Verborgene Tendenzen bestimmen als unsichtbare Motorik das Interesse der Wesen.

 

Der Mensch ist nicht wie ein Stein ohne Anliegen, ohne Wahrnehmung und ohne Wollen. Er ist auch nicht klar bewusst im erhabenen Gleichmut wie der Heilige. Er will vielmehr bestimmte Dinge unbedingt erleben. Es treibt ihn zu diesem und jenem Erlebnis oder stößt ihn vom entgegengesetzten Erlebnis ab. Dieses Drängen erkennen wir als das Fühlbarwerden von Kräften - alles Drängen ist ja zwangsläufig eine Kraft - und diese Kräfte - in der alten indischen Sprache anusaya - bezeichnen wir als Tendenzen.

Der Mensch wird bewegt von tausendfältigen Zuneigungen zu Wahrnehmungen, Eindrücken, Erlebnissen, die er haben will, und von tausendfältigen Abneigungen gegen bestimmte andere Erlebnisse, die er fliehen will. Das bezeichnet der Erwachte kurz mit zwei Begriffen: Gier und Hass, Anziehung und Abstoßung (raga und dosa).

Wie in der wogenden Brandung an der Küste eine Woge nach der anderen an die Ufermauern schlägt und immer neue Wogen aus der Ferne des Ozeans heranrollen, sich in die Brandung mischen und gegen die Ufermauern schlagen - so branden aus unbewussten Tiefen immer wieder in jedem Augenblick andere Tendenzen, Neigungen, Sehnsüchte, Begehrungen, Ablehnungen, Widerstrebungen im Menschen auf, erregen und bewegen sein Gefühl zu Lust, Hoffnung, Sehnsucht, Angst, Abscheu, Hass oder Wut und bewegen von da aus sein planendes Denken, Reden und Handeln. Und immer wieder haben Vernunft und Moral des Menschen die größte Mühe und Not, um diese blind auf Befriedigung drängenden Tendenzen daran zu hindern, dass sie die geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte zur Erfüllung ihres blinden Begehrens einsetzen. Immer wieder muss der Mensch aus seinem Schatz an Vernunft und Moral, an Belehrung und Erfahrung erwägen, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln die drängenden Tendenzen des Menschen erfüllt und befriedigt werden können, um dadurch das unerträgliche Gefühl von Mangel und Not und Entbehrungen, von Lechzen und Sehnen aufzuheben.

Aber die Tendenzen selber, die den sichtbaren Teil des Menschen, den Körper, in sichtbare Bewegung setzen, sind selbst nicht sichtbar. Das willenlos bewegte Werkzeug des Menschen, der Körper, tritt vor Augen, während die Anstifter des gesamten Geschehens, das Wollende und Bewegende, verborgen und unerkannt bleiben.

Eine jede Tendenz wird bei ihrem Aufsteigen fühlbar als ein Mangelgefühl. Dieses Mangelgefühl kann man noch nicht richtig deuten, solange man nicht schon einige Male die Befriedigung dieser Tendenz erfahren hat, denn erst durch die Befriedigung der Tendenz wandelt sich das Mangelgefühl plötzlich in ein erlösendes Wohlgefühl der Befriedigung, und von da an weiß man, dass dieses Erlebnis eine Befriedigung der betreffenden Tendenz gewährt.

Was jedermann durch Beobachtung selbst feststellen kann, ist: Um dem mehr oder weniger schmerzlich spürbaren groben oder feinen Mangelgefühl zu entgehen, erwägt der Mensch aus dem Schatz seiner Erfahrung und Belehrung, ob und wie er eine Befriedigung, ein Erlebnis (z.B. eine Wanderung) durchführen soll. Durch die im Mangelgefühl sich meldende Tendenz wird also der Geist in Tätigkeit gesetzt, geistige Aktivität erzwungen. Durch die Erwägung entschlossen, das Erlebnis der Wanderung herbeizuführen, wandelt sich im selben Augenblick das Wehgefühl in Hoffnung und Vorfreude. Also schon die Aussicht darauf, die im Geist vorgestellte und ersehnte Wahrnehmung mit allen Sinnen "leibhaftig" zu erleben, bewirkt diesen Wandel.

Sogleich beginnt der Mensch eine erheblich erweiterte geistige, seelische und körperliche Aktivität zur Vorbereitung der beschlossenen Wanderung. Diese umfassende Aktivität wird immer wieder neu von der Sehnsucht nach jenem Erlebnis angestachelt, und durch diese Aktivität werden immer wieder Hoffnung und Vorfreude erneuert und bestärkt, und auch während der Wanderung, in Hitze und Regen, an Steigungen und bei Hindernissen treiben Hoffnung und Vorfreude auf die weiteren Wanderziele weiter. Kommen also Schwung und Kraft für die Wanderung von den Tendenzen?

Nein! Die Tendenzen geben wohl den Antrieb und Anstoß zu der dreifachen Aktivität des Menschen im Interesse der Herbeiführung des Erlebnisses. Sie geben jedoch nicht die zu dieser Aktivität und Anstrengung erforderliche Kraft. Die für die geistige Anstrengung erforderliche geistige Kraft, die für die seelische Anstrengung erforderliche seelische Kraft und die für die körperliche Anstrengung erforderliche körperliche Kraft muss der von der Tendenz Angetriebene selbst stellen bis zur Erschöpfung und nach der Erholung wieder neu einsetzen bis zur Erschöpfung usw., bis die ersehnte Wahrnehmung zustande kommt. Um z.B. eine solche Wanderung zu planen und durchzuführen, muss der Mensch verschiedenes überlegen, vergleichen, besprechen, vorbereiten, muss manche Anstrengung und Unannehmlichkeit auf sich nehmen. Von diesen Bemühungen erholt er sich immer wieder durch Ruhe, Schlaf und Essen. Aber die Sehnsucht nach jenem Erlebnis treibt ihn immer wieder neu an, alles zu tun, damit es eintrete. Auch die körperlich Kraft aus der Wanderung selbst gewinnt er nicht aus der Tendenz, sondern er muss den Körper trainieren und ausreichende Nahrung mitnehmen. Und endlich ist er nach vollbrachter Wanderung meistens mehr oder weniger strapaziert und geschunden und sehr müde.

So ist die Tendenz oder der Trieb, wie sein Name sagt, nur Antreiber des Menschen zu seiner dreifachen Aktivität, nicht aber sein Ernährer und Fürsorger. Diese Tatsache zu erkennen, ist von großer Bedeutung. Man kann sich leicht dadurch täuschen lassen, wenn man bei sich oder anderen sieht, dass man die geliebten, also die den Trieben und Neigungen entsprechenden Aufgaben mit Kraft und Schwung und Lust und Freude durchführt, während man sich zu den neutralen oder gar ungeliebten Aufgaben mehr oder weniger zwingen und quälen muss und auch die Kraft weit mehr fehlt. Daher glaubt man oft, dass Kraft und Schwung ganz von den Tendenzen kämen. Von den Tendenzen kommt aber nur die Lust, und diese Lust und Freude ist nun die Peitsche, die den Menschen antreibt, seine geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte einzusetzen für eine Sache. Was die Tendenzen begehren - gleichviel ob Gutes oder Schlechtes, Heilsames oder Verderbliches - dafür setzt der Mensch seine Kräfte gern ein.

Immer wieder bedarf der Mensch der Ruhepause zur Regeneration, zur Wiedergewinnung der im Einsatz abgegebenen Kräfte. Und es kommt sehr auf ein gesundes Verhältnis zwischen Kraftabgabe und Krafteinnahme an. Es gibt Tendenzen, welche nur einen ganz geringen Teil der menschlichen Kräfte benötigen, die immer wieder gut aufgefrischt werden können  - wie z.B. die Neigung der Kinder zum Spielen, die Neigung zum Forschen und Lernen und die meisten unschädlichen in Grenzen bleibenden Tendenzen - und es gibt Tendenzen, welche die menschlichen Kräfte ausbeuten und auszehren, wie der überstarke Sexualtrieb, der Trieb zur Berauschung aller Art und noch sehr viele andere Triebe. Hier sprechen wir wirklichkeitsgemäß von "verzehrenden Leidenschaften". Wo wir also mit Kraft und Schwung, mit Lust und Freude an geliebte Aufgaben gehen und sonstwie geliebten Erlebnissen nachgehen, da ist Lust und Freude auf die Tendenz zurückzuführen, deren gegenwärtige oder bevorstehende Erfüllung dieses Gefühl auslöst. Und da ist dieses Wohlgefühl der Anlass, dass der Mensch seine geistigen, seelischen oder körperlichen Kräfte oft im Überschwang einsetzt und aufzehrt im Sklavendienst für die Tendenzen.

Sobald das von der Tendenz begehrte Erlebnis eintritt, wandelt sich das Wehgefühl des Mangels oder der Not bzw. das Wohlgefühl der Hoffnung oder Vorfreude in Befriedigung. Befriedigung ist ebenso ein Wohlgefühl wie Hoffnung und Vorfreude und doch sehr anders. Das Gefühl der Hoffnung oder Vorfreude ist mit Spannung oder Anspannung verbunden, weil das Element der Erwartung darin liegt; das Gefühl der Befriedigung ist dagegen mit Entspannung verbunden, weil das Element der Erfüllung damit verbunden ist.

Bei sogenannten "Vorschuss-Wohlgefühlen", der Hoffnung und Vorfreude, erkennen wir den anpeitschenden und kraftraubenden Einfluss der Tendenzen. Die Aussicht, das begehrte Ziel zu erreichen, führt zu erhöhtem Einsatz der geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte, wie wir es in allen Situationen an uns und an anderen beobachten können. Der täuschende Charakter dieser Vorschuss-Wohlgefühle erweist sich aber dann, wenn die Aussicht auf Erfüllung durch irgendwelche Umstände gefährdet oder zunichte wird. Dann tritt ebenso plötzlich eine Enttäuschung ein, die ebenso stark oder schwach, so laut oder leise, so spontan oder allmählich ist, wie vorher Erwartung, Hoffnung und Vorfreude waren. Je höher ein Wesen den Gegenstand seiner Erwartung, Hoffnung und Vorfreude bewertet hatte und je mehr es ihn in den Vordergrund seines Lebens gerückt oder gar zum Inhalt seines Lebens gemacht hatte, um so mehr ist es jetzt getroffen, verwundet, erschüttert, so dass ihm die Welt leer und sein Tun sinnlos vorkommen kann.

Zugleich mit diesem Wehgefühl stellt sich oft eine mehr oder weniger starke Resignation oder Reizbarkeit oder Zorn oder Wut ein. Hier liegt auch der Grund, warum Liebe, die normale, tendenzbedingte Liebe, wenn sie sich betrogen oder enttäuscht glaubt, in Hass umschlagen kann. Es handelt sich immer um die Gegenreaktion, die Reaktion der um die Erfüllung betrogenen Tendenzen. Derselbe Mensch, der zu der Zeit, als er noch Lust und Freude hatte, mit Kraft und Schwung auf seine Ziele hinarbeitete, der ist nun, nachdem die Aussicht auf Erfüllung seines ersehnten Wunsches zerstört wurde, auch verlassen von aller Lust und Freude, von aller Kraft und allem Schwung, obwohl seine begehrende Tendenz noch dieselbe ist wie vorher. Auch an dieser Tatsache erkennen wir, dass Kraft und Schwung nicht von den Tendenzen kommen, dass diese nicht die Bringer und Spender, sondern Antreiber zum Verzehr der Kraft sind. Das hat solche weitreichende und tiefdringende Auswirkungen, dass wir sie hier gar nicht ausführlich behandeln können.

So sehen wir, wie die im Mangelgefühl spürbare Dynamik der Tendenzen die geistige, seelische und körperliche Aktivität des Menschen erzwingt, wie jenes tausendfältige Begehren den Menschen immer wieder vor die Wahl stellt, entweder die Not und Qual des unerfüllten Begehrens, den Mangel des unerfüllten Sehnens zu ertragen oder aber sich geistig, seelisch und körperlich aufzumachen, zu bewegen und anzustrengen, um seinem Begehren und Sehnen Erfüllung zu verschaffen.

So hat der normale, tendenzbewegte und über die Lenkbarkeit, Wandelbarkeit und Auflösbarkeit der Tendenzen unwissende Mensch nur die Wahl zwischen diesen beiden Übeln: Zwischen dem schmerzlichen Gefühl unerfüllter Sehnsucht oder der Anstrengung, Mühe und Plage durch sein Leben hin, gepeitscht von Situation zu Situation durch die unersättlichen Tendenzen. So kennt der normale Mensch wegen seiner Tendenzen nur diesen Zwiespalt und die mit ihm verbundene Unruhe und Zerrissenheit. Die Tendenzen hindern ihn, jene echte Ruhe und Einheit zu erleben und zu erfahren, von denen in allen Kulturen die tieferen und leiseren Stimmen sagen als vom Frieden, der erst dort beginnen kann, wo man nicht mehr von Befriedigung zu Befriedigung hetzt und jagt.

Schopenhauer hat das Verhältnis der Tendenzen (er nennt sie "Wille") zum Geist dargestellt in dem Bild eines starken Blinden (für den Triebwillen), der sich einen Lahmen, aber Sehenden (den bewussten Geist, der aber keine Kräfte hat) auf seine Schultern lädt, damit dieser ihn zu den angenehmen Erlebnissen hin- und von den unangenehmen wegführe. Wir sehen nach den bisherigen Ausführungen, wie sehr damit Schopenhauer der Lehre des Erwachten nahekam, von der er das meiste kannte, was damals von ihr in Europa bekannt war.

Der Erwachte lehrt nicht nur, wie dieses Verhältnis des blinden Riesen zum Geist als lahmen Seher zustande kommt, sondern auch, unter welchen Einflüssen es allmählich in bester und harmonischer Weise weiterentwickelt werden kann, indem der sehende Geist von einem anfänglich Hörigen allmählich zum Berater des blinden Riesen, dann zu dessen Erzieher und Bildner wird, bis der Riese gebändigt und sanft und edel geworden ist, und wie dabei der Seher allmählich seine Lahmheit verliert und zuletzt die Weisheit die Führung übernimmt. Aber der Erwachte erklärt  nicht nur die Bedingungen dieser Entwicklung, sondern erzeugt sie mit seiner Lehre: Durch die Erarbeitung dieser Lehre gelangt in den Geist, den anfänglich noch "lahmen Seher", die Kenntnis von der Hilflosigkeit des blinden Riesen und seiner Bildsamkeit durch den Geist, die Kenntnis von den entsetzlichen Gefahren und Leiden verdorbener wüster Tendenzen und von dem unermesslichen Segen eines gereinigten, wohlgebildeten Herzens. Diese Kenntnis entwickelt den Geist langsam, aber sicher vom Hörigen zum Lenker und Bildner der blinden Tendenzen.

Bei der Geburt des Menschen tritt der kleine, von den vegetativen Kräften in Gang gesetzte und in Gang gehaltene Körper zutage wie etwa ein Auto, das ohne sein eigenes Wollen und Wissen mit laufendem Motor zur Verfügung steht...

Was wir Säugling nennen und als lebendigen Menschen auffassen, das ist im Grunde jener in einem Körper eingesperrte große unbewusste sehnende Bedürfniskomplex, Tendenzenkomplex, das Spannungsfeld. Das macht in seiner Gesamtheit den ersten und ausschließlichen Beweg-grund, die erste und ausschließliche Motivation aus, was in der Regel als "Seele" bezeichnet wird, was man aber ebensogut auch als "Charakter" des Menschen, als "seine eigene Persönlichkeit" bezeichnen kann. Diese in dem unbewussten Körperwerkzeug unbewusst drängenden Tendenzen sind "blind", sind unbewusste Spannung, darum können sie allein nichts mit sich selbst und nichts mit dem Körper anfangen.

Doch dieser "Säugling" hat zunächst als Pfleger eine Mutter, also einen Menschen, welcher zu Körper und Trieben bereits einen "Geist", das heißt Kenntnis und Anschauung aufgebaut hat.  Und diese Mutter tut nach ihrer Anschauung an dem Körper des Säuglings mancherlei, was den Tendenzen des Säuglings wohltut, was sie vorübergehend entspannt, erlöst, erquickt. Dadurch stößt die jeweils berührte Tendenz, weil sie selbst ein Mangel, ein Erlebnisnegativ ist, ein Wohlgefühl aus, und so führt diese Entspannung beim Kind zum positiven Erlebnis, das heißt zum Verzeichnen der Haupt- und Nebenerscheinungen, die mit dem Wohlgefühl zusammen auftraten, und damit zur Entstehung der ersten geistigen Inschriften. So fängt Geist an zu entstehen.

Der Geist ist zunächst Registratur und Archiv für die ununterbrochen herankommenden Eindrücke, ist also zunächst Speicher aller ankommenden Wahrnehmungen. Doch hat er sie dann gleich nach verschiedenen Gesichtspunkten zu ordnen, wobei er sich sehr schnell auch zur Schalt- und Leitzentrale für die gesamten Unternehmungen der "Person" entwickelt nach dem Wort des Erwachten in Majjhima Nikaya 43: "Der Geist ist der Hirte und Fürsorger der fünf Sinnesdränge, der an allen ihren Bereichen teilnimmt." ...

Zur Wahrnehmung der äußeren Welt, der als grobstofflich erlebten Formen, Töne, Düfte, des Schmeckbaren und des Tastbaren, bedarf es eines genau entsprechenden als grobstofflich erlebten Werkzeuges, eben dieses Körpers (rupa-kaya), denn der Spannungsleib (nama-kaya) allein wäre nicht in der Lage, diese in ganz anderer Dimension bestehenden Formen, Töne, Düfte usw. irgend zu empfinden. Indem er aber dem zur Annahme der Außenwelt geeigneten Fleischkörper (rupa-kaya) so durchdringt und durchtränkt wie der Magnetismus das Eisen, da werden beide Systeme, beide Körper im Akt des Hereinholens einer Form seitens des Geistes (vinnana) berührt, und der Spannungskörper empfindet die betreffenden Außendinge mit seinem "Geschmack" als Wohl oder Wehe oder weder Wehe noch Wohl, und demgemäß gibt der Geist der so zustande gekommenen Wahrnehmung einen Namen ("gutes Essen", hässlicher Mensch", "schlechte Zeiten" usw.).

Die Tendenzen sind als Sinnesdränge in den Sinnesorganen inkarniert

Sie durchdringen und durchziehen als sinnlich nicht wahrnehmbare Spannungen und Dränge die Sinnesorgane und damit den ganzen Körper, weshalb sie im gegenständlichen Körper (rupa-kaya) einen Trieb- oder Spannungs- oder Empfindungssuchtkörper (nama-kaya) bilden; nama heißt zu deutsch "Name" oder auch "das Nennende" und von daher Urteilende, Bewertende. Der Urteiler ist die jeweilige Tendenz nach bestimmten Erlebnissen.

In dem Wort kaya von nama-kaya drückt sich die Strukturiertheit der Empfindungssucht in Körperform aus, d.h. der Drang nach Erlebnis von Sichtbarem ist im Auge; der Drang nach Tonerlebnis ist im Ohr; der Drang nach Dufterlebnis ist in der Nase; nach Schmeckerlebnis in der Zunge; der Drang nach Tastung durchzieht den ganzen Körper, und der Geist hat den Drang nach bestimmten Vorstellungen und Erwägungen.

Das körperliche Auge kann so wenig sehen wie eine Brille, aber der Sinnesdrang nach Sehen, der innere Luger lugt durch das physische Auge als durch seine Brille nach der äußeren Welt der Formen, nach den "ersehnten, begehrten, geliebten, entzückenden, reizenden" - ebenso kann das körperliche Ohr so wenig hören wie ein Hörrohr, aber der Sinnesdrang zu hören, der innere Lauscher lauscht durch die physischen Ohren nach der äußeren Welt der Töne; der innere Drang nach Düften sucht durch die Nase des Körpers nach der Welt der Gerüche usw.

Der Erwachte vergleicht den so beschaffenen Menschen mit einem Mann, welcher an sechs Stricken sechs verschiedene Tiere mit sich führt, die hin und her zerren. Der Drang nach Formen und Farben wird dargestellt durch die Schlange, die nach dem Ameisenhaufen strebt und so den Menschen dorthin mit sich zieht. Der Drang nach Tönen wird einem zum Wasser hinstrebenden Krokodil verglichen, das den Menschen wiederum in eine andere Richtung reißt. Der Drang nach Düften wird mit dem in die Luft strebenden Vogel verglichen; der Drang nach Geschmäcken mit dem zum Dorf hinstrebenden Hund; der Drang nach Tastungen mit dem zum Leichenhof strebenden Schakal verglichen und der Drang nach Gedanken und Erwägungen mit einem Affen, welcher von Baum zu Baum, von Frucht zu Frucht springen will. Jedes der sechs Tiere reißt den Menschen in eine andere Richtung. Ganz ebenso wird der normale Mensch von seinen sechsfachen Sinnesdrängen hin und her gerissen.

Quelle: Paul Debes, Meisterung der Existenz nach der Lehre des Buddha.