Von der Erwachung zur Verkündung.

 

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In dem Augenblick, als der Bodhisattva erwacht war, da war - so möchte man sagen - die Sterblichkeit gestorben und die Unsterblichkeit geboren. Und doch kann man so nicht sagen, denn das Nirvana ist das Ungeborene, und es wird ausdrücklich gesagt, dass der Geheilte weder entsteht noch vergeht. Die Erlösung ist eben die Befreiung von dem Wahn, dass ich es bin, der entsteht und vergeht. Und das ist nicht so leicht zu verstehen. So schwer wie es ist, die Erlösung zu erreichen, so schwer ist es auch für uns, die Wissensklarheit der Erlösung zu verstehen. Der Buddha sagt immer wieder, dass nach der Erlösung noch ein Stadium komme - eben die Wissensklarheit der Erlösung. Warum? Weil die Befreiung etwas ist, das dem gesamten Inhalt des "normalen", aus unserer beschränkten Bewusstseinsweise angefüllten Geistes widerspricht, weil er bisher allein gewöhnt war, in den Kategorien der Unfreiheit zu denken. Von dem Eintritt der Erlösung an - bis zum Zerfall des Körpers - aber gibt es Nirvana und einen "Nachhall" des Samsaro. Der Samsaro, das sind die fünf vergänglichen Erscheinungen (Form, Gefühl, Wahrnehmung, Aktivität, programmierte Wohlerfahrungssuche), an denen alle nicht erlösten Wesen hängen, die sie ergreifen, sich aneignen, und diese fünf vergänglichen Erscheinungen erscheinen auch alle fünf beim Geheilten noch ohne Ergreifen.

Der Zustand der Erlösung ist das größte Wohl ohne auch nur die geringste Möglichkeit des Ergreifens. Es wird berichtet, dass der Erwachte nach der Erlösung tief aufatmend diesem Wohl Ausdruck gegeben hat. Diese Aussagen sind verschieden überliefert. Alle drei Versionen - in Pali, Sanskrit und Tibetisch - stimmen in dem einen Grundton der unsagbaren Entlastung und Erleichterung überein. Fast sieben Jahre des Kämpfens und Leidens hatte der Buddha hinter sich. Jahre der Askese und der Anstrengung von Körper und Geist bis an die Grenze des Todes - und vor allem hatte er hinter sich die Unendlichkeit des Leiden des Samsaro, denen gegenüber diese letzten Jahre nur wie ein Sandkorn gegenüber dem Himalaya waren. Von all diesen Leiden wusste er sich nun für ewig frei, körperlich, seelisch, geistig.

Das aber war ein solches Meer von Glück, eine solche Fülle von Wohl, dass es sieben Tage der völligen Stille bedurfte, um das zur Kenntnis zu nehmen. Er saß in derselben Stellung, in welcher er sich am Abend des vorhergehenden Tages mit gekreuzten Beinen im Lotossitz unter dem Bobaum niedergelassen hatte, dort volle sieben Tage, ohne sich von der Stelle zu rühren, ohne Unruhe, ohne Regung, ohne Bedürfnis nach Veränderung, so den Zustand der Erlösung verkörpernd. Ohne Nahrung, wenn er wollte, sogar ohne Atmung und ohne Herzschlag, ganz ohne jede Körperregung, konnte er bis zu sieben Tage in der Vertiefung weilen, aber dann bedurfte der Leib wieder der Ernährung durch Atmen und der Bewegung der Glieder.

Er betrachtete nun als Erwachter den Bedingungszusammenhang erneut. Er begab sich nun vom Bobaum fort zu einem anderen Baum in der Nähe, zu einer Luftwurzelfeige (des Geißhüters). Der Gang zu diesem anderen Baum war die ganz Aktivität, die er entfaltete, denn er setzte sich wieder im Lotossitz nieder und empfand für weitere sieben Tage das Glück der Erlösung. Dabei stieg ihm folgender Gedanke auf:

"Erlöst, wahrlich, bin ich von dem so mühseligen Tun; glücklich erlöst, wahrlich, bin ich von dem so mühseligen Tun, das ganz zwecklos gewesen ist. Wohl mir, dass ich standhaft und besonnen achtsam zur Erwachung gelangt bin." (Samyutta-Nikaya 4,1)

Er dachte an das mühselige Tun, an die lange Zeit der ebenso gewaltsamen wie vergeblichen Bemühungen seiner Askese, an den falschen Weg, den so viele Inder versucht hatten und der ganz zwecklos gewesen war. Während er so noch einmal den falschen und den rechten Weg im Geist unterschied, erschien ihm zum ersten Mal nach der Erwachung wieder Maro, der böse Geist, der ihn nicht an der Erwachung hatte hindern können und sprach: Ohne Bußwerk und Kasteiungsübungen verfehle man den Läuterungsweg. Der Erwachte erwiderte ihm, die gewaltsame Askese sei ebenso nutzlos wie Steuer und Ruder eines Schiffes auf dem Trockenen. Die Anstrengung (Steuer und Ruder) sei nur auf dem dreifältigen Kurs von Tugend, Vertiefung und Weisheit (d.h. im Wasser) sinnvoll. Das Schiff ist dabei der mit Trieben besetzte Körper, der nicht auf dem Trockenen bleiben darf. Insofern gibt es keine "Trockenlösung", keine Weisheit ohne Tugend und Vertiefung. Da merkte Maro, der Böse, dass ihn der Erhabene kenne, und verschwand auf der Stelle enttäuscht und betrübt. (Samyutta Nikaya 4,1)

Am Ende der sieben Tage begegnete ihm, nachdem Maro das erste Wesen gewesen war, das der Buddha nach der Erwachung gesehen hatte, der erste Mensch. Darüber heißt es: Der Erwachte erhob sich nach sieben Tagen aus diesem samadhi. Da begab sich ein gewisser standesstolzer Brahmane hin zum Erhabenen, wechselte höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und stellte sich zur Seite hin. Zur Seite stehend, sprach nun jener Brahmane zum Erhabenen: "Inwiefern, o Gotamo, ist man wohl ein Brahmane? Und was sind die Eigenschaften, die einen Brahmanen ausmachen?" (Udana 1,4)

Der Buddha antwortete ihm, ganz auf die brahmanische Tradition eingehend, in gebundener Rede in einem Vers: "Brahmane ist, wer sich von Schlechtem fernhält, wer frei von Standesdünkel, frei von jedem Triebe, wer selbstbeherrscht des Wissens Ende hat gemeistert und wer den reinen Brahmawandel führet: Ein solcher Brahmane mag sich mit Recht Brahmane nennen, ein solcher, den nichts in der Welt empört mehr."

So zeigte der Buddha ihm, dass gerade die Eigenschaften, die jener besaß (Standesdünkel und sonstige Triebe, mangelnde Selbstbeherrschung, Sich Empören) nach dem Zeugnis der Veden den Zustand eines wahren Brahmanen verhindern. Das war also die erste Belehrung, die der Buddha einem Menschen gegeben hat, eine Belehrung, die ganz auf die Person zugeschnitten und doch allgemein gültig war. Es mag als Symbol betrachtet werden, dass es gerade ein stolzer Brahmane war, der dem Buddha als erster begegnete: Der Stolz, die Ich-Überzeugtheit erscheint hier als die erste Eigenschaft, die den Menschen an der Erwachung hindert.

Die nächste Woche verbrachte der Buddha unter dem Mucalinda-Baum im Regen und wird durch ein göttliches Wesen (der Naga-Fürst Mucalinda) geschützt vor den Witterungseinflüssen. Nachdem der Buddha zunächst ein untermenschliches Wesen (Maro) und einen Menschen (den Brahmanen) belehrt hatte, belehrte er hier einen Angehörigen der dritten Gruppe von Wesen, ein übermenschliches Wesen. Er nennt diesem vier Seligpreisungen, die da betreffen: Die Abgeschiedenheit, die Gemütsreinheit durch die All-Liebe, als drittes die Genügsamkeit und als viertes die Seligkeit dessen, der erkannt hat, dass ihn alles Vergängliche nicht treffen kann, dass er ganz unabhängig geworden ist.

Am Ende der dritten Woche erhob sich der Buddha vom Fuß des Mucalinda-Baumes und begab sich in der Nähe zu einem vierten Baum, einen Königsgebiets-Baum. Und was tut er dort? Er setzt sich im Lotossitz nieder und empfand wiederum sieben Tage lang das Glück der Erlösung. Am Ende der vierten Woche begab es sich, dass zwei reiche Brüder, Kaufleute namens Tapusso und Bhalliko, vorbeikamen inmitten einer Handelskarawane. Als sie diesen strahlend hoheitsvollen Asketen sahen, hielten sie an und holten aus den Vorräten den besten Reisbrei mit dem feinsten Honig und reichten ihn dem Erhabenen dar. Er möge diese Spende von ihnen annehmen, damit es ihnen lange zum Wohle gereichen möge. Und der Erhabene nahm die ihm derart gespendete Nahrung ein. Dann sprach er zu ihnen einen Spruch, der ihre wohlwollende Gesinnung stärkte und sie auf die Götter hinwies, die durch solche Tugenden in lichte Welten gekommen seien und deren Hilfe man durch gute Werke und gute Gesinnung erlange. Die Worte des Erwachten trafen sie so, dass sie zu seiner Lehre Zuflucht nahmen. Obwohl damals die eigentliche Lehre des Buddha überhaupt noch niemandem dargelegt worden war und obwohl daher auch noch kein Orden bestand, kam es hier doch schon zur ersten Bildung einer Anhängergemeinde. So wurden zwei im Hause Lebende und nicht Asketen die ersten Anhänger des Buddha. Der Jüngere, Bhalliko, wurde später auch noch Mönch. Sein Bruder Tapusso erlange später den Stromeintritt. (Anguttara Nikaya A VI, 119)

Nach vier Wochen kehrte der Buddha in der fünften Woche zur Luftwurzelfeige des Geißhüters zurück. Es mag kein Zufall sein, dass dieser Baum einer der drei Baumarten angehörte, unter denen nach der Überlieferung frühere Buddhas erwacht waren. Er dachte zunächst noch einmal über seinen Weg zum Heil nach. Hierbei zeigt sich noch einmal das entscheidende Merkmal der Lehre des Erwachten, nämlich, dass sie nichts anderes ist als eine Aufdeckung der Daseinsgesetze, keine willkürliche Konstruktion, kein Dogma, nichts Geschöpftes und Ausgedachtes, sondern nur das Gesetz der Existenz, die Mitteilung der Wirklichkeit selber. Nun führten ihn seine Gedanken zwangsläufig zu der Frage, ob er dies Gesetz, das zu lehren er fähig war, auch anderen verkünden sollte. Was sprach dafür, was sprach dagegen? Der Buddha wusste, dass er die von ihm entdeckte Lehre anderen mitteilen konnte, aber das setzte voraus, dass die anderen Wesen ebenso wie er selber nach Wahrheit und Erlösung strebten und zum Begreifen der Wahrheit fähig waren. Wenn er die Lehre zwar darlegen konnte, aber die anderen nicht fähig oder bereit waren, sie aufzunehmen, dann sei die notwendige Konsequenz dieser Erkenntnis, die Lehre nicht darzulegen. Die Vernunft würde es dann verbieten, etwas Nutzloses zu tun, was ihm selber unverhältnismäßig viel Mühe, Anstrengung und Plage bereiten, seinen Leib und Geist beanspruchen würde. Da erschien ihm der Brahma Sahampati, ein überirdischer Jünger seines Vorgängers, des Buddha Kassapo, der dem Buddha Gotamo unmittelbar vorangegangen war. Der Brahama Sahampati dachte: Verderben, ach, wird ja die Welt, elend verderben, wenn des Vollendeten, Geheilten, Vollkommen Erwachten Herz sich zur Selbstgenügsamkeit neigt und nicht zur Darlegung der Lehre. Er entblößte eine Schulter, faltete die Hände und sprach: O dass doch der Erhabene die Wahrheit über das Gesetz des Lebens offenbare! Es gibt Wesen edlerer Art: ohne Gehör der Wahrheit verlieren sie sich; sie werden die Wahrheit verstehen.

Als der Buddha die Bitte Brahmas vernommen hatte, da benutzte er seine Geistesmacht, den Wesen unmittelbar ins Herz zu sehen, um die Worte des Brahma Sahampati an der Wirklichkeit nachzuprüfen. Er sah drei Gruppen von Menschen und die mittlere davon, die Wesen "edlerer Art, scharfsinnig, leicht begreifend. Wesen mit guten Fähigkeiten, die sich schon in der rechten Richtung bemühen, die wissen oder ahnen, dass es noch Besseres gibt als die Welt der sinnlichen Erscheinung, die nur das Richtige noch nicht gefunden haben. Sie tun das Gute auch, wenn der Buddha nicht lehrt, aber sie werden es aus Unwissen irgendwann wieder verlieren. Von ihnen gilt: Ohne Gehör der Lehre verlieren sie sich; mit Gehör der Lehre können sie zum Heil kommen. Da stand die Entscheidung des Buddha fest und er erwiderte nun Brahma Sahampati mit dem Spruch:

"Erschlossen sind zum Todlosen die Tore;

wer Ohren hat zu hören, komm und höre."

Man kann nun leicht zu der Annahme kommen, dass der Buddha einzig und allein durch Brahma auf den Gedanken gebracht wurde zu lehren und dass er ohne Brahma eben nicht gelehrt haben würde. Doch würde man dann nicht beachten, dass ein Vollkommen Erwachter ein Wesen ist, das äonenlang ganz stark die Tugenden des Erbarmens geübt hat und sozusagen mit ganzem Gemüte geneigt und fähig und bereit ist, ein Helfer und Lehrer der Wesen, ein Heiland der Menschheit zu werden. Auch das unvorstellbar große Glück der Erlösung konnte ihn nur einige Zeit lang von seinem Wirken als Wegweiser der Menschen, zu dem er prädestiniert war, abhalten. Seine gesamte Anlage ging darauf hin, die von ihm entdeckte Wahrheit auch anderen zu verkünden. Aber diese Anlage war eben kein Missionsdrang, war kein Trieb - denn wenn er kraft seiner Vernunft sah, dass es keinen Zweck hatte, dann war er ohne Bedauern und Trauer sofort bereit und fähig, dieser Anlage nicht zu entsprechen.

Wer die Wahrheit kennt und die Fähigkeit zum Lehren hat und wer sieht, dass es Zweck hat, der kann, wenn er triebfrei ist, nichts - am wenigsten "eigener Wille" - davon abhalten, seine Anlage zum Lehren zu entfalten.

Es gibt nur drei Gründe, nicht zu lehren:

1. Erkenntnis der eigenen Nichtfähigkeit - das hält Einzelerwachte davon ab zu lehren.

2. Triebhafte Verweigerung - das hält einen Unerlösten mehr oder weniger ab, anderen zu helfen.

3. Vermeintliche oder wahre Erkenntnis, dass es keinen Zweck hat. Keinen Zweck hätte es z.B. zu Zeiten größter Untugend der Menschen, wie sie vom sogenannten Messerstichzeitalter berichtet wird. (Digha Nikaya 26)

Das einzige Wesen, das ein Interesse daran hatte, dass der Erwachte seine Lehre nicht verkünden möge, das war Maro. Nachdem der Buddha dem Brahma Sahampati erklärt hatte, dass er die Lehre verbreiten werde, trat auch Maro noch einmal auf den Plan. Er wies den Buddha noch einmal darauf hin, wie schwer und mühsam das Belehren sein werde. Der Buddha erwiderte aber, dass er nicht eher ins Nirvana eingehen werde, bis bei ihm Mönche Jünger geworden sind, die eigne Meisterschaft erworben haben und auch ihrerseits wieder andere belehren können. (Digha Nikaya 16 III)

Nun widmete sich der Erwachte ganz konkret der Frage, wen er wohl zuerst belehren sollte. Er kam zuerst auf den Gedanken, dass sein erster Asketen-Lehrer, Alaro Kalamo so verständig wäre, doch es kamen Wesen zu ihm, die ihm mitteilten, dass dieser bereits gestorben sei und seine Wiedergeburt ihn in formlose Welt geführt hatte, damit unerreichbar für die Lehre. Ebenso war es mit Uddako Ramaputto, seinem zweiten Lehrer, geschehen.

Wer blieb nun übrig, dem er die Lehre als erstem verkünden sollte? Er sagt darüber:

"Da kam mir der Gedanke: Zugetan sind mir ja die fünf verbündeten Mönche, die meiner warteten, als ich mich dem Mühen hingab. Wie, wenn ich zuerst den fünf verbündeten Mönchen die Lehre darlegen würde? Da kam mir der Gedanke: Wo weilen wohl jetzt die fünf verbündeten Mönche? Und ich sah mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, den Aufenthalt der fünf verbündeten Mönche bei Benares am Sehersteine im Wildpark. (Majjhima Nikaya 26)

Der Erwachte verließ nun die Gegend von Uruvela und begab sich zu Fuß auf die Wanderung nach Benares. Über diese Wanderung ist im Kanon nur eine einzige Episode überliefert. Unter den vielen Menschen, denen der Buddha auf seinem Weg begegnete, war einer der Nackte Büßer Upako, d.h. ein brahmanischer Asket. Dieser sprach ihn an und sagte, dass sein Angesicht so heiter sei und ob er eine Spur vom Wege zur Todlosigkeit gefunden habe. Und um wessentwillen er hinausgezogen sei. Der Buddha erwiderte, dass er selbst der höchste Meister sei, ein vollkommen Wahnerloschener und:

"Der Wahrheit Reich erricht´ ich nun und wandre zur Benaresstadt: Erdröhnen soll in finsterer Welt die Trommel der Unsterblichkeit."

Auf diese und andere Worte erwiderte Upako: "Wenn´s nur wäre, Bruder", schüttelte das Haupt, schlug einen Seitenweg ein und entfernte sich. Dies zeigte aber, dass Upako auch ein ernsthaft Suchender war und der Same der Belehrung war nicht umsonst ausgestreut, er ging nur viel später auf. Er dachte immer wieder über die erhabene Gestalt des Buddha nach und suchte später wieder nach dem Asketen von damals. Er wurde später auch ein Geheilter.

Schließlich gelangte der Buddha auf seiner Wanderung nach der heiligen Stadt Benares. Am Stadtrand weilten dort am Sehersteine, an einem Orte der alten Rishis (Seher), im Wildpark, die fünf Mönche. Sie erblickten ihn von ferne, erkannten ihn sofort und bestärkten einander darin, ihn nicht zu begrüßen oder sich auch nur zu erheben, aber einen Sitz wollten sie ihm zuweisen. Je näher der Erhabene ihnen kam, desto weniger vermochten sie sich der Macht seiner Geistigkeit zu entziehen. Sie konnten ihre abweisenden Vorsätze einfach nicht durchführen. Einige kamen ihm entgegen und nahmen ihm Mantel und Schale ab, einige baten ihn, Platz zu nehmen, einige machten ein Fußbad zurecht, und sie begrüßten ihn und sprachen ihn als Bruder Gotamo an. Darauf erwiderte der Erhabene: "Nicht gehet, ihr Mönche, den Vollendeten mit dem Bruderwort an: Geheilt ist, ihr Mönche, der Vollendete, der vollkommen Erwachte. Leihet Gehör, ihr Mönche, die Todlosigkeit ist gefunden. Ich führe ein, ich lege die Lehre dar." Sie zweifelten zunächst, da er ja durch seine Kasteiung und Askese nicht zum Ziel gelangt war. Wie dann jetzt, da er "üppig" lebte?

Doch er fragte sie: "Entsinnt ihr euch, ihr Mönche, dass ich je zuvor also gesprochen hätte?" Diese Frage brachte sie aus der Fassung und die Fünf liehen Gehör, ja, sie waren im besten Sinne begierig zu hören, was wohl der Buddha ihnen zu sagen hatte und was ihm seine Sicherheit gab.

Da gab der Erwachte seine erste Lehrdarlegung, die unter dem Namen "Predigt von Benares" oder Lehrrede vom In-Gang-Setzen des Rades der Lehre" (Dhamma-cakka-pavattana-sutta) bekannt geworden ist. (Samyutta Nikaya 56,11 = MahaVagga I,6)

Er zeigte zuerst die Reichweite des Leidens, gab eine Bestandsaufnahme dessen, was im Dasein nicht sein dürfte, wenn Glück herrschen sollte, nämlich Geborenwerden, Krankheit, Alter und Sterben; Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweifelung; mit Unliebem vereint sein, von Liebem getrennt sein; was man begehrt, nicht erlangen. Und er fasste diese Bestandsaufnahme in der Definition zusammen, dass alle vergänglichen und wandelbaren Phänomene das Leiden sind, nämlich die fünf Aneignungen (khanda).

Sodann zeigte er die Wirklichkeit der Leidensentstehung, die Bedingungszusammenhänge und kausalen Faktoren, durch welche bei den fünf Erscheinungen Leiden entsteht, nämlich erstens durch Unwissen und zweitens durch den Durst. Er zeigte diesen triebhaften Durst, der unersättlich weiterbesteht, vom Tode nicht berührt wird und alle Mängel und Unbefriedigungen bedingt.

Und er zeigte die Wirklichkeit der Leidensauflösung, die Möglichkeit des Menschen, mit seinen geistigen Kräften den Durst zum Versiegen zu bringen.

Schließlich zeigte er dann in der vierten Wahrheit den achtfältigen Heilsweg im Einzelnen auf, in welchem von der Kraft des Geistes alle heilsamen Entwicklung ausgehen, sowohl nach außen wie nach innen, sowohl in der sozialen Begegnung wie in der Begegnung mit sich und seinen Trieben. Das ist das, was zu verwirklichen ist.

Während der Predigt von Benares sprang der Funke der rechten Anschauung zuerst auf den ältesten Mönch, Kondanno, über, und er gewann die unwiderlegbare Gewissheit der klaren Erkenntnis: "Was irgend auch entstanden ist, muss alles wieder untergehen." Damit hatte er den ersten Grad der Heilsanziehung gewonnen.

So war das Rad der Lehre ins Rollen gebracht worden. Während diese Lehrdarlegung stattfand, nahm wiederrum die Erde Anteil und erbebte wie bei der Geburt und bei der Erwachung des Buddha. Die Kunde davon eilte durch die ganze geistige Welt:

"Der Vollendete, der Geheilte, Vollkommen Erwachte hat zu Benares am Sehersteine im Wildpark das höchste Reich der Wahrheit dargestellt: und dawiderstellen kann sich kein Asket und kein Priester, kein Gott, kein dunkler und kein heller Geist noch irgendwer in der Welt: es ist das Anzeigen, Aufweisen, Darlegen, Darstellen, Enthüllen, Entwickeln, Offenbarmachen der vier Heilswahrheiten." (Majjhima Nikaya 141)

Und Kondanno, der die Wahrheit verstanden hatte, bat den Erwachten, er möge ihn als seinen Jünger annehmen, ihm Aufnahme in seinen Orden gewähren. Und der Erwachte sprach: "Komm, o Mönch, wohlverkündet ist die Lehre, führe den Reinheitswandel zur endgültigen Leidensversiegung."

Damit war Kodanno als Mönch aufgenommen. Und binnen kurzem kamen auch die anderen vier zum gleichen Verständnis und wurden ebenfalls ordiniert, zuerst Vappo und Bhaddiyo, dann Mahanamo und Assaji. So entstand die Jüngerschaft, der Orden.

So war aus dem Buddha die Lehre (der Dhamma) hervorgegangen, und mit dem Überspringen der Lehre auf die ersten Hörer war der Sangha, die Gemeinde, ins Leben getreten. So gab es jetzt die drei Kleinodien: Buddha, Dhamma, Sangha; den Erwachten, die Lehre und die Jüngerschaft.

Nachdem die fünf Asketen den Stromeintritt gewonnen und die Ordensweihe als Mönche des Buddha (als sog. Bhikkhu) erhalten hatten, übten sie sich in den nächsten Tagen mit allem Eifer in der Verwirklichung der rechten Anschauung. Innerhalb von fünf Tagen durchschritten sie die vier Wegetappen zum Heilsstand (Stromeintritt, Einmalwiederkehr, Nichtwiederkehr und den Pfad zum Heilsstand).

Am fünften Tag ihres Daseins als Bhikkhu wandte sich der Erhabene an sie und hielt ihnen die zweite grundlegende Lehrrede, die sogenannte Rede von den Merkmalen des Nicht-Ich. Diese beginnt wie folgt:

"Die Form, ihr Mönche, ist ohne Selbst. Denn wäre, ihr Mönche, die Form das Selbst, nicht würde da diese Form der Krankheit anheimfallen. Erlangen könnte man es dann bei der Form: `So soll meine Form sein, so soll meine Form nicht sein.`" (Samyutta Nikaya 22,59)

Und während die fünf Mönche aufmerksam, mit ganzem Gemüt hingegeben, dieser Lehrrede lauschten, da vollzogen sie alle gleichzeitig diese Erkenntnis nach, wandten sich von den fünf Zusammenhäufungen (Aneignungen) ab. Indem sie zuhörten, fanden sie nichts Lockendes mehr an den vergänglichen Dingen, ergriffen sie darum nicht mehr und ohne Ergreifen wurde das Herz von den Trieben erlöst.

Es gab nun sechs Geheilte in der Welt.

 

Quelle: Das Leben des Buddha, von Hellmuth Hecker.

 

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