Die Ausbreitung von Lehre und Orden, 1. Teil.

 

Zurück

 

Zum nächsten Kapitel

 

 

Der Erwachte weilte nun mit den ersten fünf Geheilten bei Benares am Sehersteine im Wildpark. Sie waren alle sechs Sakyer, also Fremde, und es bestand noch kein geistiger Kontakt mit der Bevölkerung. Die Schar der Sechs gehörte zu den zahlreichen dortigen Asketen, und sie gingen wie diese täglich auf den Almosengang in die Stadt. Manchem Bürger mochte die abgeklärte Art auffallen, die sie von anderen Asketen unterschied, oder die imponierende Erscheinung eines Buddha - aber nicht auf eine solche Weise wurde die Lehre in Benares heimisch, sondern es geschah ganz anders. Darüber wird in Mahavagga I, 7-10 berichtet:

Zu jener Zeit lebte in Benares ein wohlerzogener Sohn aus guter Familie, Sohn eines Kaufmannes, mit Namen Yasa. Er lebte mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet. Wie der Bodhisattva hatte auch er drei Paläste für die drei Jahreszeiten. Und er besaß viele Freunde und Frauen. Er hatte alle Herrlichkeit auf Erden. Und doch fühlte Yaso, dass ihm etwas fehlte, er wusste nur nicht was. Es war ein unterbewusstes Ahnen, dass es noch etwas anderes geben musste als Genuss, gute Werke und die Fortsetzung dessen im Himmel. Yaso gehörte zu den seltenen Wesen, die nahe der Art eines Buddha waren: Der Genuss befriedigte ihn nicht, aber was die Welt als Gegenteil dessen bot, die Schmerzensaskese, befriedigte ihn ebenso wenig, so dass er nicht auf die Idee kam, dort eine Antwort zu suchen. Er blieb im Genuss und war doch nicht mit dem Herzen dabei. Sein Innerstes suchte den mittleren Weg, aber er wusste weder, dass er ihn suchte, noch erst recht, wo er lag. So schwankte er zwischen zeitweilig zurückgezogenem Nachdenken und dann wieder verzweifelter Suche im Genuss.

Als er eines Nachts aufwachte, ging er in die Nacht hinaus. In Gedanken versunken ging er auch durch das Stadttor zum Seherstein. Dort ging der Erhabene in den letzten Stunden der Nacht auf und ab. Als er Yaso herankommen sah, setzte er sich und erwartete ihn. Schließlich grüßte er den Erhabenen und setzte sich zur Seite nieder.

Zum ersten Mal gab der Erwachte nun jene Darlegung, die zahlreiche Male im Kanon der Lehrreden wiederkehrt, die Darlegung der Lehre in fünf großen Stufen, ausgehend von den unzweifelhaften Werten der Menschheit bis hin zu dem unbekannten gut der höchsten Wahrheit. Diese Stufen haben nun in den Darlegungen des Buddha je nach dem Niveau des Partners sehr unterschiedliche Ausgestaltungen gefunden. Bei vielen Menschen nahm die unterste Stufe den breitesten Raum ein, und die fünfte Stufe war, gleich der Spitze eine Pyramide, nur angedeutet. Bei Yaso war es umgekehrt. Bei ihm stand die Pyramide auf dem Kopf, die vier untersten Stufen brauchten nur kurz angesprochen zu werden, die fünfte dagegen wurde breit ausgeführt. Die fünf Stufen sind: 1. Geben, 2. Tugend, 3. Transzendenz (die Welt von Karma und Wiedergeburt), 4. Mystik (des Begehrens Elend), 5. Die vier heilenden Wahrheiten.

Yaso verstand die Lehre und wurde der erste im Hause Lebende, der die Frucht des Stromeintritts gewann. Yasos Vater hatte ihn inzwischen gesucht und war auch dazugekommen. Der Buddha begann mit dem Vater ein Gespräch, das in denselben fünf Stufen, nur mit anderer Gewichtung, verlief. Und auch Yasos Vater erlangte den Stromeintritt, Yaso dagegen erlangte den Heilsstand, d.h. die völlige Triebversiegung beim zweiten Zuhören. Yasos Vater lud den Buddha für den nächsten Tag zum Essen ein und Yaso als dessen Begleiter. Als sein Vater fort war, bat Yaso um Aufnahme in den Orden, denn ein Geheilter, der als im Hause Lebender diesen Stand erreicht hat, wird, wenn er nicht am selben Tag stirbt, einem geistigen Gesetz gehorchend, Mönch, da allein diese Lebensart für einen völlig frei gewordenen möglich ist. Yaso war einer der seltenen Ausnahmefälle, in denen ein Mensch als im Hause Lebender die Triebversiegung erreichte.

So wurde Yaso ordiniert. Bei dem Mahle am nächsten belehrte der Buddha auch die Mutter und die Gemahlin Yasos, und auch sie gelangten in die Heilsanziehung, wurden die ersten Anhängerinnen. So gab es jetzt drei im Hause Lebende im Besitz des Stromeintritts. Und damit war der Bann in Benares gebrochen. Die vier besten Freunde Yasos wurden Mönche und Geheilte und dann ebenfalls fünfzig seiner Bekannten. Sie erlangten in wenigen Tagen, scheinbar mühelos, das höchste Asketenziel, so als ob sie nur auf diesen Augenblick gewartet hätten. Das waren die Wesen, um derentwillen der Buddha die Lehre verkündete. So gab es jetzt einundsechzig Geheilte in der Welt: Sechs Sakyer und fünfundfünfzig Benareser. Oder: Ein Angehöriger der Kriegerkaste, fünf Brahmanen, fünfundfünfzig Bürger. Das war der Anfang der buddhistischen Gemeinde.

Der Auftrag zur Verkündung der Lehre

Die erste von fünfundvierzig Regenzeiten seines Pilgerlebens als Heilslehrer verbrachte der Buddha bei Benares, wo er da­nach nie wieder eine Regenzeit verbrachte. Am Ende der drei- bis viermonatigen Regenzeitperiode, in welcher der Buddha und die Mönche nicht wanderten - etwa von Juli bis Oktober- versammelte er seine Mönche. Der Orden bestand damals aus­schließlich aus Geheilten. Und zu diesen, allein zu diesen, sprach er:

"Ich bin erlöst von allen Schlingen, himmlischen und irdischen, und auch ihr, ihr Mönche, seid erlöst von allen Schlingen, himmlischen und irdischen. Wandelt euren Weg vielen zum Wohle, vielen zum Heile, aus Mitleid zur Welt, zum Nutzen , Wohle und Heile für Götter und Menschen. Ihr sollt nicht zu zweit einen Weg gehen. Verkündet, ihr Mönche, die Lehre, die am Anfang treffliche, in der Mitte treffliche, am Ende treffliche, die sinn- und wortgetreue: darzulegen habt ihr das völlig geläuterte, geklärte Asketentum. Es gibt Wesen edlerer Art: ohne Gehör der Lehre verlieren sie sich; sie werden die Lehre verstehen." (Maha Vagga 1,11)

Es ist hier der gleiche Gedanken ausgesprochen, der auch den Buddha selber dazu veranlasste, die Lehre zu verbreiten, nämlich die Tatsache, dass es Wesen edlerer Art ("mit weniger Staub auf denAugen") gibt, die ohne das Hören der Lehre nicht zum Heil kommen, sondern verkommen würden, im Kreislauf des Leidens gefangen gehalten. So wie es für denBuddha nach der Erreichung der eigenen Erlösung noch eines zweiten Schrittes bedurfte, um andere die Erlösung zu lehren, genauso bedurfte es auch für die sechzig geheilten Jünger noch dieses Anstoßes. Sie sollten sich nicht aufdrängen, sie sollten nicht in Scharen und Gruppen kommen, sondern einzeln.Und sie sollten auch deshalb nicht zu zweit gehen, um wirksamer die Lehre verbreiten zu können.

Das Wichtigste an diesem Verkündigungsauftrag des Buddha aber ist, dass er sich eben nur an Geheilte richtet, die von allen Trieben frei sind. Das bedeutet nicht, dass es nicht­heiligen Kennern der Wahrheit etwa untersagt wäre, andere nach bestem Können durch Mitteilung ihrer Lehrkenntnisse zu helfen; aber sie stehen nicht - wie die Glieder mancher Religionsgemeinschaften oder die nicht am Ziel ihres Meisters angelangten Apostel Christi - unter einem Lehrauftrag, der sie zum Lehreifer anspornen würde. Nur die Geheilten können das idealeVorbild abgeben, nur sie können unbeeinflusst die Herzen der Menschen ganz verstehen, nur sie sind gefeit gegen jeden Machtmissbrauch und jede Gewalt gegenüber ihren unvermeidlichen Gegnern. Und nur die Geheilten können die reineWirklichkeitslehre verkünden ohne subjektive Zusätze und Sonderheiten und damit ohne Gefahr von Sektiererei und ganz ohne "missionarischen Eifer". Diese Tatsache, dass allein die Geheilten einen Auftrag zur Lehrverbreitung erhielten, kann gar nicht genug betont und unterstrichen werden. Denn der missionarische Eifer hat in der Welt mehr Schaden angerichtet als zum Wohleund Heile geführt. Wenn der auferstandene Christus seine elf Apostel zur Mission aussandte ("Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" - Matth. 28, 19 und Markus 16,15), dann waren es jene Jünger, von denen er oft sagen musste: "Versteht denn auch ihr mich nicht?", jene Jünger, die sich über ihren Rang im Himmel stritten, die nicht mit ihm wachen konnten, die ihn außer Johannes am Ende alle verlassen hatten, jene Jünger, von denen einer ihn dreimal verleugnet und mit dem Schwert dreingeschlagen hatte. Der Unterschied zwischen den christlichen Missionaren, die noch mit so vielen Unvollkommenheiten ausgestattet waren, und den buddhistischen Missionaren, die nur aus vollkommen geläuterten Menschen bestanden, ist beträchtlich. All die unliebsamen Assoziationen, die verständlicherweise dem Missionsbegriff bei uns anhaften, sind bei der hierbeschriebenen buddhistischen Mission aber femzuhalten. Sie erfolgte wahrlich ausschließlich zum Wohle und Heile der Menschen, und zwar vielen zum Wohle und Heile und lange zum Wohle und Heile. Der Erwachte sandte seine Jünger nicht wahllos zu allen, sondern nur zu vielen, nämlich zu denen, die ihn hören wollten, und er sandte sie, um die fünf Stufen der Erkenntnis zu lehren, die jedem lange zum Wohle gereichen, den voll Verstehenden gar zum ewigen Wohl.  Als er seinen heiligen Jüngern diesen Auftrag zur Lehrverkündung gegeben hatte - genauso wie der Buddha Vipassi vor ihm (Digha Nikaya 14), da meldete sich nach einem halben Jahr des Schweigens zum ersten Mal wieder der Teufel und sprach: Du irrst, wenn du wähnst, du seist nicht gebunden; du bist sogar durch schwere Bande gebunden, denn das Missionieren ist ein Ergreifen, ist Fessel an die Welt, und so wirst du von mir nicht frei. Was erwiderte derBuddha ihm hierauf? Erklärt er ihm ausführlich den Zustand eines Geheilten, der ohne alle Bande ist? Nein, er diskutiert hierüber nicht mehr mit Märo, sondern stellt nur seinen Zustand der Erlöstheit fest, über den es nichts zu diskutieren gibt:

 

"Erlöst bin von den Schlingen ich, von himmlischen, von irdischen, von schweren Banden bin ich frei: geschlagen bist, Todbringer, du."

(Samyutta Nikaya 4,5)

 

Als die sechzig Geheilten von Benares aus in die Lande zogen, um die frohe Botschaft von der Erlösung zu verkünden, da strömten viele der Stillen im Lande herbei, die schon lange nach dem Heil gesucht hatten. Die Mönche brachten diese vor den Meister, damit er sie in die Schar der Mönche aufnehmen möge, denn bisher hatte allein der Buddha ordiniert. Dies Verfahren erwies sich nun als unzweckmäßig. Der Buddha delegierte daher die Ordinationsbefugnis. Jeder der sechzig Geheilten dürfe von nun an Jünger aufnehmen, und zwar in folgendem Verfahren: Der Anwärter müsse sich zuerst Haar und Bart scheren, das fahle Gewand anlegen, vor dem Mönch niederknien und mit zusammgelegten Händen dreimal sprechen: "Zum Erwachten nehme ich meine Zuflucht, zur Lehre nehme ich meine Zuflucht, zur Gemeinde der Heilsgänger nehme ich meine Zuflucht."

 

Bisher wurde Zuflucht zur Person des Buddha genommen, jetzt auch zu der Person der Geheilten. Der Sangha, zu dem man Zuflucht nahm, war also die Gemeinschaft der Heilsgänger und Geheilten. Am Ende der Regenzeit versammelte der Buddha die jetzt vorhandenen Mönche, die nun nicht nur aus Geheilten bestanden und ermahnte sie, bevor sie, wie üblich, wieder auf Wanderung gingen. Der Ruf der Lehre verbreitete sich nun von Mund zu Mund immer mehr. viele Anhänger wurden Unterstützer des Ordens in Benares und Umgebung. Indiens beste Denker horchten auf, die Trommel der Todlosigkeit begann hörbar zu werden, der Löwenruf erscholl.

 

 

Quelle: Hellmuth Hecker,  Das Leben des Buddha.

 

Weiter