Es gibt keinerlei Erleben, das nicht Wirkung (Ernte) von früher Gewirktem wäre. Und da der Mensch auf dieses Erleben (Ernte) wiederum je nach seinem Empfinden und seinen Einsichten neu einwirkt, so gehen daraus wiederum neue Wirkungen hervor, neue Ernten. Der Erwachte vergleicht den je nach den Gefühlen des Herzens und den Einsichten des Geistes wirkenden Menschen mit einem Maler, der ununterbrochen an einem Gemälde arbeitet, indem er hier verbessert, dort verschlechtert. Unser gesamtes Erleben ist das von uns selber durch all unser Bemühen hergestellte "Lebensgemälde".

Die fünf Aussagen des Erwachten, dass der Mensch Alter, Krankheit und Tod unterworfen ist, sich von Liebem trennen muss und Erbe seines Wirkens ist, sind kein "Pessimismus", sondern nur die nüchterne Feststellung von Realitäten. Die Realitäten sehen, heißt klar die Wirklichkeit erkennen. Die Erkenntnis der Wirklichkeit ist die erste Voraussetzung, um von Leiden und Abhängigkeit zur Freiheit und Meisterschaft zu kommen.

Wer in der richtigen Weise den Tod bedenkt, der erkennt dieses Leben als eine Frist auf Bewährung. Es ist eine Bewährung, welche in diesem Leben schon befriedigt und erhöht und den Menschen adelt und welche ihm im nächsten Leben noch unvergleichlich höhere Freuden beschert, während der Lebensrausch selbst ein blinder Wahn ist, der den Menschen in Hemmungslosigkeit, Planlosigkeit und Willkür treibt, unwürdig eines denkenden Menschen.

Am größten ist jener Geist, der die Tatsache, dass wir uns von allem Lieben wieder scheiden und trennen müssen, klar und ruhig bedenkt, ja, der sie auch mit jenen geliebten Menschen zusammen bedenkt und der dadurch das liebende Verhältnis erhöht zu einer Kameradschaft solcher, welche gemeinsam und in gegenseitiger Hilfeleistung und Förderung nach denjenigen inneren Qualitäten streben die unzerbrechlich sind, von denen man sich darum nicht mehr zu scheiden und zu trennen braucht.

Die Erkenntnis des unlöslichen Zusammenhangs zwischen unserem Tun und unserem Erleben ist der Grundpfeiler buddhistischer, christlicher, ja, jeder religiösen Seinssicht, ist der Richtweiser für alles Tun und Lassen, für die gesamte Lebensführung:

Der Buddha sagt:

"Wer da öfter bei sich erwägt, dass er Eigner und Erbe seines Wirkens ist und das gute und üble Wirken zum Erbe haben wird, bei dem schwindet das üble Wirken entweder ganz, oder es wird abgeschwächt. Aus diesem Grund sollte man, ganz gleich, ob Mann oder Frau, im Hause Lebender oder Mönch, öfter bei sich erwägen: 'Eigner und Erbe meines Wirkens bin ich, meinem Wirken entsprossen, mit ihm verknüpft. Das Wirken ist meine Grundlage, und ich werde das gute und üble Wirken zum Erbe haben."