Unsere Wünsche wirken sich aus wie Saat, die - im Stillen treibend - zu ruhen scheint, die keimen muss, ehe sie aufschießt, und reifen, ehe sie - süß oder bitter - Frucht der Wirklichkeit wird. Und jeder Wunsch, jede Regung zehrt nicht am Leben, sondern treibt und baut es weiter in Zukunftsfernen und -formen.

(Heinrich Zimmer)

 

Ein Weltzyklus mit den Höhen und Tiefen des Erlebens ist bedingt durch die Belastung des Herzens mit Anziehung, Abstoßung, Blendung. Davon abhängig ist das Welterlebnis. Ein Weltzyklus beginnt damit, dass in die Latenz getretenes sinnliches Begehren und damit Gegenstandserfahrung wieder einmal aufsteigt und einen entsprechenden Körper bildet:

"Es gibt ein Zusammentreffen von Bedingungen, durch welche sich am Ende einer langen Periode diese Welt einzieht  (einfaltiger wird). Mit dem Einfaltigwerden der Welt werden die meisten Wesen zu Leuchtenden. Sie bestehen geistig; ernähren sich von geistiger Beglückung bis Entzückung (piti) und ziehen selbstleuchtend ihre Bahn im Himmelsraum, bestehen in herrlichem Glanz und überdauern lange, lange Zeiten.

Es gibt ein Zusammentreffen von Bedingungen, durch welche sich am Ende einer langen Periode diese Welt auseinanderbreitet, vielfältiger wird. Mit dem Ausbreiten der Welt sinken die meisten Wesen aus der Gemeinschaft der Leuchtenden ab und gelangen hienieden zzu Dasein. Sie bestehen noch geistig und ernähren sich von geistiger Beglückung bis Entzückung und ziehen selbstleuchtend ihre Bahn im Himmelsraum, bestehen in herrlichem Glanz und überdauern lange, lange Zeiten.

Einzig Wasser geworden aber ist es zu jener Zeit, tiefdunkel, tiefdunkle Finsternis; es gibt weder Sonne noch Mond noch Gestirne, weder Tag noch Nacht, weder Wochen- noch Monatszeiten, keine Jahreszeiten und keine Jahre; es gibt weder Frau noch Mann: die Wesen sind eben nur Wesen.

Dann hat sich im Verlaufe langer Wandlungen auf dem Wasser eine Erdhaut ausgebreitet. Wie sich auf heißer Milch, wenn sie abkühlt, obenauf eine Haut bildet, so ist sie zum Vorschein gekommen: sie hatte eine Farbe, hatte einen Duft, hatte einen Geschmack; die Farbe war etwa wie zerlassenes Butterschmalz; der Geschmack war etwa wie reiner Honig.

Da hat eines der Wesen, lüstern geworden: "Sieh da, was mag das nur sein?" von der Erdhaut fingernd gekostet. So von der Erdhaut kostend, empfand es Behagen, Durst war ihm entstanden. Noch andere Wesen sind dem Beispiel dieses Wesens nachgefolgt und haben die Erdhaut fingernd gekostet.. So von der Erdhaut kostend, empfanden sie Behagen, Durst war ihnen entstanden. Da haben nun die Wesen begonnen, die Erdhaut mit Händen aufzunehmen, um sie zu genießen.

Sobald aber die Wesen begannen, die Erdhaut mit Händen aufzunehmen, um sie zu genießen, da war ihnen auch schon das Selbstleuchten verschwunden. Als ihnen das Selbstleuchten verschwunden war, da sind Sonne und Mond erschienen; da sind Sterne und Planeten aufgegangen; da ist Tag und Nacht erschienen, da sind Wochen- und Monatszeiten, Jahreszeiten und Jahre geworden. So weit war damit wiederum diese Welt ausgebreitet. (Digha Nikaya 27)

An dieser Stelle sind einige Erläuterungen notwendig: Nicht macht der Erwachte hier Aussagen über "an sich" bestehende Materie, Aussagen, die dem naturwissenschaftlichen Weltbild widersprächen, demzufolge nach einem "Urknall" eine sich ausbreitende Welt und in ihr aus "Materie" primitives Leben und daraus höheres sich entwickelt haben soll. Sie ist auch nicht auf die Emanation eines Gottvaters oder Brahmas zurückzuführen, die alles geschaffen hätten. Dazu Näheres weiter unten.

Der Erwachte sieht das Entstehen und Vergehen der Kosmen als Film, von der Psyche erzeugt.

In seiner ganzen Lehre zeigt der Erwachte, dass all das - "Äonen", "Welten", "Natur" mit Aufwärts- und Abwärtsentwicklungen - aus Wahrnehmung, aus Erleben besteht, ein Traumgespinst ist, das zwar nach ehernen Gesetzen entsteht und vergeht, aber kein "objektives" Geschehen ist, hinter dem eine "objektive Materie", eine "Substanz" steht, sondern Wahn-Wahrnehmung, und dass die Gesetze, die dieses psychische Geschehen beherrschen, demgemäß keine Naturgesetze sind, sondern psychische Gesetzmäßigkeiten der Wahntraumentwicklung. Von allen durch die sinnliche Wahrnehmung uns begegnenden Erscheinungen sagt der Erwachte ausdrücklich: "Schemenhaft, trügerisch, Einbildungen sind die Sinneserscheinungen, ein Blendwerk ist das Ganze." (Majjhima Nikaya 106)

So wie die Spinne aus ihrem Leib, aus sich selbst das Netz spinnt, in dem sie lebt als in ihrer Welt, so spinnen die Triebe den jeweilig gewähnten Erfahrnisbereich. Es gibt so viele Arten von Ich- und Weltwahn, wie es Triebe gibt, und der Erwachte nennt dementsprechend drei große Kategorien immer feinerer Selbst- oder Icherfahrnis.

1. Grobe Selbsterfahrnis durch die Triebe der Sinnensucht. Die körperliche Bewegtheit (Ein- und Ausatmung und Stoffwechsel) eines von Vater und Mutter gezeugten Körpers, der durch Nahrung erhalten wird und dem Altern und Sterben unterworfen ist. Sie erleben auch die Bewegtheit des Denkens und des Herzens mit Gefühl und Wahrnehmung, die den Wahn "Ich bin in der Welt" weiterhin auswerfen, wodurch der Traum eines Ich in einer Umwelt immer weiter fortgesetzt wird. Die Wesen der groben Selbsterfahrung (darunter die Menschen) haben Hunger nach Erlebnissen, nach Einflüssen durch Sinnendinge. In bestimmten Zeitabschnitten müssen sinnliche Erlebnisse wahrgenommen werden. Ebenso sind die sinnensüchtigen Wesen beeinflussbar durch Einflüsse, die ihr Seinwollen bestätigen oder gefährden, sie können und wollen die Ich-Bestätigung nicht missen, wollen von anderen anerkannt, beachtet werden und wollen auch "vor sich selber bestehen", bestenfalls indem sie sich läutern, bessern.

2. Auf Grund mittleren Wahns erleben sich die Wesen als brahmisch rein von Sinnensucht und Übelwollen, in Liebe, Erbarmen, Freuden, Gleichmut strahlend. Die vier Haupbeschaffenheiten, die sinnensüchtige Wesen erleben: Festigkeit, Flüssigkeit, Wärme, Luft, werden nicht mehr erfahren. Diese Wesen haben sich früher durch die Entwicklung von Verständnis und Mitempfinden mit allen Mitwesen, auch mit den erbärmlichsten und abstoßendsten, zu innerer Hochherzigkeit und Güte entwickelt und haben von daher ein so beglückendes, erhabenes Grundgefühl, wie es sinnensüchtige Menschen durch keinerlei äußere Eindrücke gewinnen können.

3. Die Wesen mit feinstem Wahn sind ohne Wahrnehmung von Formen-Grenzen in formfreier Selbsterfahrnis: damit ohne Wahrnehmung von Ich und Umwelt und darum während der Dauer solcher Erfahrnis auch ohne Denken. Sie erfahren aus der zartesten Bewegtheit des Herzens: Wahrnehmung, nur noch erhabene Empfindung ohne Ereignisse und damit ohne Zeitdruck.

Innerhalb dieser drei großen Selbsterfahrungen gibt es noch viele Stufungen. Sie bestehen unterschiedlich lange, und sie gehen bei allen Wesen so , wie sie geschaffen worden waren, auch irgendwann wieder zu Ende. Die hohen, erhabenen Wesen leben einzeln, selbstleuchtend in innerem Frieden. Es setzen sich aber Neigungen, verbliebene feine Fesselungen nach Zeiten, die mit unserem Zeitmaßen nichts zu tun haben, wieder durch. Diese Wesen empfinden nach längerem Verweilen in diesem selig-stillen Zustand wieder ein leises Ungenügen, das sie aber nicht als Bedürfigkeit nach Vielfalt, nach Begegnung mit anderen, nach Austausch erkennen, weil sie das längst vergessen haben. Und in dem Maße ihres leise aufkommenden Bedürfnisses erfahren sie auch wiederum mehr Wesen, vielfältigere Umgebung, ein harmonisches Miteinander, dem irgendwann auch wieder unvermeidlich Missverständnis und Streit folgt. Und so wechselt und wandelt sich das Dasein sowohl der Götter wie der Menschen über lange Zeitepochen hinaus immer wieder zu Vielfalt und Dunkelheit, zu Suchen und Streben und dann an die äußersten Enden der Leiden wieder eine Umkehr aus der Dunkelheit in größere Helligkeit, aus der Vielfalt wieder zur seligen Ruhe - und so immer wieder auf und ab. Das alles wird als Wahrnehmung erlebt, und die Wahrnehmung hängt ab von der Herzensbeschaffenheit. Wie diese sich wandelt, so wandelt sich das gesamte Erleben, das wir "die Welt" nennen: Erscheinen der Welt (Auseinanderbreiten) und Nichterscheinen der Welt (Einziehen) ist die Folge der Herzensbeschaffenheit der Wesen.

Der Erwachte schildert die Phasen der erneuten Abwärtsentwicklung in unserem Weltzeitalter ausführlich in Digha Nikaya 26:

Ein Wesen aus dem Erfahrungsbereich der Leuchtenden sinkt auf den nächstniederen Erlebnisbereich eines Brahma ab, weil seine Lebenskraft zu Ende ist und es kein höheres Verdienst entwickelt hat. Der Erwachte berichtet von diesem Abfall. Ausgangspunkt ist die auch in Indien viel vertretene Auffassung, dass Brahma als Schöpfergott Wesen und Welt geschaffen habe:

"Nach einsam dort lange verlebter Frist erhebt sich Unbehagen und Unruhe im Wesen: O dass doch andere Wesen noch hier erschienen! Und andere der Wesen noch, durch Schwinden der Lebenskraft und Verdienst, aus dem Bereich der Leuchtenden entschwunden, sinken in den leeren Brahmahimmel herab, gesellen sich jenem Wesen zu.... Da ist jedem Wesen, das zuerst herabgesunken war, also zumute geworden: Ich bin Brahma, der große Brahma, der Übermächtige, der Allsehende, der Selbstgewaltige, der Herr, der Schöpfer, der Erschaffer, der Höchste, der Erzeuger, der Erhalter, der Vater von allem, was da war und sein wird: von mir sind diese Wesen erschaffen. Und woher weiß ich das? Ich habe ja vordem gewünscht: O dass doch andere Wesen hier erschienen.

Die Wesen aber, die da später herabgesunken sind, auch diese vermeinen dann: Das ist der liebe Brahma... von ihm, dem großen Brahma, sind wir erschaffen. Und woher wissen wir das? Ihn haben wir ja zuerst gesehen, wir aber sind erst später hinzu gekommen.

Nun hat, ihr Brüder, das Wesen, das zuerst herabgesunken ist, eine größere Lebenskraft, größere Schönheit und größere Macht... Es mag aber wohl, ihr Brüder, geschehen, dass eines der Wesen diesem Reich entschwindet und hienieden Dasein erlangt. Hinieden zu Dasein gelangt, wird ihm das Haus zuwider, als Pilger zieht er in die Hauslosigkeit. Nach ernster Übung in unermüdlichem Eifer hat er eine Einheit des Gemütes erreicht, in der er sich geeinten Herzens seine früheren Daseinsform erinnert, darüber hinaus sich aber nicht erinnert. Der sagt sich nun: 'Er, der liebe Brahma, ist der große Brahma, der Übermächtige, der Schöpfer, der Erschaffer, der Höchste, der Erzeuger, der Erhalter, der Vater von allem, was da war und sein wird, von dem wir erschaffen sind. Er ist unvergänglich, beständig, ewig gleich wird er immer so bleiben, während wir, die wir von ihm, dem lieben Brahma, erschaffen wurden, vergänglich sind, unbeständig, kurzlebig, sterben müssen, hier wieder erschienen sind..."

Der Schöpfergott-Irrtum und auch dass ein Jesus von seinem Vater sprechen kann, hat hier eine existentielle Grundlage. Es gibt aber, zeigt sich hier, gar keine Schöpfung, gar keine Kreation von Wesen oder von Welt. Alles sind Erscheinungsformen der Psyche. Maler Herz malt die Bilder, feinere und gröbere, die als solche wieder in Erscheinung treten. Je nach der Grundart ist die Wahrnehmung, so sagt der Erwachte, d.h. je nach den wirksamen Trieben des Herzens werden auch die Wahrnehmungsbilder, wird die Weltvorstellung, und so taucht im Zuge der langsamen inneren Vergröberung als erstes eine unermesslich weite, glitzernde Wasserfläche auf. Die Wesen kümmert es kaum, sie kreisen selbstleuchtend im Himmelsraum. Kaum merklich werden sie daran gewöhnt, dass da Wasser im Licht (das von ihrem Herzensleuchten ausgeht) glitzert, sie fangen damit nichts Besonderes an, bleiben bei sich. Aber da ist nun eben, was vorher nicht war, diese glitzernde Fläche als erster Gegenstand. (Man wird erinnert an die ersten Worte des altjüdischen mosaischen Berichtes: "Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.")

Woher weiß der Buddha von diesen großen Entwicklungszyklen? Der normale westliche Mensch, der das Leben mit dem Körper identifiziert, nimmt an, dass sein Bewusstsein erst mit der Entwicklung im Mutterleib entstanden sei und darum auch nichts von früheren Zeiten enthalten könne. Und da er meint, dass alle anderen Menschen ebenso denken, so kann er gar nicht damit rechnen, irgendwo auf "Erinnerung", echte Erinnerung an vorzeitliche Daseinsformen zu gelangen. Darum glaubt er sich angewiesen auf die Deutung von Funden in Gesteinsschichten, Gräbern und Höhlen (die alle bereits das feste Element voraussetzen) und auf Kombinationen und Spekulationen darüber.

Wer aber das Wesen des Geistes, des Bewusstseins begriffen hat als Dimension des Lebens und Erlebens überhaupt, in welcher und aus welcher eben alles Erfahren besteht, "Ich" und "Welt" und auch "Zeit" und "Raum", der fragt nicht mehr nach einem Anfang des Geistes, des Bewusstseins, zumal auch die Vorstellung von "Anfang" und "Ende" nur durch das Bewusstsein vorhanden ist. Er erkennt aber zugleich, dass ihm ein umfassendes Bewußtsein nicht zur Verfügung steht, und entnimmt der Aussage der Großen, die zum universalen Bewusstsein durchgedrungen sind, die Gesetze, nach welchen die Entwicklungen zum Guten und Heilen wie auch die Entwicklungen zu Verderben und Unheil vor sich gehen.

Aus einem solchen universalen Bewußtsein weiß und lehrt der Erwachte über die Entwicklung dessen, was als die verschiedenen Erscheinungsformen von "Materie" ("Aggregatzustände") erlebt wird.

Danach begannen die Wesen einfach aus der Macht ihres Geistes auf Grund der ihnen aufgestiegenen "Neu-Gier" und einer ahnenden Erinnerung an die seit unvordenklichen Zeiten ins Vergessen verdrängte Sucht nach Tastmöglichkeiten und Schmeckmöglichkeiten, sich schöpferisch zu gestalten. Zu jeder Zeit also bestand noch Geistesmacht. Die ganze Entwicklung zeigt, dass aus dem tiefen Hort des Herzens nach und nach das sinnliche Begehren wieder hervorbricht.

Ersatzlichter, Sonne, Mond, Sterne, erscheinen und damit die Erde, Planetenumlauf, Tag und Nacht. Dieses ganze komplizierte System des Erlebens von Rotation, Massenanziehung, Gravitationsverhältnissen usw. entstand aus dem Erliegen der Versuchung als die Erscheinung der psychischen Abwärtsentwicklung. Das kann man mit mehr Recht den Sündenfall nennen als die allegorischen Darstellungen von Adam und Eva. Diese klingen geradezu harmlos im Vergleich zu dem, was der Erwachte als den Abfall bezeichnet. Nicht mehr vom inneren Licht leben, sondern angewiesen sein auf das äußere Licht und die Wärme der Sonne, das ist die Vertreibung aus dem inneren Paradies... aus der Psyche tritt das ganze Weltsystem durch den Akt des Sich-Ernährens-von-Außen, des Genießens der Erdhaut, in Erscheinung.

Zu diesem Weltentstehungsprozess gibt es einige Parallelen aus anderen Kulturen.

Weiter wird berichtet, wie zuerst Erdhaut aus dem Wasser auftaucht, die die Wesen abschöpfend genossen. Dann im Prozess der seelischen Vergröberung der Wesen, der zunehmenden Gier, erschienen Pflanzen auf der Erdhaut.

ANMERKUNG: An dieser Stelle muss nun sehr viel aus dem Bericht der Lehrreden übersprungen werden. Die Epochen der Vergröberung der Wesen, die der Erwachte schildert, sind sehr lange Perioden, lange Zeiten. Es kommt zur Trennung der Geschlechter und dem Beginn der Sexualität. Mit der Paarung ist die Abwärtsentwicklung bis zu dem Stand gekommen, in dem wir uns befinden.

Die Zeiten, die geschildert werden, liegen lange vor den von der Naturwissenschaft als prähistorische Zeiten bezeichneten, vor Erdkatastrophen, Sintfluten, Umschichtungen, die einen späteren Zustand niederer Tugend voraussetzen, in denen als Folge von Untugenden immer wieder Kontinente versinken und die Erde die Wesen nicht mehr trägt. Durch die Ausgrabungen ist die Naturwissenschaft zu völlig falschen Folgerungen gelangt in der Annahme, dass sich aus primitivem Leben höheres entwickelt habe, die Krone sei dann der Mensch. Es wird jedoch deutlich, dass die Entwicklung einer Weltausbreitungsperiode nicht vom Primitiven zum Höheren, sondern vom Höhen zum Primitiveren verläuft.

In Digha Nikaya 26 heisst es, dass die allgemeine Lebenserwartung der Menschen zunächst rd. 80.000 Jahre betrug. Diese Zahl mag befremdlich sein, doch in alten Kulturen finden wir immer wieder einmal den Hinweis, dass die Götter auf die Erde herabstiegen und sich mit Menschen vermischten - von daher die tugendbedingte lange Lebensdauer, die dann allmählich abnahm. Auch hier schildert der Erwachte ausführlich die Gründe und die Auswirkungen. Die Lebenszeit verkürzt sich durch Abwärtsentwicklung (Untugenden) immer weiter. Wir kommen bis zu den Menschen, die nur noch rd. hundert Jahre alt werden. Daran sehen wir, dass etwa dieser moralische Stand dem unsrigen entspricht. Zu unserer Zeit werden die Menschen etwa hundert Jahre alt. Auch schon zu Zeiten des Erwachten und zur Zeit Christi Geburt, also vor zweitausend bis zweitausendfünfhundert Jahren wurden die Menschen im allgemeinen nur noch höchstens etwa hundert Jahre alt, wenn auch zu Zeiten des Erwachten noch vereinzelt von Hundertzwanzigjährigen die Rede ist und auch heute einzelne Menschen ein ähnliches Alter erreichen. Wir sehen, welche großen Zeiträume der Erwachte mit seinen Schilderungen umfasst und dass die Schilderung der abwärtsführenden Eigenschaften für die Masse der Menschen, nicht ausnahmslos für alle Menschen dieser Zeitepoche gleichmäßig gilt, denn wie viele Geheilte und Tugendhafte gab es zu Zeiten des Erwachten und wie viele gute Menschen, die sich um Einhaltung der Tugendregeln bemühen, gibt es heute noch.

Der Erwachte stellt im weiteren Verlauf dieser Lehrrede auch eine Zukunftsprognose, von welcher der aufmerksame Betrachter vieles schon heute als - zumindest im Ansatz - eingetreten erkennen wird... "es wird einst, ihr Mönche, eine Zeit sein, wo diesen Menschen zehn Jahre dauernde Nachkommen geboren werden..."

Es folgt erst dann eine Rückbesinnung, die wieder zur Aufwärtsentwicklung führt. Bei den zehnjährigen Menschen sind vier Eigenschaften, die heute schon im Zunehmen sind: Aggression, Hass, Bosheit und Mordlust. Wie es heute schon bei manchen Menschen in jenen unglücklichen Ländern mit permanentem verworrenem Bürgerkrieg zu beobachten ist, so fiebern sie, sich gegenseitig umzubringen - wie ein Wildsteller fiebert im Jagdeifer.

Wenn das Elend im Menschentum zum äußersten gekommen ist, einer des anderen Mörder wird, keiner vor dem anderen mehr sicher ist, da es keine Familien- oder Freundschaftsbande mehr gibt, da werden einige Wesen so ängstlich, dass sie in die Einsamkeit fliehen. Dort kommen sie zur Besinnung, gehen in sich.

Dem Bericht des Erwachten ist folgendes zu entnehmen:

In den Jahrtausenden der Abwärtsentwicklung sind die Menschen der Sucht nach den äußerlich verlockenden Dingen gefolgt, aber im Unterbewusstsein meldete sich bei allem vordergründigen Dichten und Trachten eine selbstkritische Begleitstimme, ein Wissen: "Es wird immer schlimmer mit uns." Diese Stimme hatte nicht die Kraft, den Wandel der Menschen zu beeinflussen. Der Wandel wurde beeinflusst von den Verlockungen, von Habsucht, von Übelwollen und Wut - von den Trieben.

Aber nun in der Einsamkeit, fern aller sinnlich lockenden Dinge und in Todesangst angesichts des handgreiflichen, unmittelbar lebensbedrohenden "Anschauungsunterrichts", wohin das hemmungslose Ausleben führt, da kommt diese Stimme zum Tragen und bewirkt den Umschlag. Und da es bereits zum Äußersten gekommen war - dass sinnlos einer den anderen totschlug - da bewirkte bereits der erste Schritt der Umkehr - überhaupt nicht mehr töten - eine deutlich erfahrbare, relativ gewaltige Verbesserung. Es lässt sich, von "außen" betrachtet, denken, dass der Wegfall der ständigen Todesfurcht, des dauernden Auf-der-Hut und Auf-der-Flucht-Seins der Wesen, der dauernden körperlichen und seelischen Überforderung der Menschen alsbald auch eine deutlich merkbare Verlängerung der Lebensdauer - auf durchschnittliche zwanzig Jahre - bescherte, welche die Aufmerksamkeit auf die Beobachtung des Heilsamen zwangsläufig hinriss.

Zu einer höheren Ebene der Gemütsbildung trägt die bewusste Pflege des Heilsamen die Menschen dann hinauf, solange sie der Lehren eingedenk sind, welche ihnen der Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte, das "Messerstichzeitalter" erteilt hat: dass alles innerweltliche Leiden vom Abfall von heilsamen Dingen, alles innerweltliche Wohl von der Pflege der heilsamen Dinge kommen. Es entsteht eine neue Aufwärtsphase, die Menschen erreichen wieder ein Alter von rd. 80.000 Jahren. Hier berichtet nun der Erwachte in seinem Ausblick auf die Entwicklung der nächsten "Aufwärtsphase", dass gerade auf dem Höhepunkt der menschlichen Moral und Lebensdauer der Buddha Metteyya erscheinen wird, von dem gesagt wird, dass er nicht nur, wie der Buddha Gotamo, mehrere hundert, sondern mehrere tausend Mönche haben wird, die aus dem Traum des Auf und ab heraustreten.

Wer diese Entwicklung mit all ihrer Vielfalt ihres Auf und Ab überschaut, der wird vom "Außen" zurückverwiesen auf das "Innen", auf die formgestaltende Kraft der hinter dem Wirken der Menschen stehenden Tugend oder Untugend. Sie allein bestimmt über das Aufwärts oder Abwärts der Entwicklung, über Wohl und Wehe der Menschheit.

Je mehr das Gesetz von Saat und Ernte des Wirkens vergessen wird, um so dunkler und notvoller wird das Erleben der Mensch, je mehr es gesehen und beachtet wird, um so heller wird das Erleben in der Menschenwelt. Das ist es auch, was alle Religionen lehren.

Zum dritten aber führt auch die Beachtung dieses Gesetzes für sich allein nicht aus dem endlosen Kreislauf der Auf- und Abwärtswellen des Existenztraumes heraus. Es gibt keine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung.

Nun erst wird die Mahnung des Erwachten verständlich:

Selber die Leuchte, ihr Mönche, sollt ihr sein, selber die Zuflucht, ohne andere Zuflucht, mit der Lehre als Leuchte, mit der Lehre als Zuflucht, ohne andere Zuflucht.

Und diese Anleitung, die Zuflucht nicht bei den Außengebieten, sondern bei "sich selber" zu suchen, ist wiederum so einfach und ehern wie es nur bei einem Vollkommen Erwachten möglich ist. Alles Unheilsame wird durch seichte Aufmerksamkeit, alles Heilsame durch rechte - auf die Herkunft gerichtete - Aufmerksamkeit erzeugt. Deshalb hat der Erwachte den Heilsschüler angeleitet, zunächst die Aufmerksamkeit auf "sich selber" zu lenken, Satipatthana, die buddhistische Achtsamkeit auf die Herkunft der Erscheinungen, zu üben.